bbz 1-2 / 2020
Überlastung anzeigen
Wenn Schule Lehrkräfte krank macht und Schüler*innen ihre Chance auf Bildungserfolg nimmt, können Überlastungsanzeigen deutlich machen, dass das Maß voll ist
Die Arbeit an Berliner Schulen ist fast nirgendwo mehr zu schaffen. Hinzu kommt das Gefühl, aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen, den Schüler*innen nicht mehr gerecht werden zu können. Vielen Pädagog*innen an meiner Schule, der Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg, geht das so. Deshalb hat sich bereits ein Jahrgang per Teambeschluss dafür entschlossen, gemeinsam Überlastungsanzeigen zu schreiben. Viele Kolleg*innen haben es nachgetan. Wir erwarten nun, dass die Dienstherrin endlich Abhilfe schafft.
Wir unterrichten an einer Gemeinschaftsschule mit Klassengrößen bis zu 29 Schüler*innen, von denen der überwiegende Teil einer besonderen Förderung und Aufmerksamkeit bedarf. In meiner 8. Klasse zum Beispiel sind sieben Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, sowie fünf Kinder, die erst seit kurzem oder wenigen Jahren in Deutschland leben und noch mit erheblichen sprachlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Hinzu kommen noch drei Schüler*innen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. Weiterhin habe ich sechs Schüler*innen in dieser Klasse, für die ich bereits mindestens eine Schuldistanzanzeige geschrieben habe. Es finden dementsprechend viele extra Elterngespräche statt. Die Dokumentation der Fehlzeiten ist aufgrund der damit verbundenen Briefe zeitaufwendig und manchmal müssen sogar Hausbesuche erfolgen. Das Ergebnis ist oftmals unbefriedigend, da Anzeigen wegen Banalitäten wie zum Beispiel fehlendem Schulbesuchsjahr zurückkommen oder sie schlicht folgenlos bleiben. Die Zahl psychischer Erkrankungen steigt. Zwei Schülerinnen in meiner Klasse werden derzeit in einer Klinikschule betreut, zwei weitere sind eng an die Schulpsychologie angebunden, da sie den Schulbesuch derzeitig schwer schaffen.
Es gibt eine Vielzahl von Schüler*innen, für die ein Förderstatus neu beantragt oder bei welchen ein Folgeantrag gestellt werden muss. Das führt zu einer Flut von Anträgen und Förderplänen. Hierbei gibt es zu wenig Unterstützung, da Sonderpädagog*innen fehlen.
Zusätzlich ist anzumerken, dass die wenigen zur Verfügung stehenden Teilungsstunden, in denen zwei Lehrkräfte unterrichten und den Unterricht teilen können, häufig aufgrund hoher Krankheitsstände aufgelöst werden. Für meine Klasse mit sieben Schüler*innen mit Förderbedarf gibt es nur sechs Teilungsstunden, das reicht bei weitem nicht aus.
Nebenbei sollen noch die vielen Quereinsteiger*innen ausgebildet werden. So sind in meinem Team sechs voll ausgebildete Lehrkräfte, die fünf Quereinsteiger*innen nebenbei mit betreuen sollen. Dass das unter dem derzeitigen Arbeitspensum für beide Seiten unbefriedigend ist, versteht sich. Außerdem müssen unsere Quereinsteiger*innen im Berufsbegleitenden Referendariat bereits viel zu viel leisten, zum Beispiel die Klassenleitung, und können nicht ihre Überlastung anzeigen. Unsere Sozialpädagog*innen können noch nicht mal auf die Personalversammlung gehen und dort ihre Klagen hervorbringen, da sie nicht beim Land Berlin angestellt sind.
Lehrkräfte wollen unterrichten können
In den letzten Jahren ist auch ein Anstieg an Gewaltvorfällen zu vermerken. Dadurch kommt es zu großer Mehrbelastung: Gespräche müssen geführt, die Vorfälle dokumentiert, Gewaltmeldungen und Anzeigen müssen geschaltet werden. Klassenkonferenzen folgen. In der Summe übersteigen die Mehrarbeitszeiten regelmäßig die Kapazitäten der Lehrkräfte und sorgen dafür, dass Unterrichtsvor- und -nachbereitung darunter leiden. Hinzu kommt die psychische Belastung, der die Kolleg*innen ausgesetzt sind, wenn sie selbst das Opfer von Beleidigungen und Drohungen sind.
Zudem steigt auch die Zahl von sogenannten Systemsprenger*innen, die durch ihr Verhalten den Unterricht und das Zusammenleben in der Schule massiv stören. Diese Schüler*innen sind der Grund für weitere Klassenkonferenzen, bei denen nicht selten die Umsetzung in eine Parallelklasse nach §63 des Berliner Schulgesetzes beschlossen wird. Diese Umsetzungen stören das Klassengefüge und sorgen dadurch für weitere Mehrbelastung. Oft folgen Schulhilfekonferenzen, die auch aufwendig vor- und nachbereitet werden müssen. Ständig wechselnde Zuständigkeiten bei der Schulpsychologie und dem Jugendamt erschweren die kontinuierliche Arbeit. Allein in meiner Klasse fanden seit letztem Schuljahr für neun Schüler*innen mitunter gleich mehrere Klassen- oder Schulhilfekonferenzen statt. Die Aufgaben, die im Rahmen dieser Konferenzen an die Eltern herangetragen werden, können von diesen häufig nicht bewältigt werden, da schon die Kontrolle des Schulplaners oder der Blick in die Schultasche unsere Elternschaft mitunter überfordert.
Der Verwaltungsaufwand, den Lehrkräfte an unserer Schule leisten müssen, ist in den vergangenen Jahren immens gestiegen. Das Kerngeschäft von Lehrkräften, das Unterrichten, rückt immer weiter in den Hintergrund. Das schmerzt, da das Planen und Durchführen von anspruchsvollem und auf die Lerngruppe angepassten Unterricht das Anliegen jeder Lehrkraft an unserer Schule ist.
Die Teamzeiten reichen bei weitem nicht aus, um die Menge an Problemen und Belastungen zu thematisieren. Eine kollegiale Fallberatung oder gar das Hospitieren im Unterricht von Kolleg*innen können schon lange nicht mehr realisiert werden.
Aufgrund der Schul- und Unterrichtsentwicklung finden bei uns eine Vielzahl an Konferenzen und AG-Treffen statt. Auch hier reicht die Zeit nie und nach einer zweistündigen Sitzung nehmen wir oft noch erhebliche Hausaufgaben mit.
Bedingungen, die krank machen
Unsere Schüler*innenschaft ist bekannt für herausforderndes Verhalten. Im Schulalltag ist es leider nicht möglich, sich in Freistunden zu erholen, da es keine geeigneten Rückzugsräume gibt. Das Teamzimmer bietet diese Möglichkeit nicht, da dort geschäftige Kolleg*innen sowie Anliegen von Schüler*innen für einen konstanten Lärmpegel sorgen. Außerdem ist es an vielen Stellen im Schulhaus schmutzig, denn die der Reinigungskraft zugewiesenen Stunden reichen bei Weitem nicht aus. Mittlerweile hat eine Kollegin bereits eine heftige Stauballergie inklusive Asthma entwickelt. Sie hat noch 35 Dienstjahre zu leisten; nur kann sie das nicht, wenn sie vorher erstickt.
Trotzdem verlassen wir die Ganztagsschule oft erst um 17, 18 oder 19 Uhr. Dadurch verzögert sich der Beginn der häuslichen Unterrichtsnachbereitung so stark, dass wir oft bis in die Nacht damit beschäftigt sind. Für unsere Gesundheit haben sich aus der beschriebenen Situation bereits folgende Konsequenzen ergeben: Stresssymptome wie häufig auftretende Schlafstörungen, innere Unruhe, Kopfschmerzen, Erschöpfungserscheinungen, mangelhafte Ernährung, depressive Verstimmungen, höhere Anfälligkeit für Infektionen sowie das Gefühl, den Schüler*innen nicht mehr gerecht werden zu können. Die Arbeitsbelastung drängt immer mehr Lehrkräfte in Teilzeit. Vor allem jüngere Kolleg*innen sehen sich zu diesem Schritt gezwungen, möchten sie ihre Arbeit noch schaffen. Während Teilzeit ein Schritt zu mehr Freizeit war, ist Teilzeit heute für viele Lehrkräfte also fast schon Notwendigkeit, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. Zahlen zeigen, dass auch das ein berlinweiter Trend ist.
Was bei uns an der Schule passiert, wird unseren Schüler*innen nicht gerecht. Denn unter diesen Rahmenbedingungen, haben sie keine Chance auf Bildungsgerechtigkeit und -erfolg. Die Senatsschulverwaltung muss diese Situation endlich ändern, damit Schüler*innen eine echte Chance haben und damit nicht noch eine weitere Generation von Schüler*innen unter diesen Bedingungen an Berliner Schulen Bildungsmisserfolge erleben muss.