Zum Inhalt springen

bbz 09 / 2019

Von Anfang an ausgenutzt

In Berlin können Studierende seit einiger Zeit in berufsbegleitender Ausbildung den Erzieher*innenberuf erlernen. Doch diese Ausbildungsform bietet einige Tücken

Der steigende Fachkräftemangel in den sozialpädagogischen Arbeitsbereichen hat zur Folge, dass zunehmend Nichtfachkräfte in den Bildungseinrichtungen arbeiten. Es gibt unterschiedliche Bestrebungen, die Lücken zu füllen. Deutlich wird jedoch, dass es sich zumeist um Quereinsteiger*innen handelt. Also Menschen, die zunächst fachfremd pädagogische Tätigkeiten übernehmen.

Eine Form des Quereinstiegs ist hierbei die berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieher*in. Von knapp über 10.000 Erzieher*innen in Ausbildung im Land Berlin befinden sich nunmehr 5.200 Studierende in eben dieser Ausbildungsform. Traditionell ist die Ausbildung zur Erzieher*in als Vollzeitausbildung angelegt und die berufsbegleitende Form war einer kleinen Gruppe zur beruflichen Neuorientierung vorbehalten.

Tricksereien mit schweren Folgen

Diese Entwicklung ist mit zwei Faktoren zu begründen. Einerseits haben Studierende so die Möglichkeit eine Art Ausbildungsvergütung zu erhalten. Viel wichtiger ist jedoch der Fakt, dass Erzieher*innen in berufsbegleitender Ausbildung ab dem ersten Tag ihres Einsatzes auf den Personalschlüssel angerechnet werden. Das ist für das Land Berlin, in dem alleine im Kitabereich circa 1.200 Erzieher*innen fehlen, äußerst lukrativ. Personallöcher werden so schnell und einfach gestopft.

Doch was bedeutet das im Einzelnen. Um die Probleme und Perspektiven der berufsbegleitenden Ausbildung näher zu beleuchten hat die Gesamtschüler*innenvertretung der Jane Addams Fachschule gemeinsam mit der GEW BERLIN eine Podiumsdiskussion veranstaltet.

Eingeladen waren die Jugend-politischen Sprecher*innen des Berliner Abgeordneten Hauses und Christiane Weißhoff, Leiterin des Vorstandsbereiches Kinder,- Jugendhilfe und Sozialarbeit der GEW BERLIN. Folgende Problemfelder konnten während der Diskussion herausgearbeitet werden.

Die Bezahlung für Studierende in der berufsbegleitenden Ausbildung zur Erzieher*in ist sehr unterschiedlich. Teilweise werden Studierende auf Minijobbasis mit einer monatlichen Vergütung von 450 Euro angestellt. Ausgehend von einer Wochenstundenarbeitszeit von 19,7 Stunden, entspricht das nicht mal dem Mindestlohngesetz. Im öffentlichen Dienst werden die Studierenden in berufsbegleitender Ausbildung im ersten Beschäftigungsjahr in die EG 5 Stufe 1 eingruppiert. Bei 19,7 Wochenstunden entspricht das derzeit einem Bruttolohn von 1.197,13 Euro. An dieser Stelle klagte Weißhoff das Land Berlin an und wundert sich: »Wie kann einerseits voll auf die berufsbegleitende Ausbildung gesetzt werden und gleichzeitig werden jegliche Standards und einheitliche Regelungen vernachlässigt«.

Erzieher*innen in berufsbegleitender Ausbildung werden ab dem ersten Tag zu 100 Prozent auf dem Personalschlüssel angerechnet. Das heißt, dass sie in den meisten Fällen auch ab dem ersten Tag in der Einrichtung die volle Verantwortung übernehmen müssen. Das führt zwangsläufig zu Überforderungen. Wenngleich immer mehr Einrichtungen Verantwortung übernehmen, um die Studierenden zumindest in der Anfangszeit vor Überlastungen zu schützen, müssen viele früh ganze Gruppen alleine betreuen, Entwicklungsgespräche führen oder in Eigenverantwortung die Sprachlerntagebücher führen. Melanie Kühnemann-Grunow, jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion sagte hierzu: »Ich wünsche mir keine Anerkennung auf dem Personalschlüssel«. Zu einem konkreten Lösungsvorschlag wollte sie sich dann dennoch nicht äußern.

Anforderungen von zwei Seiten

Als drittes Problemfeld haben die Studierenden die unterschiedlichen Anforderungen der jeweiligen Vertragspartner herausgearbeitet. Denn, Studierende in der berufsbegleitenden Ausbildung haben einen Ausbildungsvertrag mit einer Fachschule für Sozialpädagogik und einen Arbeitsvertrag mit ihrer Einsatzstelle. Diese zwei voneinander unabhängigen Verträge haben immer wieder zur Folge, dass sich die Interessen und Ansprüche der beiden Vertragspartner*innen im Wege stehen. Einerseits kommt es somit zu einer insbesondere zeitlichen Belastung der Studierenden. Andererseits gibt es nach wie vor keine Abstimmung der zwei Verträge zueinander. Denkbar wäre eine Ausbildungsvereinbarung, die sowohl Arbeitsinhalte, als auch die Bildungsansprüche vereint.

Katrin Seidel, jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion resümierte die Veranstaltung mit den Worten, »die berufsbegleitende Ausbildung ist ein Abenteuer, auf das man sich einlassen muss«. Damit es kein Abenteuer bleiben muss, haben die Studierenden mit der Podiumsdiskussion Probleme der berufsbegleitenden Erzieher*innen Ausbildung benannt und den politischen Verantwortlichen klare Hinweise mitgegeben, welche Aufgabenfelder sie zu bearbeiten haben.


Folgende Lösungen schlägt die GEW BERLIN für die berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieher*in vor:

Lösung 1:
Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sichert, dass die berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieher*in ein duales Studium wird, in dem es neben dem Arbeitsvertrag mit der Einsatzstelle eine gemeinsame Ausbildungsvereinbarung zwischen der Ausbildungsschule, der Einsatzstelle und den Studierenden gibt.

Lösung 2:
Die Studierenden in berufsbegleitender Ausbildung werden erst nach den ersten Ausbildungsjahr anteilig auf den Personalschlüssel in der Einsatzstelle angerechnet.

Lösung 3:
Da in Berlin ein sehr großer Teil der vorschulischen Bildung in freier Trägerschaft ist, fehlt es an Einfluss auf Tarifverträge und Bezahlungen. Durch Regelungen im KitaFöG und in den Rahmenvereinbarungen kann das Land Berlin die freien Träger der Jugendhilfe verpflichten, den Kolleg*innen Löhne analog zu den Entgelten im TV-L zu zahlen.


Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Ein bunter Haufen - Quereinsteiger*innen in der Kita“  [zur gesamten Ausgabe]