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Schwerpunkt "Rechte Strategien"

Ultra-rechte Studis und ihre Verbände

Das Lebensbundprinzip als Rückgrat von Burschenschaften.

Foto: Christian von Polentz

Aus einer Gruppe um Nicolas K., einem damaligen Mitglied der »Marburger Burschenschaft Germania«, wurde ein migrantisiertes Mitglied der »Schwarzburgbundverbindung Frankonia Marburg« am Abend des 13. Juni 2020 laut Frankfurter Rundschau als »Judensau« und »Schwuchtel« beleidigt. Wenige Stunden später griff eine circa zehnköpfige Gruppe rund um die »Germania« das Haus der »Frankonia« an, wobei sie die Tür mit einem Holzpflock rammten, den Innenraum verwüsteten und großflächig Pfefferspray versprühten. Bei ihrer Flucht bedrohte einer der Täter einen unbeteiligten Zeugen mit einem Teleskopschlagstock. Grund für den Angriff, der sich laut »Frankonia« in eine Reihe weiterer Anfeindungen und Sachbeschädigungen einreiht, ist ihre vermeintlich liberale Haltung.

 

Burschenschaften als Teil der Rechten

 

Dieses Beispiel rechter Gewalt seitens der »Marburger Burschenschaft Germania« ergibt sich auch aus ihrer Ideologie sowie Funktion für die (extreme) Rechte. Die Verbindung ist Teil des (extrem) rechten Dachverbands »Deutsche Burschenschaft« und ihrer zweiten Spaltung nach rechts im Jahr 2013. Ihre Ideologie kann in Bezug auf Antikommunismus, Kolonialismus, (Neo)Faschismus, Rassismus – Stichwort Arierparagraph –, Antisemitismus und Sex­ismus als extrem rechts und menschenfeindlich eingeschätzt werden. Sie ist eine Art Kaderschmiede für ihr eigenes Milieu und versucht junge Männer zu autoritären Persönlichkeiten zu formen. Die Burschenschaften sind neben der Ausbildung durch ihre Infrastruktur wertvoll für die (extreme) Rechte: Ihre Häuser sind sichere Räume für Veranstaltungen, Distanzierungen im rechten bis extrem rechten Milieu unterlaufen sie gewollt; mit ihrer Zeitschrift »Burschenschaftliche Blätter« haben sie ein eigenes Publikationsorgan und sind europaweit vernetzt.

Dennoch haben ultra-rechte Burschenschaften ein Nachwuchsproblem. Ihr Ruf ist jenseits der eigenen Szene ruiniert, antifaschistische Aktivitäten erschweren ihre Nachwuchsarbeit und für aktionsorientierte Neonazis sind Burschenschaften mit ihrer antiquierten Lebenswelt und dem zeitaufwändigen Eigenleben oft unattraktiv. Dass es dennoch selten passiert, dass sich eine Burschenschaft auflöst, ist Ergebnis des Lebensbundprinzips und insbesondere der Altherrenschaft. Wie der Begriff nahelegt, bedeutet dies das Eingehen eines Bundes mit Gleichgesinnten ein Leben lang und somit über die Studienzeit hinaus. Nach der aktiven Zeit folgt die Aufnahme in die Altherrenschaft, deren Funktion maßgeblich darin besteht, das Überleben und die Finanzierung der Verbindung zu sichern. Wenn es ein paar Jahre lang kaum Aktive und Nachwuchs auf dem Haus gibt, ist dies somit nicht existenzbedrohend für die gesamte Struktur.

 

Frauen im Lebensbundprinzip

 

Durch das Lebensbundprinzip von Burschenschaften wird die politische Beteiligung an einer rechten Erlebniswelt über die »Aktivitas« und das alltägliche Leben auf den Burschenschaftshäusern hinaus ausgedehnt. Die Familien, insbesondere die Partnerinnen und Ehefrauen der Burschenschafter und »Alten Herren«, werden in die ritualisierte, patriarchale Lebenswelt integriert. Oftmals werden sie nicht als politisch wahrgenommen, wodurch rechte Frauen mit bürgerlicher Erscheinung andere gesellschaftliche Felder für ihre politische Wirkmächtigkeit erschließen. In burschenschaftlichen Kreisen sind ihnen geschlechtsbezogene Tätigkeiten vorbehalten, die den Erhalt der Strukturen ermöglichen. Ihre Hauptarbeit liegt auf reproduktiven Tätigkeiten, diese werden von außen nicht als Ausdruck politischer Überzeugung verstanden. Innerhalb des Lebensbunds ist die Teilnahme der Ehepartnerinnen, Freundinnen und Kinder an bestimmten Veranstaltungen explizit gewollt. Dabei werden die Anerkennung der Rituale sowie die Integration innerhalb der burschenschaftlichen Normen und des Brauchtums ausdrücklich erwartet. Es muss also in den Blick genommen werden, dass Ehefrauen und Partnerinnen nicht unwissentlich in rechten Kreisen verkehren, sondern zu eigenen politischen Meinungen befähigt sind und damit eigenmächtig am Lebensbundprinzip partizipieren.

Zudem können auch sie bis zu einem gewissen Grad vom Netzwerkcharakter der Burschenschaften profitieren. Als Partnerinnen und Töchter bewegen sie sich wie selbstverständlich im Umfeld der Burschenschaft und können eigene Kontakte zu (extrem) rechten Akteuren und Akteurinnen knüpfen oder die Netzwerke und Kontakte nutzen.

 

Die besondere Funktion der Altherrenschaft

 

Eine besondere Funktion im Lebensbund hat neben den Familien die Altherrenschaft inne, die im Hintergrund die Struktur am Laufen hält. Das Lebensbundprinzip ist ein relevanter und hervorzuhebender Unterschied zwischen Burschenschaften und anderen (extrem) rechten Organisationen.

Die diversen Schlagzeilen zu »rechten Skandalen« rund um den Dachverband »Deutsche Burschenschaft« im Allgemeinen sowie die »Marburger Burschenschaft Germania« im Besonderen dürften nicht trotz, sondern auch wegen der Altherrenschaft entstehen. Denn die meisten »Alten Herren« sind aus Überzeugung Mitglieder ihrer (extrem) rechten Burschenschaft. Dabei ist der jüngste Angriff der Aktivitas auf die Nachbarverbindung Frankonia nur ein Beispiel der gewaltaffinen Gesinnung dieser selbsternannten Elite. Durch interne Kommunikation via Germanenzeitung, Mails oder Sitzungen bekommen die »Alten Herren« mit, was in ihrem Haus passiert.

Viele »Alte Herren« sind nach ihrer Studienzeit wenig bis gar nicht im Fokus antifaschistischer Politik, so können sie sich unbehelligt im Lebensbund und den Vereins­strukturen ihrer Burschenschaft einbringen, die der Gemeinnützigkeit unterliegen, wodurch Spenden oder Nachlässe steuerfrei sind.

Das Lebensbundprinzip bedeutet auch, sich gegenseitig Anwälte, Wohnungen und Jobs zu vermitteln. Dadurch, dass viele der Burschenschafter Jura studiert haben, ist die Dichte der Anwälte hoch. So können auf der einen Seite bürgerlich angesehene Berufe ausgeübt werden, auf der anderen Seite für Gleichgesinnte eines breiten rechten Spektrums rechtliche Unterstützung und Absicherung sichergestellt werden.

Viele »Alte Herren« genießen mangels Skandalisierung öffentliches Ansehen, durch beruflichen Erfolg oder Verankerung in der Zivilgesellschaft, zum Beispiel durch Mitgliedschaften in Ortsvereinen oder die Besetzung von Ehrenämtern. Dort werden sie nicht als politische Akteure wahrgenommen und können ihre Ideologie auch außerhalb der burschenschaftlichen Häuser und Netzwerke verbreiten.

Besonders problematisch ist die finanzielle Absicherung der burschenschaftlichen Netzwerke durch die Altherrenschaft. Burschenschaften werden allzu oft auf die »Aktivitas« beschränkt analysiert, wobei diese nur einen Teil des Lebensbunds und der rechten Erlebniswelt ausmacht. Die politische Analyse des Netzwerkcharakters der DB-Burschenschaften und der »Marburger Burschenschaft Germania« kann sich nicht allein auf die Geschehnisse auf den Häusern beziehen, sondern muss einen breiteren Blick dafür gewinnen, was als politisch gilt. So dürfen die berufliche Tätigkeit nach der Studienzeit oder das familiäre Umfeld nicht vernachlässigt werden. Wenn gegen (extreme) Rechte auf Burschenschaftshäusern und deren akademische Ausbildung vorgegangen werden soll, muss besonders die Gemeinnützigkeit der Vereine, die Einbettung familiärer Strukturen und die Finanzierungsstruktur durch die Altherrenschaft fokussiert werden.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46