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Schule

Ungeeignet

Das Schulsystem versagt dabei, Menschen mit Behinderungen für den Lehrkräfteberuf zu gewinnen.

Foto: IMAGO

Ich weiß noch ganz genau, wieviel Bammel ich damals vor dieser vertrauensärztlichen Untersuchung nach der Einstellung hatte. Es zog sich dann auch – als es endlich so weit war, lange nach Ablauf der Probezeit – etwas länger hin. Befunde, Schreiben gingen im Wechsel der Jahreszeiten hin und her. Eines Tages erfuhr ich dann nach langem Warten, ich dürfe im Beruf bleiben. Ich freute mich sehr. Ich stand am Briefkasten meiner neuen, dank Lehrergehalt möglich gewordenen Wohnung und fiel gefühlt in einen Abgrund bodenloser Erleichterung. Dieser Moment ist in all seiner emotionalen Dichte, Körperlichkeit und existentiellen Tragweite für immer abrufbar in meinem Erinnerungsfundus abgespeichert. 

Neulich las ich das Schreiben des LAGeSo erneut. Sinngemäß steht da: da die Mäkel mit der Schwerbehinderung verwoben sind, soll er den Job machen dürfen. Mir wurde so ganz anders zumute bei dieser zweiten Lektüre, auch weil ich zu dem Zeitpunkt wusste: ich würde nunmehr meinerseits kündigen. Ich gehe ganz von alleine, denn ich will nicht mehr. 

 

Inklusion wird gepredigt, aber nicht gelebt 

 

Eigentlich standen schon im Referendariat die Zeichen um mich und dieses Lehrerding schlecht – denn eben die Hauptseminarleiterin, die uns messianisch die Tugenden der Inklusion predigte, versagte nur einige Wochen nach dem besagten Modul, als ich in ihrem Seminar wegen einer autistisch bedingten Reizüberflutung in Stress geriet und sichtbar meine Kompensationsstrategien anwandte. In der Pause bestellte sie mich dann in ihr Arbeitszimmer und faltete den erwachsenen Mann, der ich war, in die Verfassung eines heulenden kleinen Kindes zusammen. Eiskalt. 

Dass ich autistisch bin, wusste ich damals noch nicht. Das weiß ich erst seit meinem Burnout und kann es mir nunmehr mitunter auch so erklären. Aber auch die anderen, auf meiner mir bekannten Behinderung basierenden Erklärungsansätze, die ich in Rechtfertigung meines Verhaltens vorbrachte, bedeuteten dieser Vorgesetzten herzlich wenig. Sie war gekränkt und sie war sich wichtiger. Ich und meine Betroffenheit, meine Sicht auf die Welt waren irrelevant. Das hat tief gesessen. 

Etliche Jahre und eine lange Krankheitsphase später bin ich schlauer geworden. Ich blicke auf dieses Schulwesen mit seinem Inklusionsversprechen an die Lernenden und denke rein assoziativ: des Kaisers neue Kleider. Ein äquivalentes, real einforderbares Versprechen für die Menschen, die in diesem System arbeiten, gibt es meines Erachtens erst gar nicht, SGB IX hin oder her. Es ist eben eine Frage der Eignung. Aber wessen Eignung?

 

Die Eignung der Menschen und die Eignung des Systems

 

Die eine Lesart ist die beamtenrechtliche. Gefühlt muss man da in den Krieg gehen können, um als Lehrkraft an einer Schule zu arbeiten. Ist ja auch ziemlich harter Tobak, das will nicht in Abrede gestellt sein. Die andere Lesart entspringt der heraufbeschworenen UN-Behindertenrechtskonvention, die von Deutschland 2009 ratifiziert wurde. Dort wird die Behinderung nicht im Betroffenen und seiner Beeinträchtigung zur Teilhabe verortet, sondern in der Umwelt, die eben ohne guten Grund für viele hinderlich ist mit all ihren willkürlichen Barrieren. 

Auf die Frage, ob ich oder irgendwelche anderen sogenannten Behinderten in Schule arbeiten (dürfen) sollten, habe ich für mich keine abschließende Antwort gefunden. Aber die Frage stimmt mich sehr nachdenklich: immerhin ist die Schule kein Armageddon oder Kriegsschauplatz, sondern ein Ort, an dem Menschen sich in ihrer Individualität entfalten können sollen.

Einen weiteren, noch wichtigeren Unterschied zwischen Lernenden und Beschäftigten gibt es aber noch: während ich mit den Füßen abstimmen und gehen kann, können Lernende mit Inklusionsbedarf nicht ausbrechen, sind also darauf angewiesen, dass dieses System ihnen ermöglicht, ihre Potenziale und ihre Einzigartigkeit in Würde und ebenbürtiger Gemeinschaft zu erfahren. 

Eigentlich wären Menschen mit sachaffiner Lebenserfahrung doch eine ganz gute, vor allem auch glaubhafte Besetzung für diese Mission – oder?

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46