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Gewerkschaft

Verdrehte Welt im Tagesspiegel

Der Berliner Tagesspiegel wirft Anfang des Jahres die absurde Frage auf, ob GEW-Personalräte für die Fehler und das Versagen der Schulaufsicht verantwortlich sind.

Business people tug of war competition
Foto: Adobe Stock

Die Redakteurin Susanne Vieth-Entus, bevorzugtes Arbeitsfeld Bildungspolitik, behauptet, die Personalräte hätten die Schulaufsicht »gelähmt«, und zitiert als Beleg einen namentlich nicht genannten altgedienten (Ex-)Schulrat. So bot sie im Tagesspiegel einer Blütenlese professioneller Ausflüchterei die große Bühne: Da behauptet jemand, der GEW sei es in den neunziger Jahren gelungen, die Zahl der Personalräte in Berlin zu verdoppeln, während die der Schulräte halbiert worden sei. Riesige Personalräte zwängen wehrlose Schulräte unter ihre Knute und legten die Schulverwaltung lahm: »›Vor drei oder vier Schulräten stehen 15 Personalräte, die nichts selber schaffen oder entwickeln, sondern den Schulrat zu einem Einverständnis zwingen oder zumindest zu einem Konsens, weil der sonst lahmgelegt wird‹, kritisiert der genervte Gewerkschafter, dem an einer funktionierenden Verwaltung gelegen ist«.

Dass der angebliche Ex-Gewerkschafter für derlei Verschwörungstheorien seinen Namen nicht in der Presse lesen will, ist klar. Warum die Journalistin keine weiteren Fragen stellt, nicht. Investigativer Journalismus geht anders. Dabei hilft schon etwas historisch-politische Bildung:

Gute Gründe, mit Personalräten zusammenzuarbeiten

Am 3. Oktober 1990 wurde Berlin wiedervereinigt. Damit verdoppelten sich die Bezirke, die Stadträte – und die Schulräte. Und ja, nun wurden auch im Osten Personalvertretungen gewählt. Das wurde im Einigungsvertrag – nicht von der GEW – so ausdrücklich bestimmt. Zehn Jahre später wurde die Zahl der Bezirke, Stadträte und so weiter wieder reduziert. All das kann man nachlesen. Bekanntlich legen in Berlin nicht die Personalräte – auch nicht die Schulaufsicht – die bildungspolitischen Grundlinien fest, sondern die Parteien, seit 25 Jahren die SPD, davor die CDU. Anders als in Märchenstunden der Schulverwaltung können Personalräte Schulräte nicht »zum Konsens zwingen« – obwohl es stets gute Gründe gibt, die Personalräte zu berücksichtigen: Dort arbeiten Kolleg*innen aller Berufsgruppen. Sie sind kompetent und engagiert, haben mit allen Schulen Kontakt, wissen im Bezirk Bescheid, sind berlinweit vernetzt und haben mit der GEW eine starke und kompetente Gewerkschaft hinter sich. Von den Berliner Parteien sind sie – anders als die Schulverwaltung – unabhängig. Das muss man wissen, will man den massiven Vertrauens- und Ansehensverlust der Schulverwaltung analysieren, über den Vieth-Entus schreiben wollte.

Tatsächlich wiesen die Personalräte und die GEW früh auf viele bildungspolitische Missstände hin: auf die mangelhafte Ausstattung der Inklusion, das Versagen bei Ausbildung und Anwerbung einer ausreichenden Zahl von Pädagog*innen, bei Unterhalt und Neubau von Schulen, bei der Prognose der Schüler*innenzahlen, bei der IT-Ausstattung der Schulen, das fortwährende Versagen in der Coronapandemie und nicht zuletzt das Versagen bei der konstruktiven Bewältigung von Konflikten an einzelnen Schulen.

Auf allen Feldern haben Personalräte aus Kenntnis der beruflichen Praxis Vorschläge zur Abhilfe gemacht, hat die Bildungsgewerkschaft GEW konstruktive Ideen vorgebracht. Doch ignorieren Politik und Schulverwaltung die Personalvertretungen. Die Resultate sehen wir, wenn die leichtfertige Öffnung von Schulen in der Pandemie zurückgenommen wird, wenn Schulen keine Breitbandanschlüsse haben oder Erzieher*innen ohne FFP-2-Masken in den Notdienst gezwungen werden, ohne dass an die Gesundheitsgefährdung der Kolleg*innen gedacht wird.

Gemeinsam tragfähige Konzepte entwickeln

Selbstkritische Ursachenanalysen in Politik und Bildungsverwaltung bleiben aus. Lieber schimpft man von der Senatorin bis zum letzten Ex-Schulrat nach der Methode »Haltet den Dieb« auf Personalräte und die GEW. Die Entwicklung langfristiger, tragfähiger Konzepte in Kooperation mit den Personalräten, fürsorgliches Handeln auch den Beschäftigten gegenüber und die Zusammenarbeit mit der Bildungsgewerkschaft GEW könnten helfen, die Tradition schulaufsichtlichen Versagens zu beenden. Die GEW-Personalräte jedenfalls werden den Missständen weiterhin entgegenwirken.           

Der Artikel, auf den die Autor*innen sich beziehen, erschien zwar schon im Januar 2021, das darin behandelte Problem ist jedoch schon seit Jahren aktuell und wird es bleiben. Wer mehr lesen will, findet eine längere Version: hier „Wer ist schuld“

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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