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Leser*innenforum

ungekürzte Leser*innenbriefe der bbz-Ausgabe Mai/Juni 2024

Zum Artikel „Zwei Schulstunden am Tag“ von Lisa Reimann bbz Mai/Juni 2023       

Ich arbeite an einer Förderschule mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt geistige Entwicklung. Mit mir arbeitet weiterhin eine Lehrerin und eigentlich eine Betreuerin. Ich selbst bin pädagogische Unterrichtshilfe. Die Betreuerin in meiner Klasse ist seit November 2022 krankgeschrieben. Auch zuvor war sie sehr häufig und sehr lange krank d.h. selten da.

Meine Kollegin, die Lehrerin, arbeitet 26 Unterrichtsstunden in der Woche und ist 23 Stunden anwesend, d.h. am Morgen und am Nachmittag bin ich mit vier schwerstmehrfachbehinderten Schülern alleine. Pflege, Nahrungsaufnahme (sondieren über die Peg Sonde), basale Förderung, Ritualisierung, Transfer in die Therapiestühle, Vorbereitung und Nachbereitung, all das muss ich alleine leisten. Ersatz gibt es nicht. Natürlich sind bei uns in der Klasse drei Kolleginnen – allerdings ist die Realität eine andere. Krankenstände sind da.  Durch die körpernahe Tätigkeit mit schwerstmehrfachbehinderten Schülern und die persönliche Assistenz, die diese benötigen, ist es kaum möglich, in Erkältungszeiten gesund zu bleiben. Also krank, erkältet und schlapp zur Arbeit schleppen. Ich bin 53, liebe meine Arbeit und ja, auch wir haben eine Schulzeitverkürzung für Schüler schon beantragt. Allerdings immer im Sinne der Schüler. Dass Eltern von Kindern mit Schwerstmehrfachbehinderung arbeiten gehen, ist doch eher die Ausnahme.

Auch mussten wir schon Schulzeitverkürzungen und Suspendierungen von Schülern beantragen, um unsere anderen Schüler zu schützen, zum Beispiel mussten wir vier schwerstmehrfachbehinderte Schüler davor schützen, dass sie einen herumfliegenden Stuhl abbekommen. Sie können ja nicht einmal ausweichen. Und natürlich können wir nicht an vier oder fünf Rollstühlen gleichzeitig zum Schutz stehen. Auch wird neuerdings bei mir in der Klasse eine Schülerin mit sehr herausforderndem Verhalten, vermutlich psychischer Störung, betreut, völlig falsch meiner Meinung nach, denn auch dafür gibt es Therapien, Verhaltenstraining etc., also sicher eine bessere Schule als ein Förderzentrum geistige Entwicklung. Ich könnte jetzt endlos so weitermachen und durch jede Klasse gehen. Ich finde Schulzeitverkürzungen haben einen Sinn. Natürlich sollten sie nicht endlos sein. Aber zu schreiben, dass die personelle Ausstattung toll ist, ist ein Hohn für uns, die wir täglich an unseren Leistungsgrenzen arbeiten. Vielleicht schaut ihr vorher erst mal in die Förderzentren. Kommt mal einen Tag mit zu uns, arbeitet mit uns und dann schreibt ihr eure Berichte. Andrea Kirsche

 

 

Zum Artikel „So wie es ist, so wird es nicht bleiben“ von Klaus Will und Ilse Schaad bbz November/Dezember 2023

In den letzten Jahren hat ein Generationswechsel in der GEW Berlin stattgefunden. Bei der Wahl für den Vorstandsbereich bewerben sich überwiegend neue Kandidatinnen, die der jungen Generation angehören. Im Gegensatz zu vielen anderen Gewerkschaften ist die Mitgliederzahl der GEW Berlin stetig gewachsen, dank der aktiven Politik im Erzieherbereich, der Organisation und Durchführung von Streikaktionen in den Bildungseinrichtungen. Aus diesen Gründen ist es eine gute Entscheidung der bbz-Redaktion, die Geschichte der GEW Berlin seit den siebziger Jahren durch eine Artikelserie zu verschiedenen Aspekten in Erinnerung zu rufen. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass nach 1989 viele neue Mitglieder aus dem Ostteil der Stadt die GEW als Interessensvertretung gewählt haben. Unsere Kollegin Lore Albrecht hatte schon vor über 10 Jahren über die Geschichte der Spaltung der GEW Berlin in Dokumenten und Ausgaben der "Berliner Lehrerzeitung" recherchiert und eine Abhandlung darüber verfasst, die sie dem damaligen Chefredakteur der "BLZ", Klaus Will, zur Weiterverwendung überließ. Es irritiert uns als Team der Seniorinnenvertretung, zu dessen Mitgliedern auch Lore Albrecht gehört, dass in dem Artikel von Klaus Will und Ilse Schaad an keiner Stelle diese Vorarbeit erwähnt wird, obwohl viele Passagen aus dem Bericht übernommen wurden. Wir kritisieren die in unseren Augen einseitig negative Darstellung der "GEW im DGB". Eva Besler

 

 

Zur bbz Januar/Februar 2024            

Mit großem Interesse und wenig Begeisterung verfolge ich die aufgeflammte Diskussion um den sogenannten Nahostkonflikt. Ich möchte mich an dieser Stelle zunächst bei der Redaktion der bbz dafür bedanken, dass sie diesem Thema bereits in der Januarausgabe so viel Raum gegeben hat. Besonders erfreut haben mich die klaren und kritischen Positionen des Landesausschusses für Migration, Diversität und Antidiskriminierung der GEW Berlin („Mehr Unterstützung für die Schulen statt Verbote“) und der Bildungsinternationale („Education International calls for urgent humanitarian ceasefire in Gaza“). Schwerer bekömmlich war der Bericht „Schule im Ausnahmezustand“, in dem unreflektiert berichtet wurde, wie israelische Kolleg*innen selbstbewusst mit Waffe in den Unterricht gehen und Freiwilligenarbeit für die Armee leisten bei der sie den Soldat*innen die Wäsche waschen und Kuchen backen. Was diese Kolleg*innen wohl zu den Repressionen gegen Meir Baruchin sagen? Der israelische Geschichtslehrer aus Petah Tivkah kritisierte  das Vorgehen Israels Armee in Gaza auf Facebook. Nach einer unrechtmäßigen Kündigung und vier Tagen in Einzelhaft in einem Hochsicherheitsgefängnis, wird er nun wegen Hochverrats angeklagt.

Noch schwerer zu ertragen, als Bericht über die kriegstaumelnden israelischen Kolleg*innen (die ja in der Tat in einem „Ausnahmezustand“ leben), ist für mich allerdings das Schweigen der GEW zu den Verbrechen Israels in Gaza und im Westjordanland. Es gibt weder auf der Seite der GEW Berlin, noch auf der des Bundes, ein klares Statement dagegen. Das wirkt schräg, wenn man sich Positionen zu anderen Konflikten und auch speziell die Äußerungen der GEW nach dem 7. Oktober 2023 anschaut ("Solidarität mit Israel"). Es entsteht der Eindruck, dass Solidarität und das bedingungslose Eintreten für Menschenrechte auch von der GEW sehr selektiv angewendet werden (Und es gibt gute Gründe, dies als Rassismus zu bezeichnen). Wann gibt es endlich ein Aufbegehren unserer Gewerkschaft gegen die grausamen Zustände in den palästinensischen Gebieten (Stichworte: Apartheid, Besatzung, massive Kriegsverbrechen)? Die Äußerungen israelischer Minister und des Präsidenten Netanjahu, die Bilder und Berichte aus Gaza und dem Westjordanland, die Anklage vor dem IGH gegen Israel wegen Genozid (das IGH sieht diesen Vorwurf als plausibel an und ermittelt!) - das alles ist furchtbar angsteinflößend. Im Kontrast dazu sendet die deutsche Regierung Waffen an Israel, entzieht dem UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA die finanzielle Unterstützung, setzt propalästinensische Solidarität dem Generalverdacht des Antisemitismus aus und hat über die letzten Monaten massiv Demonstrationsrechte und die Meinungsfreiheit im Allgemeinen eingeschränkt.
Wo bleiben eigentlich die Konsequenzen aus dem Beschluss 22 der LDV im Herbst 2023 ("Solidarität mit allen Opfern des Krieges im Nahen Osten! Gegen jede Form von Rassismus!")? Dort ist die Rede davon, dass wir humanitäre Hilfe fordern und prüfen, „ob wir selbst über die ideelle Unterstützung hinaus auch materielle Hilfe leisten können“. Was ist aus dieser ideellen und materiellen Hilfe geworden? Wo bleiben die öffentlichen Forderungen nach einer „sofortigen Waffenruhe“ (ebd.) oder nach der Beendigung der „Besetzung des Westjordanlandes“ (ebd.) auf der Internetseite, auf Social Media und aus dem Munde von Gewerkschaftsfunktionären? Was ist mit unserer zugesicherten Unterstützung für unsere Partnergewerkschaften vor Ort „bei allen Bemühungen, die zu einem dauerhaften Frieden im Nahen Osten beitragen können“? Wo vernehme ich die Ablehnung der „bereits eingeleiteten Schritte zur Begrenzung der Meinungs-, Demonstrations- und Redefreiheit“?
Ich weiß, es ist nicht leicht in Deutschland diese Positionen zu vertreten, welche konsequent und universell an den Menschenrechten festhalten. Aber es wäre daher umso wichtiger. Willi Hertelt

Anmerkung der Redaktion: Der israelische Lehrer Meir Baruchin wurde inzwischen wieder eingestellt und wird nicht mehr des Hochverrats angeklagt.

 

 

Zur bbz März/April 2024     

Die bbz ließ mich sprachlos zurück. Ich habe Familie in Gaza, die seit über 4 Monaten mit Familienmitgliedern – von fast 80 Jahren bis zu einem Säugling – in einer Kirche Schutz sucht vor Bombardierungen. Der die Lebensgrundlagen (Wohnungen und Arbeitsstätten) komplett zerstört wurden und die nun den Hungertod fürchten, da Israel seit Beginn des Krieges fast keine Lebensmittel und andere Hilfslieferungen ins besetzte Gebiet hinein lässt.
Anstatt einer Welle der Solidarität und Empathie mit den Menschen dort, wie ich es vom Umgang mit den immerhin flüchten könnenden Ukrainerinnen vor knapp 2 Jahren erlebte, erleben wir seit Oktober hier nur Unverständnis, Ausgrenzung, anti-palästinensischen Rassismus und den Vorwurf von Antisemitismus.
Unsere Herzen schmerzen.
Ihr abgedruckter Artikel (sowie auch alles was bisher nicht geschrieben wurde! Im Sinne von silence is violence) von Rosa Fava schlägt genau in diese Kerbe. Er entbehrt jeglicher Empathie und strotzt nur so von einer Doppelmoral, die von den meisten Ländern der Erde erkannt und benannt wird. Für mich, wie auch für viele andere Menschen, ist dies pure Gewalt. Es findet Mord an einer zivilen Bevölkerung statt, die in nur 4 Monaten weit mehr als 30.000 Tote zu beklagen hat (im aktuellen Ukrainekrieg, dem sie fast 20 Seiten widmen, wurden seit 2 Jahren 10.000 Menschen getötet). Die UNICEF spricht darüber hinaus von 115 getöteten Kindern pro Tag in Gaza. Diese Kinder scheinen der Berliner Bildungszeitschrift vernachlässigbar. A. S.

 

 

Vielen Dank für die Kolumne von Pablo Postigo Olsson. Er hat es in wenigen Worten geschafft, (m)ein alltägliches Dilemma ("Wer kommt jetzt an erster Stelle, die Schüler*innen oder ich?") auf den Punkt zu bringen!

Schade fand ich, dass die AG Friedenserziehung und Friedenspolitik es nicht schafft, den Anteil Russlands am derzeitigen Krieg mit auch nur einem einzigen Wort zu erwähnen. Kein einziges, wirklich, ich habe es mehrmals durchgelesen und nichts dazu gefunden - erbitte Korrektur, wenn doch dazu etwas gestanden hat. Ich jedenfalls kann so eine AG nicht ernst nehmen, die dermaßen einseitig und unausgewogen argumentiert. Selbst in einer "Kontra-Meinung", sollte es möglich sein, gewisse Dinge wie die völkerrechtswidrige Annektion der Krim oder ähnliche Ursachen für den Krieg zumindest anzudeuten.

Und Leser Isensee bezweifelt, ob der Nahost-Konflikt ausgewogen besprochen werden kann. Ich habe den Verdacht, dass er dazu weder willens noch fähig ist, wenn er schreibt: "... wenn die eine Partei die Besatzungsmacht ist und die andere von den Besatzern seit Jahren in ihrer Freiheit und Selbstbestimmung reglementiert wird". Ich habe selten eine derart unterkomplexe Zusammenfassung gelesen. Ambiguität ist eine Zumutung, aber für Demokratiebildung unerlässlich!

Sehr komplex, ausgewogen und unaufgeregt hingegen der Artikel zum gleichen Thema von Rosa Favo, vielen Dank dafür! Juliane Kühne

 

 

Zum Standpunkt „Periode als Klassenfrage“ von Johanna Zerbe bbz März/April 2024 

Ich war verwundert, dass die junge Kollegin die Menstruation offensichtlich allen, also auch Männern?, zuordnet, nicht mehr nur Frauen. Sie windet sich schier, das Wort FRAU zu benutzen. Was muss es furchtbar sein, eine Frau zu sein! Igittigitt!!! Figuren mit Kleid, in Schule arbeitende Menschen, Menstruierende, Lehrkräfte, Kinder und Jugendliche, Betroffene… Nicht einmal taucht das Wort Frau auf, als sei Frausein mit allem, was dazu gehört, etwas Anstößiges! Männer(-bünde) wollten in der Vergangenheit unsichtbare Frauen. Jahrzehnte haben Frauen dafür gekämpft, sichtbar zu sein. Daher macht es mich sehr stutzig, dass (der Begriff) Frau unter einer vermeintlich progressiven Fahne (= woke) einfach gestrichen wird. Und die GEW macht bei der scheinbaren Geschlechtergleichheit unter der Ägide der woken Ideologie mit, eine Gewerkschaft für einen Berufsstand, in dem vorwiegend Frauen beschäftigt sind. Auch ist in der Zeitung gar nicht mehr vom Frauentag die Rede beim Aufruf zur Demonstration! Was ist daran fortschrittlich? Diesen Kampftag haben nicht Transmenschen eingeführt. Traditionelle Geschlechterrollen zu überwinden, gehört(e) auch gestern schon zum Feminismus - nicht erst seit heute. Ich finde es im Übrigen längst überfällig, dass Menstruationsartikel für Frauen und Mädchen frei verfügbar sind. Ulli Domahs

 

 

Zum Schwerpunkt „Ukraine und Russland – Furchen eines Krieges“ bbz März/April 2024

Diese Ausgabe der BBZ hat sich zur Aufgabe gemacht, zum größten Krieg in Europa nach 1945 nicht schweigen zu wollen (C. Wälz, S.9) und dabei „verschiedenen Erfahrungen und Positionen Raum“ zu geben. Das Heft wird diesem Anspruch, verschiedene Aspekte oder Seien des Krieges und seiner Ursachen darzustellen, leider nicht gerecht. Der Schwerpunkt der Ausarbeitungen bleibt nach Form und Inhalt sehr einseitig. Von 18 thematischen Seiten zum Krieg zeigt eine einzige (Barbara Majd Amin u. a. „Waffen töten-Verhandlungen nicht“) eine grundlegend andere Sichtweise, indem sie den historischen Kontext des Krieges, seine Vorgeschichte und Ursachen aufzeigt. Das Verhältnis von 17:1 scheint mir kein ausgewogenes Verhältnis zu sein. Alle anderen Berichte und Interviews (außer dem von Barbara Majd Amin u.a.) unterstellen völlig undifferenziert die alleinige Schuld des Aggressors Russlands an dem Konflikt und/oder orientieren sich an einem viel zu simplen Gut-/Böse-Schema; hier (in der Ukraine) finden wir eine beeindruckende demokratisch-solidarische Kooperation, dort (in Russland) herrscht Propaganda und Repression. Das ist ein sehr einfaches, ich möchte doch behaupten, eher naives Weltbild, dass für ausgebildete Lehrer und Pädagogen nicht angemessen ist. Sollte dieser einzige Artikel (von B.M. Amin u.a.) nämlich der „Wahrheit näherkommen“, also politische Strukturen aufzeigen, die für die Entwicklung der Ukraine von wesentlicher Relevanz sind, dann ändert sich auch schlagartig die Bedeutung der anderen Artikel. Damit müsste man die in diesen Artikeln angesprochene gewerkschaftliche Arbeit, Unterstützung und Solidarität zumindest völlig neu überdenken.

Hier folgt meine Ansicht: Man muss   davon ausgehen, dass 2014 ein im Zuge der Nato-Osterweiterung undemokratischer Putsch gegen den „russlandfreundlichen Präsidenten Janukowitsch“ stattgefunden hat, der massiv von den USA, der Nato und einigen westeuropäischen Staaten unterstützt wurde. Im Gefolge davon wurden zahlreiche Gesetze, Antiterrormaßnahmen und Initiativen in die Wege geleitet, die eine Annäherung an EU und Nato herbeiführen sollten. Beispielsweise wurden amerikanische Militärbasen in der Ukraine errichtet. Gleichzeitig wurden Maßnahmen getroffen, die die russischstämmige Ost-Ukraine diskriminierten und drangsalierten (wie z.B. das Verbot russischer Fernsehsender und der russischen Sprache als Amtssprache). Die daraus entstandenen Spannungen führten zum Bürgerkrieg, der somit eher von der Westukraine und den Westmächten verursacht wurde. Dieser Bürgerkrieg, der seit 2014 zigtausend Menschen das Leben kostete, ist hiernach der entscheidende Bezugspunkt für eine politische Bewertung. Der Krieg hat dann folglich keineswegs erst mit dem Einmarsch der Russen 2022 begonnen, sondern der bereits 8-jährig wütende Bürgerkrieg zwischen der West- und der Ostukraine wurde ausgeweitet - zu einem Krieg der USA gegen Russland -  so lautet eine nicht ganz ungewöhnliche These oder Interpretation. Dann nämlich ist nicht Russland der initiative Aggressor, wie es die meisten anderen Artikel unterstellen. Somit würden diese Artikel in sich zusammenfallen und ließen sich inhaltlich nicht mehr rechtfertigen:

  • z.B.: Renate Hürtgen „Ein Plädoyer für die militärische Unterstützung der Ukrainerinnen…“; die militärische Unterstützung wäre jetzt in keinem Fall mehr zu rechtfertigen,
  • aber auch alle Artikel, die die gewerkschaftliche Arbeit unter Kriegsbedingungen thematisieren, passen nun nicht mehr. (z.B.: Interview mit Kateryna Maliuta-Osaulova „Bildung unter Beschuss“) Denn ein Krieg wäre – wenn Russland nicht der (oder zumindest nicht der alleinige) initiative Aggressor ist – ja vom Westen leicht zu vermeiden gewesen.
  • Auch wäre es ja keineswegs zu einer enormen Flüchtlingskrise mit allen negativen Implikationen gekommen. Der Artikel von Nicola Kub „Ukrainerinnen in Berlin“, wäre möglicherweise überflüssig gewesen.

Eine intensive historische Ausarbeitung des Konfliktes ist also unumgänglich. Sollte der eine Artikel (Barbara Majd Amin …. „Waffen töten – Verhandlungen nicht“) also ein richtiger Ansatz sein, dann müsste man die anderen Beiträge der 17 Seiten völlig neu schreiben. Ich würde klar dafür plädieren. Dieter Isensee

 

 

„Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ (K. Liebknecht 1915)

Der Artikel von Barbara Majd Amin et al „Waffen töten – Verhandlungen nicht“ steht für mich im ideengeschichtlichen Kontext der Arbeiter*innenbewegung. Denn internationale Solidarität und Antikriegspolitik im Sinne Karl Liebknechts bedeuten nämlich, kapitalkritisch gegen die Beteiligung des eigenen Landes an Kriegen Dritter Partei zu ergreifen. Gleichwohl ist die heutige kapitalistische Produktionsweise nicht mehr die von 1915, sondern die profitgetriebene Verwertung des Werts vollzieht sich überwiegend auf einem multipolaren Weltmarkt. Das international agierende Kapital ist aber auch nationalstaatlich organisiert und benutzt die staatliche Ummantelung für seine politischen und ökonomischen Interessen. Immer wieder erwachsen aus diesen Grundlagen politische, ökonomische und ökologische Konfliktkonstellationen, die sich in Kriegen wie dem in der Ukraine entladen.  Angesichts dieses vom Streben nach Profit und politisch-militärischen Einflusssphären geführten Krieges ist es daher nur folgerichtig, hier und jetzt von der Bundesregierung nicht nur das Ende der Waffenlieferungen in die Ukraine zu verlangen, sondern in Verbindung damit auch den Krieg einfrierende Verhandlungen zu fordern – so wie es die Autor*innen der GEW-AG „Friedenserziehung und Friedenspolitik“ vorschlagen.

Die Flutwelle medial aufbereiteter und von den kriegstreibenden Parteien formulierter Narrative ist mittlerweile auf das Ziel eines militärisch erzwungenen Siegfriedens ausgerichtet. Und sollte tatsächlich irgendwann die Ukraine aus diesem Krieg als die den Frieden bestimmende Partei hervorgehen, dann wäre ihre vollständige ökonomische, politische und militärische Einbindung in EU und NATO der nächste Schritt, verbunden mit umfassenden Kapitalexporten und der hegemonialen Verankerung des Neoliberalismus als neuer Staatsdoktrin im politischen Überbau.

Die Autor*innen der GEW-AG „Friedenserziehung und Friedenspolitik“ weisen zurecht darauf hin, dass der Ukraine-Krieg nicht zu verstehen ist, wenn nicht seine Ursachen in die Analyse der Kriegsgründe einbezogen werden. Von daher nennen sie in ihrem Artikel die „Ausdehnung der NATO an die russischen Grenzen“ als wichtigen Kriegsgrund. Woraus m. E. jedoch keine Legitimation für eine militärische Verteidigung „nach vorn“ – nämlich für den Einmarsch der russischen Truppen am 24.2.2022 – abgeleitet werden kann. Indem die AG sich an diesem Problem vorbeimogelt, hat sie ihrem politischen Ziel, der „Militarisierung unserer Gesellschaft“ entgegen zu treten, eine argumentative Delle verpasst, die es den sogenannten wertegeleiteten Kräften erleichtert, von der Notwendigkeit einer militärischen Schutzverantwortung für die Ukraine zu sprechen, um ihre Kriegsziele voranzutreiben.

Zu dieser Richtung gehört für mich auch die Philosophin und DDR-Bürgerrechtlerin Renate Hürtgen, Autorin des Artikels „Ambivalenzen aushalten“. Ihr Artikel besteht im Wesentlichen aus einer politischen Selbstdarstellung, um darin eingebettet zu behaupten, aufgrund ihrer „politischen Sozialisation in der DDR“ ein besonderes Verständnis für „die Lage der Ukrainer*innen“ zu besitzen. Mit dieser apodiktischen Selbstbezüglichkeit kann und möchte ich mich nicht auseinandersetzen. Vielmehr möchte ich in gebotener Kürze auf Hürtgens politische Schlussfolgerungen eingehen. Es handelt sich m.E. hier um simpel plakativ formulierte Propaganda für eine Fortsetzung des Ukrainekrieges um jeden Preis. Zu diesem Zweck bezeichnet Hürtgen „Putins Russland“ als eines „der reaktionärsten Mächte“, um gestützt auf dieses Narrativ bundesdeutsche Kriegsbeteiligung zu rechtfertigen. Und das wäre wohl das Letzte, wofür sich unsere Gewerkschaft hergeben sollte. Vielmehr kommt es jetzt darauf an, eine deutliche Stimme gegen die Beteiligung unseres Landes an dem mörderischen Krieg in der Ukraine zu erheben und die Friedensbewegung in beiden kriegsführenden Ländern nachhaltig zu unterstützen. Die GEW Berlin kann schließlich auf eine jahrzehntelange solide Friedenspolitik zurückblicken, an die es nach mehr als zwei Jahren Ukraine-Krieg endlich wieder anzuknüpfen gilt.  Ein erster Schritt könnte z.B.  das klare NEIN zum aktuellen Vorschlag der Bundesbildungsministerin sein, Zivilschutzübungen der Bundeswehr in die Lehrpläne der Schulen aufnehmen zu lassen.  Karl-Heinz Schubert

 

 

Nachdem ich sämtliche Artikel zum Thema gründlich gelesen hatte, blieb ich fassungslos zurück. Abgesehen von Informationen, die Auskunft geben über die Situation der geflüchteten Kinder und Jugendlichen in unserem Bildungssystem, was sicher sehr sinnvoll ist, und Informationen über die Situation im ukrainischen Bildungssystem, stellte ich eine sehr einseitige Berichterstattung fest. Eine lobenswerte Ausnahme bildet der Artikel der „AG Frieden“. Die Überschrift „Ukraine und Russland…“ suggeriert, dass es ausgewogene Informationen gibt, zumal Wälz in der Einleitung schreibt, er möchte  „...miteinander über Krieg ins Gespräch kommen…“ und andere „...auf Augenhöhe wahrnehmen…“. Es wird aber nur über Russland gesprochen, als Gesprächspartner kommt niemand aus Russland vor, sondern das Land ist die Inkarnation des Bösen, wird dämonisiert. Mit wem will denn Wälz auf Augenhöhe eigentlich ins Gespräch kommen? Hat die GEW wirklich nur zu Falken Kontakte? Könnt ihr keinen russischen Gewerkschafter finden, der die andere Seite sachlich darstellt? Das wäre ein Beitrag zur Völkerverständigung. Ich gehe davon aus, dass auch Wälz Frieden erreichen will. Und hier fehlt mir das Ausloten, wie Frieden erreicht werden könnte, denn das sollte das Ziel einer Bildungsgewerkschaft in Berlin sein, die sich dem Frieden besonders für unsere Kinder bisher immer verpflichtet fühlte. Da frage ich mich, mit welchem Ziel wurde diese Nummer der bbz gemacht? Z.B. eine Frau wie K. Maliuta-Osaulova zu interviewen, die so endet: „...alle bewussten Menschen im Ausland (sollen) die ukrainischen Forderungen für Frieden unterstützen.“ Hätte der Interviewer sie doch aufgefordert, diese „Forderungen für Frieden“ mal auf den Tisch zu packen. Vielleicht wäre einigen dann aufgegangen, wie fern der Realität sie sich damit bewegt.

Im Interview mit Igor Smirnow wird Russland von ihm mit Nazideutschland und Faschisten gleichgesetzt. Abgesehen davon, dass es nicht stimmt, verbietet sich so ein Vergleich nach unserer Geschichte, in der Deutschland die Sowjetunion 1941 überfallen hat, um neuen Lebensraum und Bodenschätze zu bekommen und die „Untermenschen“ verhungern zu lassen. 24 Millionen Tote haben wir dort hinterlassen. Auch in diesem Interview vermisse ich jegliche historische Einordnung und jegliches historische Verständnis für die Geschichte. Es gibt doch in der Welt außerhalb unserer „westlichen Blase“ eine andere Sicht auf die geopolitischen Prozesse, die sich zur Zeit in der Ukraine konzentrieren. Das Ganze wird nur noch getoppt vom Artikel „Ambivalenzen aushalten“ von Renate Hürtgen. Diese sich selbst als fortschrittlich darstellende Frau versteigt sich tatsächlich so weit, Waffenlieferungen zu fordern. Politiker und andere Kriegsbegeisterte, die den Krieg ständig anheizen und die Profite der Waffenkonzerne befeuern, können gern persönlich an die Front gehen und kämpfen. Ich erwarte aber, dass die GEW sich für Friedensverhandlungen einsetzt und etwas dazu beiträgt, dass unsere Kinder und Enkel nicht in einen 3.Weltkrieg gezogen werden.  Elke Dunkhase

 

 

Zum Artikel „Waffen töten – Verhandlungen nicht“ von Barbara Majd Amin, Lore Nareyek und Lothar Schwarz für die AG Friedenserziehung und Friedenspolitik     

Es scheint, als kommen die Autoren dieses Beitrages direkt aus dem Honecker-Seminar „Was immer richtig war, kann jetzt nicht falsch sein.“ Diese überwiegend lächelnde, harmlos erscheinende Gutmenschenrhetorik mit dem schier erschlagenden Heiligenschein „Frieden“ über den Köpfen ist doch schlicht entwaffnend.

Nicht dass damals meine Aufkleber „Frieden schaffen ohne Waffen“ keine Einreisegenehmigung in die DDR erhalten haben, Waffen brauchte man schon für den Frieden, man musste nur auf der richtigen Seite schießen können. So wie heute die Waffen in den Händen der Ukrainer viele Tote und Verletzte erzeugen, nicht aber die der russischen Putin-Soldaten und Drohnen.

Ich behaupte allerdings auch nicht, dass die „AG Frieden“ so naiv ist zu glauben, dass Russland die Waffen ohne einen weiteren Schuss abzugeben hinter ihre Staatengrenzen zurück trägt, das hätten sie längst tun können. Spätestens nachdem sie erkannt haben, dass ihnen die Bevölkerung nicht bejubelnd zuwinkt und sie als Befreier empfängt. Stattdessen bombardieren sie ihre sogenannten Befreiten.

Ganz unverblümt tritt diese AG dafür ein, dass die Bevölkerung der Ukraine sich nicht weiter zur Wehr setzen soll gegen dieses sinnlose barbarische Töten ihrer Männer, Frauen und Kinder. Auch die AG Frieden scheint den Putin-Traum von der Wiederherstellung des alten Sowjetreiches zu träumen. Dass die russischen Panzer bei einer Waffenniederlegung der Ukrainer das Land nicht komplett überrollen, wird ja wohl der naivste Leser nicht in Zweifel ziehen. Aber dafür hat die AG Frieden ja auch schon eine Rechtfertigung in petto, die Bedrohung durch die EU und Nato und die Unterdrückung der russischsprachigen Ukrainerinnen erfordert zwingend die Zerstörung ganzer Städte und die Tötung der vielen Zivilisten. (Auf die absurde Rechtfertigungsrhetorik einzugehen, würde mich nur noch zorniger und trauriger machen.)

Ich bin in einer Zeit groß geworden, da haben sich die beiden Blöcke nur wenige Meter voneinander gegenüber gestanden und niemand hat seinen Truppen den Marschbefehl gegeben, so wie Putin jetzt. Würde auch nur eine/r aus eurer AG ein Kinder oder Kindeskind für diese Pseudo-Bedrohung opfern wollen?

Vor dem Überfall auf die Ukraine wären Verhandlungen sinnvoll gewesen, das Zeigen von Bereitschaft und Menschlichkeit. Es gab viele Angebote, das Töten zu vermeiden. Sich jetzt hinzustellen und den Überfallenen die Schuld für dieses menschliche Leid anzulasten, ist nicht nur dumm und naiv, es ist vor allem hinterhältig und verlogen.

Mit wem sollte denn ein Waffenstillstandsabkommen vereinbart werden? Doch nicht etwa mit dem notorischen Lügner und gelernten Geheimdienstler, dem Falschspieler Putin. Dieser Lehrling aus der Kaderschmiede DDR, der die Taktik des Lügens in seine DNA aufgesogen hat, mit „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen.“ Dem fügt er hinzu:

»Ich kann versichern, dass keine russischen Truppen mit den Vorbereitungen für eine Invasion in die Ukraine beschäftigt sind« (Wladimir Tschischow in der »Welt«, Nov. 2021).

Und wie hat Putin sich an das von ihm unterzeichnete Minsk-II-Abkommen gehalten?

Und was muss man von seiner Äußerung im Interview mit Tucker Carlson (2024) halten, dass er „kein Interesse“ an einem Einmarsch in Polen habe. Ist dies nicht bereits eine deutliche Vorankündigung darauf?

Putin ist nicht Russland, und erst recht nicht die Sowjetunion, eher ist anzunehmen, dass er das russische Volk verachtet. Wie kann jemand, der „sein Volk“ liebt, dessen Kinder einem unsinnigen Krieg zum Fraß vorwerfen, sich an diesem Volk schamlos bereichern und ihm zu guter Letzt die Freiheit und Selbstachtung rauben? Die Welt dreht sich weiter und wer immer noch mit den Denkmustern aus den siebziger Jahren seine Schlüsse zieht, der wird in dieser Zeitschleife ersticken.

Wenn unsere angeblichen Friedensfreunde feststellen werden, dass der Bruderkuss in einem Schwitzkasten endet, wird es zu spät sein nach der verlorenen Freiheit zu fragen.

Meine Geduld, sich mit diesen verlogenen Moralapellen aus dem sozialistischen Bruderlager zu beschäftigen, ist ziemlich aufgebraucht. Eigentlich lohnt sich die Mühe nicht.

Natürlich bin ich für Frieden in diesem barbarischen Krieg, und mit Sicherheit wird er nicht ohne die Mitwirkung dieses Despoten erfolgen können, aber vor den Auswirkungen einer möglichen Kapitulation haben schon andere ausgiebig gewarnt.  Ralf Schiweck, Mitglied der Redaktion der bbz

 

 

Die GEW ist im Kleinen auch immer ein Spiegelbild der großen Welt. Im Kalten Krieg lag Berlin genau an der Schnittstelle, an der Mauer zwischen Ost und West. Obwohl wir bei dieser Frage auf Leben und Tod eindeutig zum Westen gehörten, gab es auch bei uns Kräfte, die eindeutig auf der Seite der Sowjetunion standen. Das waren u.a. die Kollegen von der SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlin), die ein Ableger der SED in der DDR war. Doch das ist lange her: Der Kalte Krieg hatte ein Ende, die SU ist zerfallen, die DDR, die SED und auch die SEW existieren nicht mehr. Die Verhältnisse haben sich total verändert. Aber eins ist geblieben: der immer noch riesige Nachbar Russland.

Russland hat sich nach einer Phase der Unsicherheit unter Putin daran gemacht, die alte SU wiederherzustellen und ein neues "Zarenreich" zusammenzufügen. In Tschetschenien, in Georgien und anderen Gebieten wurden nach gewaltsamen Interventionen Teile wieder angeschlossen.

2014 begann der Angriff auf die Ukraine, noch verdeckt, und die Krim und der Osten der Ukraine wurden abgetrennt. 2022 begann dann der Gesamtangriff auf die Ukraine mit dem erklärten Ziel, die Ukraine als souveränen Staat auszulöschen. Mit Ausnahme der Atomwaffen wurde das gesamte russische Waffenarsenal bis heute gegen Militär und Zivilbevölkerung der Ukraine eingesetzt. Tausende von Toten, Morde und Vergewaltigungen sind zu beklagen.

Obwohl die Sachlage eindeutig ist, gibt es auch jetzt in diesem Konflikt in der Bundesrepublik wieder Kräfte, die eindeutig auf Seiten Russlands stehen. Dazu gehören m.E. auch die drei Kollegen, die die Position: "Waffen töten - Verhandlungen nicht" im Auftrag der AG Friedenserziehung und Friedenspolitik verfasst haben. Kein Wort über die Zielsetzung Russlands. Kein Wort bei ihnen über den Überfall, die Opferzahlen, Morde und Vergewaltigungen. Nur Gründe für den Überfall, dazu noch höchst zweifelhafte. Dabei ist doch klar: Wenn mich jemand überfällt, um mich auszulöschen, gibt es nur den Weg der Verteidigung oder die Ergebung auf Gnade und Ungnade. Die Ukraine hat den Weg der Verteidigung gewählt. Gegen Waffen kann ich mich nur mit Waffen verteidigen. Wenn ich Glück habe, habe ich Nachbarn, die mir mit Waffen helfen. Die Hoffnung ist, solange zu kämpfen, bis der Angreifer genug hat und aufhört. Das kostet Opfer, aber den Kampf aufzugeben, wird auch Opfer kosten. Ich möchte die Kollegen der Friedens-AG nur an das "kleine" Beispiel Nawalny erinnern.  Eckhard Rieke

 

 

Insgesamt war der Schwerpunkt zum Krieg in der Ukraine mehr als lesenswert. Negativ fiel mir jedoch ein Beitrag auf. „Wofür kämpft denn die Ukraine heute?“ fragt der Text der AG Frieden und gibt sich dann die eigene, allerdings falsche Antwort. Die richtige hätte gelautet: Für das Überleben des ukrainischen Staates, der ukrainischen Kultur und Sprache und für den Erhalt einer sich emanzipierenden Gesellschaft, die die moskowitische Fremdherrschaft abstreifen will.

Im Text findet sich folglich eine Reihe schlicht falscher Behauptungen, die die Frage aufwerfen, ob die vorgebrachten Erzählungen nicht eher blenden als überzeugen sollen. Zwei Beispiele genügen. So hat die NATO im Frühjahr 2022 einen möglichen Frieden nicht verhindert.(1) Wie unsinnig dieses Narrativ ist, verrät schon ein Detail an entsprechender Stelle: Es sei 2022(!) angeblich um einen ukrainischen „Atomwaffenverzicht“ gegangen. In Wirklichkeit verzichtete die Ukraine bereits 1994 im Rahmen des Budapester Memorandums zu Gunsten Moskaus auf sämtliche Atomwaffen und zwar im Ausgleich für Sicherheitsgarantien und eine Anerkennung der Grenzen. Vielmehr bestand Russland in den Verhandlungen 2022, geführt während eine 200.000 Mann starke Armee an der ukrainischen Grenze aufmarschierte, auf massive Einschränkungen der Souveränität der Ukraine und auf einer bündnispolitischen Konstellation, die es Kyiw unmöglich gemacht hätte sich effektiv gegen eine spätere Aggression zu verteidigen.(2) Weiter im Text wird behauptet, die Bevölkerungen der Krim und der „Ostukraine“ wollten gar nicht Teil der Ukraine sein. Woher die Autor*innen das zu wissen glauben, bleibt unklar. In keinem der Oblaste dort fand der Zensus von 2001 russische Mehrheiten.(3) 1991 stimmten 4/5 der Bewohner*innen der ostukrainischen Oblaste für eine ukrainische Unabhängigkeit, 2014 vertraten in einer soziologischen Untersuchung 70% eine ähnliche Meinung.(4) Auch auf der Krim, deren einstige Bevölkerung die von der UdSSR deportieren Krim-Tatar*innen waren und die vom Regime des alten KGB-Obristen weiterhin verfolgt werden(5), fand sich eine, wenn auch knappere, Mehrheit für die Zugehörigkeit zur Ukraine. Ob aus Unwissenheit oder Ignoranz – den Autor*innen ist diese mehrfache Willensäußerung dieser Menschen scheinbar egal.

Frieden ist kein Frieden, wenn er mit der Auslöschung ganzer Staaten, der Deportation von Minderjährigen, Massenmord und einer Absage ans internationale Recht erkauft wird. Nein, das wäre Bequemlichkeit. Ich empfehle der AG demnach eine Namensänderung.

Nikolai Okunew

1 https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ukraine-russland-frieden-101.html

   https://www.wsj.com/world/did-ukraine-miss-an-early-chance-to-negotiate-peace-with-russia-d864b7c9

2 https://www.wsj.com/world/russia-ukraine-peace-deal-2022-document-6e12e093

3 http://2001.ukrcensus.gov.ua/eng/results/general/nationality

4 https://kiis.com.ua/?lang=eng&cat=reports&id=1138&page=1

5 https://www.themoscowtimes.com/2024/03/05/russias-fsb-detains-crimean-tatar-activists-religious-figures-a84339

Es ist eine Schande, dass so ein Text der einseitigen russischen Propaganda, Desinformation und Lüge in der bbz gedruckt wird. Der Zweck wird in der rechten Spalte extra hervorgehoben: Keine Waffenlieferungen zur Verteidigung an die Ukraine, um diese schutzlos dem imperialistischen Terror Russlands auszuliefern. Russland hat 1994 anlässlich der Übergabe der Atomwaffen durch die Ukraine die Souveränität der Ukraine und die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen garantiert. Garantien durch Russland sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Mit dem Plädoyer für Verhandlungen sollen friedenbewegte Menschen getäuscht werden. Russland hat sehr deutlich gemacht, dass Verhandlungen nur zu seinen Bedingungen stattfinden sollen – der vollständigen Kapitulation der Ukraine. Das Ziel der vollständigen Vernichtung des ukrainischen Staates und der ukrainischen Nation wird offen kundgetan. Die verlogene Begründung der NATO-Ausdehnung für notwendige ,,Verteidigungsmaßnahmen" Russlands basiert nicht auf Fakten. Noch 1997 hatte Russland in der Russland-NATO-Grundakte nichts gegen eine Ausweitung der NATO. Im Übrigen ist es das Recht jeder souveränen Nation, seine Bündnispartner selbst zu wählen. Bestritten wird dies nur von imperialistischen Staaten wie Russland. Abrüstungsvereinbarungen wurden einseitig von Russland gekündigt, von niemandem sonst. Nicht NATO-Staaten sabotierten die Friedensverhandlungen im März/April2 022, sondern Russland, welches auf dem Außenministertreffen in Antalya (10. März) sogar einen 24-stündigen Waffenstillstand zur Rettung der Menschen in Mariupol ablehnte. Ein ungeklärter Brand 2014 in Odessa, der nach einem Angriff prorussischer Aktivisten auf eine Demonstration von Fußballfans (Marsch der Einheit der Ukraine) mit Toten durch folgenden gegenseitigen Brandsatzbeschuss prorussischer oder proukrainischer Aktivisten ausgelöst wurde, findet Erwähnung als ,,Anschlag" - aber kein Wort zu den bisher 40.000 russischen Kriegsverbrechen, u.a. dem Massaker an Zivilisten in Butscha. Die Bezeichnung als Bürgerkrieg für eine durch eine russische Schattenarmee (grüne Männchen) vollzogene Aggression ist ebenfalls eine dreiste Lüge. Die Behauptung, die Bevölkerung der unter Verstoß gegen das Völkerrecht annektierten Teile des ukrainischen Staatsgebiets ziehe es vor, von Russland unterdrückt zu werden, wird sich unter den jetzigen Bedingungen der Okkupation und der nahezu vollständigen Übernahme der hohen Verwaltungspositionen durch ethnische Russen kaum beweisen lassen. Freie Wahlen oder Abstimmungen können in einem immer mehr zum Faschismus tendierenden Staat nicht durchgeführt werden. Widerstand gegen die Besatzung zeigt sich jedenfalls in Guerilla-Aktivitäten auf der Krim und im Donbass. Mit dem Versuch einer unterschwelligen Täter-Opfer-Umkehr stellt dieser Text eine Waffe im Propagandakrieg zugunsten russischer Interessen dar und rechtfertigt damit Völkerrechtsverstöße wie Massaker, Folter, Vergewaltigung, Kindesentführung und Bombardierung der Zivilbevölkerung. Der Abdruck dieses Textes untergräbt die Glaubwürdigkeit der GEW.  Arnold Zech-Gudra

 

 

Der Text der Autorinnen liest sich auf den ersten Blick logisch und schlüssig.

Viele Friedensbewegte aus den 80ern legen kurz das Strickzeug beiseite und leisten Beifall, es kling sympathisch. Außerdem ist jedem Leser Friede wichtig, also verhandeln. Leider ist die Angelegenheit nicht so einfach, wie sie sich den Autorinnen darstellt, die auf einer populistischen Welle schwimmen und die Möglichkeiten der beteiligten Parteien weit überschätzen.

Als ein Grund für den Krieg wird die `Ausdehnung der Nato` benannt. Diese etwas vordergründige Formulierung lässt außer Acht, dass der Beitrittsprozess von einem Land ausgehen muss, das im Rahmen eines komplexen Prozesses der Nato beitreten will. Voraus geht häufig ein Referendum oder ein anderer, meist demokratischer Prozess. Nach dem Zerfall der Sowjetunion haben einige der Länder, die nach dem 2. Weltkrieg in dem uns bekannten Verfahren in den Warschauer Pakt eingegliedert worden waren oder sich eingegliedert haben, Interesse an einem Beitritt in die Nato bekundet und sind bei Vorliegen diverser Voraussetzungen auch aufgenommen worden.

Die Ukraine nicht und es ist aus Sicht der Nato wohl auch nicht vorgesehen.  Es besteht mehrheitlich der Wille, dies aufgrund fehlender Voraussetzungen und anderer Gründe zu vermeiden. Es stimmt, dass Genscher und Baker noch 1990 auf eine Ausdehnung nach Osteuropa insgesamt verzichten wollten, wenn das vereinigte Deutschland zur Nato gehören dürfe. Putin, die AfD, das Corona-Leugner Netzwerk und andere erwähnen das immer wieder und insistieren auf einem angeblichen Versprechen. Im Rahmen sich ändernder Meinungen innerhalb der mittlerweile meist souveränen Staaten kann es naturgemäß keine endgültigen Versprechen geben. Jelzin, der Putin ins Amt geholt hat, stimmte den Nato-Beitritten 1997 zu. Die Annahme, Putin begründe damit auf hilflose Weise die eklatante Verletzung des Völkerrechts und benutze die Osterweiterung der Nato nur als Vorwand, wird bei näherer Betrachtung deutlich.

Man mag zur Nato stehen wie man will und ich teile die Auffassung vieler, die gute Gründe sehen, an einer friedlichen Nato zu zweifeln, es gibt eine blutige Spur, nur so weit. Jedoch: Weder die Nato, noch die USA hatten jemals die ernsthafte Neigung, Russland anzugreifen. Man kennt solche Äußerungen u.a. von Churchill unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, aber sie verstummten glücklicherweise im Prozess des gegenseitigen Wettrüstens.

Die baltischen Staaten hatten es eilig, der Nato beizutreten. Russland als Schutzherr war nicht attraktiv genug, die Jahrzehnte lange Bevormundung durch die Russen in der Sowjetunion sollte ein Ende haben. Der Wunsch nach einer souveränen Entwicklung stand im Vordergrund.

Folglich hat Russland nach Ansicht der Autorinnen die Ukraine auch nicht grundlos angegriffen. Offensichtlich darf man brutale Rache üben, wenn einem die politische Entwicklung im Nachbarland nicht gefällt und man einen Schuldigen benennen kann. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn von einem Bürgerkrieg ab 2014 die Rede ist. An anderer Stelle (UZ) ist vom ukrainischen Regime die Rede. Da ist die russische Propaganda nicht weit. Die grünen russischen Männchen waren Soldaten in anderer Kleidung, das wird kaum irgendwo bestritten. Und ja, es leben viele russisch sprechende Ukrainer im ganzen Land. Die russische Sprache war verbreitet wegen der politischen Nähe, der geografischen Bezüge und der über Jahrhunderte währenden freiwilligen oder erzwungenen Migration, so dass es auch überall Menschen gibt, die sich eher als Russen verstehen. Ob sie mit dem Krieg der russischen Eliten unter Putin einverstanden sind, ist die andere Frage. Viele von ihnen verleugnen mittlerweile die russische Sprache und Kultur. Und viele Russen haben ihr Land verlassen. Aber sie könnten in der Ukraine ihre abweichende Meinung sagen, wenn sie wollten, ohne ins Gefängnis geworfen zu werden. Das ist in Russland selbst nicht der Fall, im Gegenteil. Gefängnisse und Arbeitslager sind mittlerweile wieder gut gefüllt. Es gibt wenige Länder mit einer ähnlich autoritären Entwicklung, der Bomber von Aleppo hält die Zügel straff gespannt.

Und man deckt auf Kosten der Souveränität der Ukraine vor allem die nicht mobile Bevölkerung täglich mit Granaten ein, es geht um Macht und Einfluss und die gewaltsame Unterwerfung eines ehemaligen Bündnisgebietes. Man will vermutlich ein zweites Belarus und fühlt sich stark genug, weil man die Schwäche des anderen erkannt hat. Allerdings hat man nicht mit einer solchen Gegenwehr gerechnet.

Geopolitisch hat die USA als weltweite Führungsmacht ausgedient, China und Russland streben nach neuen Märkten, die unterschiedlichen Strategien zur weltweiten Einflussnahme sind zunehmend erfolgreich. Neue Bündnisse werden geschmiedet. Kleckern verbietet sich, es wird geklotzt.

Man muss sich fragen: Warum soll die Supermacht Russland mit dem größten Atomwaffenarsenal der Welt Angst vor der Nato haben? Von der 57.680 km langen Staatsgrenze bilden nur etwa 3,5%, also nur ungefähr 2000 km, eine gemeinsame Grenze mit der Nato. Die in den russischen Medien vorherrschende Demagogie, die Nato sei eine Bedrohung für Russland, ist auch deshalb leicht als Vorwand und bloße Propaganda zu erkennen.

Es ist vor allem auch ein Export des modernen russischen Nationalismus auf das Territorium eines souveränen Staates, mag man die oligarchischen Strukturen und korrupten Verhältnisse in der Ukraine bewerten, wie man will. Russland ist hier wie in anderen Bereichen kein gutes Beispiel, das ehemals sozialistische Eigentum befindet sich in den Händen weniger. Manche ehemals einflussreiche Russen fallen aus Fenstern, andere werden vergiftet oder erschossen, viele wandern in den Knast. Mehr geht irgendwie nicht, es ist fatal. Ganz entfernt ist es ja auch das Land Bulgakows, den sogar Stalin, dessen Blutspur nur durch Hitler übertroffen wurde, verschonen wollte. Sein Denken ist eigentlich wieder aktuell.

Heute wird die russische Machtpolitik ausgeübt von einem waffenstarrenden, staatlich organisierten Günstlingssystem, einer neuen Elite mit Mackie Messer an der Spitze. So gesehen verbietet sich Verständnisgeheuchel und die Verbreitung der Lüge, der westliche Kapitalismus und Frau Strack-Zimmermann oder Frau Annalena Baerbock seien die eigentliche Bedrohung. Die Autorinnen verwechseln Ursache und Folge.

Es mehren sich ernst zu nehmende Stimmen, die von einem beginnenden russischen Faschismus sprechen. Ihn in Umrissen zu erkennen, fällt nicht schwer. Und auch die Autorinnen werden solche Auffassungen nachvollziehen können, auch wenn es schmerzhaft ist. Putin meinte neulich in einem Interview auf die Frage, wer die Nazis in der Ukraine seien, denen er an den Kragen wolle, dies seien alle Ukrainer, die noch nicht eingesehen hätten, dass sie Russen seien.

Die erwähnten Friedensangebote, die angeblich auf dem Tisch gelegen hätten (schon 2014), waren Angebote der russischen Seite, die eine ukrainische Kapitulation zur Voraussetzung machten. Lawrow sagt ja auch aktuell, Russland wäre zu Friedensverhandlungen bereit, wenn die Ukraine im Vorfeld die territorialen Eroberungen akzeptiert. Wollen das die Autorinnen? Warum sagen sie es nicht? Ist das vielleicht nicht populär? Dann kann verhandelt werden.

Wie mutig die Autorinnen sind, mischen sie sich doch indirekt ein in die Kompetenz eines souveränen, einst sogar von Putin anerkannten Staates, der seine Atomwaffen an Russland abgegeben hat. Sie machen die Ukraine schlecht, ohne Russland ins Visier zu nehmen und, typisch für die mittlerweile bekannte Argumentation, lassen sie die Gräueltaten der anderen Seite unerwähnt. Das muss man sich erst mal trauen.

Und das alles auf Kosten der Schwächeren, auf deren Territorium seit zwei Jahren ein brutaler Krieg tobt, Gräueltaten in Massen verübt werden und der die völlig unproduktive Rüstungsproduktion weltweit befeuert.

Im ukrainischen Parlament, der Werchovna Rada, sitzen Abgeordnete von acht Parteien und 29 unabhängige. Im Gegensatz zur Ukraine gibt es in Russland aktuell keine nennenswerte Opposition, weder im Parlament, noch im Land. In der Ukraine ist die russische Sprache nicht verboten, es gibt aber kaum noch Ukrainer, die russisch sprechen wollen.

Die militärisch agierende russische Elite spricht der Ukraine das Existenzrecht ab. Ist das auch die Folie für die Autorinnen? Die Behauptung, es gäbe gar keine Ukraine und keine ukrainische Kultur ist eine russische Erfindung. Vor hunderten von Jahren, als Moskau noch ein Dorf war, gab es bereits eine vergleichsweise große Handelsniederlassung in Kiew. Bekannt ist das Reich der `Kiewer Rus`, die der Hobbyhistoriker Putin gerne vereinnahmen würde. Erst am Ende des eigenständigen politischen Gemeinwesens der Ukraine (Hetmanat), ergriff das Zarenreich die Chance, die Schutz suchende Ukraine schrittweise zu unterjochen, also erst in der jüngeren Geschichte. Und natürlich hatte die Ukraine wechselnde Grenzen, je nachdem, zu welchem Herrschaftsbereich sie gerade gehörte.

Die Ukraine soll verschwinden, um nicht als Beispiel für ein freieres Leben dienen zu können. Die russische Bevölkerung hat einen langen Weg vor sich.

Die aktuelle Wahl hat es gezeigt. Irgendwann wird die Zeit derer kommen, die um 12 Uhr in Schlangen vor den Wahllokalen standen.

Die Autorinnen blenden den Blick auf die angreifende Seite aus, das ist fatal und führt zu einem falschen Gesamtbild, das sie ja auch gar nicht entwickeln wollen. Es gibt nicht mehr die alte Sowjetunion, die manche aus vielerlei Gründen für bedroht hielten von Seiten der Nato. Vieles hat sich seitdem geändert, das gilt es zu erkennen. Es gibt eine moralische Grenze, aggressiver Nationalismus gehört nicht in die Zeit, obschon er sich überall auf der Welt heftig zu Wort meldet. Vor den Augen der Angreifer weiße Tücher auszubreiten ist eine Einladung, diese zu überschreiten und die Übernahme ohne Widerstand fortzusetzen. Da die Autorinnen nur den bösen Westen im Blick haben und die andere, aktuell viel aggressivere Seite vernachlässigen, die nur eine Bedrohung vorgibt, vermögen sie das nicht mit einzubeziehen.

Ob maßlose Waffenlieferungen der richtige Weg sind, ist eine andere Frage. Aber das schön klingende Wort „Verhandlungen“ als Generallösung und Strategie penetrant hochzuhalten, wenn diese gar nicht zwischen gleichen Partnern stattfinden können, ist schon ein großes und einsames Abenteuer und aktuell reine Illusion. Es schließt leider diejenigen aus, die derzeit angegriffen werden und keine gleichberechtigte Stimme haben. Da auch die internationalen Organisationen weitgehend hilflos sind, kann nach zwei Jahren Krieg leider von einer einfachen Lösung durch schlaue und vordergründig eingängige Parolen keine Rede mehr sein. Der Tisch, auf dem etwas Realisierbares liegen soll, ist im Nebel der Geschehnisse nicht auszumachen. Die selbstbewussten Autorinnen sollten den Ort benennen, wo er steht.

Tristan Liesen

 

Zum Schwerpunkt „Ukraine und Russland – Furchen eines Krieges“ bbz März/April 2024

Zunächst beglückwünsche ich das Redaktionsteam der bbz dazu, einen einer Gewerkschaft angemessenen Weg der Stellungnahme zu den Kriegsereignissen in der Ukraine gefunden zu haben. Die z.T. ergreifenden Berichte über die Auswirkungen des Krieges aus der Perspektive von vor Ort im Bildungsbereich Arbeitenden bringen neue Einsichten ( oder sollten es zumindest bringen) und gehen erfreulicherweise weit über das übliche „Hickhack“ zwischen sonst zu hörenden einseitig parteilichen und festgefahrenen Positionen hinaus.
Da hätte es der Gegenüberstellung der konträren  Positionen auf Seite 20/21 eigentlich gar nicht mehr bedurft, sind diese, insbesondere die der „ AG Frieden“, doch inzwischen hinlänglich bekannt.
Die Position von Frau Hürtgen argumentiert dagegen aus der Perspektive ihrer persönlichen Erfahrungen und eines Spezialwissens über das Ost-Westverhältnis – insofern anders und immerhin interessant zu lesen.

Die Position der „AG Frieden“ dagegen ist einseitig parteipolitisch gebunden und vertritt meiner Meinung nach sogar antigewerkschaftliche Positionen, nämlich folgende:
Der Angriffskrieg Russlands wird gerechtfertigt mit der „Vorgeschichte“, die Nato hätte sich bis an die russischen Grenzen ausgedehnt. Es wird also einer demokratisch gewählten Regierung nicht zugestanden, sich nach eigener Entscheidung einem Militärbündnis anzuschließen (so wie jüngst z.B. auch Finnland und Schweden). Was ist das für ein Demokratieverständnis?
Weiterhin: Die im letzten Teil aufgelisteten „Folgen“ beziehen sich  ausschließlich auf negative wirtschaftliche Nachteile der Ukraineunterstützung für die deutsche Bevölkerung – nur die Rüstungsindustrie dürfe sich freuen.

Nach meinem Verständnis hat eine Gewerkschaft aber nicht ausschließlich auf das wirtschaftliche Wohlergehen eines Landes bezogene Aufgaben zu erfüllen, ist also nicht nur für den Kampf für angemessene Lohnforderungen und gute Arbeitsbedingungen zuständig, sondern es geht auch immer um moralisch-ethisch bestimmte Forderungen wie Gerechtigkeit und Solidarität mit Benachteiligten und Unterdrückten im eigenen Land und in aller Welt. So wie sich die GEW z.B. gegen Kinderarbeit und Ausbeutung in bestimmten Regionen der Welt einsetzt.

Dazu gehört auch Solidarität und Beistand für ein geografisch nicht weit von uns entferntes Land mit einer demokratisch gewählten Regierung, wenn dieses von einem ungleich stärkeren und militärisch hochgerüsteten Nachbarland überfallen wird, zumal viele ukrainische Frauen und Kinder als Kriegsflüchtlinge bei uns Zuflucht gesucht haben, wovor gerade auch im Bildungsbereich doch niemand die Augen verschließen kann. Wir älteren GEW-Mitglieder, zu denen ich mich zähle, haben in den 1970er Jahren z.B. nach dem Putsch in Chile doch auch gegen das Pinochet-Regime protestiert, gegen den Vietnamkrieg, haben uns über den Sieg über faschistische Regierungen in Griechenland und Portugal gefreut, internationale Solidarität geübt und insofern nicht nur nationalbezogene eigene Vorteile in den Vordergrund von Forderungen gestellt (die Argumentation mit den wirtschaftlichen Nachteilen für Deutschland kann man getrost Parteien wie der AFD überlassen, die damit ihre Wählerschaft zur Genüge begeistert)!

Zuletzt möchte ich es auch als antigewerkschaftlich bezeichnen, mit bewusst falschen Behauptungen zu argumentieren. Ein Bürgerkrieg ist eindeutig so definiert, dass unterschiedliche Interessengruppen innerhalb eines Landes mit international anerkannten Grenzen Streitigkeiten mit kriegerischen Mitteln austragen. Insofern ist es einfach nicht richtig, von einem „blutigen Bürgerkrieg“ in der Ostukraine seit 2014 zu sprechen, wie es die „AG Frieden“ in ihrem Textbeitrag tut. Russland hat seine eigene Staatsgrenze überschritten und nicht nur die Ostukraine militärisch angegriffen mit dem Ergebnis, sich große Teile des Nachbarlandes einverleibt zu haben. Das weitergehende, von Putin formulierte Ziel, die Regierung in Kiew abzulösen durch eine russlandtreue, konnte bisher aufgrund internationaler Waffenhilfe für die Ukraine aufgehalten werden, ist aber nach wie vor das eigentliche Ziel Russlands, das nie Verhandlungsgegenstand für Putin sein wird. Nur wer das alles ignoriert und Russland unbedingt wieder als Handelspartner zum Vorteil der deutschen Wirtschaft haben will, schafft es, das wirkliche Dilemma der Kriegssituation in der Ukraine beiseite zu  drängen. Alles andere also als solidarisch! Christine Ewert

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