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Tendenzen

Unterwegs in rechten Netzwerken

Ben und Finn* besuchen die elfte Klasse am Johann-Gottfried-Herder-Gymnasium und sind Redakteure der Schüler*innenzeitung. Mit der bbz haben sie über die Recherche zu ihrem preisgekrönten Artikel »Rechtsklick« geredet.

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Foto: Adobe Stock

Wie seid ihr denn auf die Idee gekommen, nach Rechten in sozialen Netzwerken zu recherchieren?

Ben: Wir sind beide politisch interessiert und haben gemerkt, dass rechte Gruppen immer stärker in den Sozialen Medien aktiv sind. Es gibt bereits einige Berichte dazu, und wir fanden das Thema auch persönlich sehr spannend.

Finn: Ein Beitrag in dem Online-Magazin CORRECTIV hat uns dann auf die Idee gebracht, selber mal eine investigative Recherche zu machen.

Wie habt ihr euch auf diese abenteuerliche Recherche vorbereitet?

Finn: Eine technische Schwierigkeit war es, ein WhatsApp-Konto anzulegen, mit dem wir anonym kommunizieren konnten. Unsere persönlichen Telefonnummern wollten wir natürlich nicht benutzen. Wir haben dann eine Telefonnummer verwendet, die wir in der Vergangenheit für unsere Redaktion registriert, letztendlich aber doch nicht benötigt haben.

Ben: Im Chat mit rechten Nutzer*innen war es dann schwierig, sich einerseits vor einer Antwort genau abzusprechen, was man sagen will und gleichzeitig nicht zu lange Antwortzeiten zu benötigen, das hätte sehr auffällig gewirkt. Wir behaupteten außerdem, dass wir auf dem Bau arbeiten, um längere Antwortzeiten zu entschuldigen.

Habt ihr euch vorher einen Avatar mit Namen, Hobbies, Weltanschauungen et cetera zurechtgelegt?

Finn: Also wir haben erstmal einen 
Instagram-Account mit einer möglichst realistischen Biografie erstellt. Wir haben zum Beispiel angegeben, aus Bayern zu kommen und jung und konservativ zu sein. Dann sind wir ungefähr 100 offensichtlich rechten Instagram-Nutzer*innen gefolgt und haben von einem Nutzer das Angebot bekommen, in eine WhatsApp-Chatgruppe einzusteigen, in der sich Mitglieder der rechten Szene austauschen.

Ben: Bei der Erstellung unseres fiktiven Charakters haben wir uns von anderen Konten inspirieren lassen. Wir haben die Profile rechter Nutzer*innen analysiert und geschaut, wie typische Biografien und Bilder dort aussehen. In dem CORRECTIV-Beitrag stand auch, dass man spezifische Emojis benutzen und Leute damit anschreiben solle, zum Beispiel schwarze, weiße und rote Herzen. Das haben wir zum Teil auch gemacht.

Finn: Ab einem bestimmten Punkt sind dann andere rechte Nutzer*innen direkt auf uns zugekommen und haben uns zum Beispiel gebeten, für ihre Konten Werbung zu machen. Wir mussten dann selber gar nicht mehr viel suchen.

Wie habt ihr denn das Vertrauen der Nutzer*innen gewonnen?

Finn: Das war in der Tat schwierig, weil man uns bei WhatsApp zunächst in einer Art Vorgruppe eingeladen hat, in der wir uns vorstellen sollten. Danach wurde von den Administrator*innen abgestimmt, ob wir in die Hauptgruppe eingeladen werden. Das hat zum Glück dann auch geklappt. Entscheidend war dabei, dass wir vorgegeben haben, wirklich die Werte der Rechten zu teilen und Dinge gesagt haben, die wir in unserem richtigen Leben nicht befürworten würden.

Ben: Wichtig war definitiv auch, dass wir unser Sprachniveau angepasst haben. Wir hatten zum Beispiel einen Privatchat mit einem jungen Mann, der uns ziemlich direkt gefragt hat: »Bist du AfD oder NS?« Da mussten wir schon genau überlegen, wie wir sprachlich möglichst geschickt reagieren. Die Anpassung war nicht immer einfach, aber ich glaube, dass es uns ganz gut gelungen ist.

Finn: Wir haben zum Teil auch künstlich Rechtschreibfehler in die Nachrichten eingebaut, weil in den Nachrichten der Anderen viele vorkamen und das so authentischer wirkte.

Welche Funktion haben die verschiedenen sozialen Medien für die Rechten?

Ben: Instagram wirkt eher wie ein Portal für die Rekrutierung von neuen Anhänger*innen. Sobald man Kontakt hat, scheint sich die Kommunikation auf Netzwerke wie Telegram oder WhatsApp zu verlagern.

Finn: Wir hatten den Eindruck, dass wir über Instagram zu anderen Plattformen gelockt werden, wo die Kommunikation verschlüsselt und nicht so öffentlich abläuft. Gerade Telegram ist ja dafür bekannt, sich gegen Zensur einzusetzen und auch gegen offensichtlich schädliche Inhalte nicht vorzugehen.

Hattet ihr Angst, selbst Ziel von rechten Angriffen zu werden?

Finn: Die Gefahr war uns bewusst, und wir sind extrem vorsichtig vorgegangen. Wir haben alles doppelt und dreifach geprüft.

Ben: Wer den Artikel kennt, weiß jetzt natürlich auch unsere Namen und kann sich gegebenenfalls einen Reim daraus machen. Aber das ist das Risiko, wenn man der Gesellschaft etwas aufdecken und vor Augen führen möchte.

Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um Jugendliche vor solchen Inhalten zu schützen?

Ben: Es benötigt Bildungsmaßnahmen, um Jugendliche darüber aufzuklären, welche politischen Absichten hinter scheinbar harmlosen Bildern bei Instagram und Co. stecken können.

Finn: Problematisch sind auch die Filterblasen. Nachdem wir 25 Konten gefolgt waren, fanden wir auf unserer Startseite bei Instagram nur noch Inhalte von rechten Nutzer*innen. Hier kann man natürlich die Anbieter*innen in die Pflicht nehmen und verlangen, dass transparent dargestellt wird, wie der Algorithmus arbeitet.

Was sind eure journalistischen Pläne für die Zukunft?

Finn: Der Preis hat uns natürlich angespornt, weitere investigative Recherchen zu veröffentlichen.

Ben: Wir hatten eine Menge Spaß bei der Arbeit an diesem Artikel und werden in Zukunft sicher noch mal so ein Projekt starten.  

*Namen von der Redaktion geändert

 

Stammtischregeln und Menschenverachtung

Die beiden Schüler Ben und Fin finden über Instagram den Zugang zu einer rechtsextremen WhatsApp-Gruppe. Hier ein Ausschnitt aus ihrer Recherchearbeit »Rechtsklick«:

»In der Gruppe herrschen strikte Regeln. Offiziell werden keine Hitler-Bilder und keine Drogen toleriert. Ein dunkelhäutiges Mitglied sei geflogen, weil es sich nicht daran gehalten habe. Bis heute machen sich viele darüber lustig. Außerdem gilt: Wer »Wir schaffen das« schreibt, muss einen Euro in die Gruppenkasse einzahlen.

Später am Abend sendet eine Nutzerin den Link zu einem Video des AfD-Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio, der über die deutsche Justiz spricht. Er kritisiert Schuldsprüche, die in seinen Augen »Skandalurteile« darstellen. Die Reaktionen auf jenes Video wirken verstörend, ein Gruppenmitglied schreibt: »Wisst ihr, was jene Schlampe von Richterin gesagt hat? Dass ein härteres Urteil den Mann auch nicht lebendig macht. Könnt ihr euch eine schlimmere Verhöhnung des Opfers vorstellen? Keine Gefühle, keine Skrupel, keine menschliche Seite! Teufelin.«

Für weiteres Aufsehen sorgt ein Meme über Asylant*innen in Deutschland. Es bestätigt sich, worauf wir schon gewartet hatten. Der erste User schießt verbal gegen Flüchtlinge: »Das absolut Letzte! Wenn Menschen von anderen bezahlte und aufgebaute Flüchtlingsheime mutwillig niederbrennen, um ein besseres zu fordern, gehört ihnen nicht geholfen.« Er fordert, dass diese »Mistschweine« in ein Segelboot gesteckt werden – und dorthin zurückfahren sollen, wo sie herkommen. Die wohl befremdlichste Diskussion, die wir bisher miterlebt haben.«   

Link zur Recherche: https://blog.herderzeitung.de/rechtsklick/

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46