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Schwerpunkt "Mehr Lehrkräfte gut ausbilden"

Warum sie sich das antun

In den letzten Jahren ist die Zahl der Quereinsteiger*innen rasant gestiegen. Wir haben uns mit zwei von ihnen unterhalten und berichten von ihren Erfahrungen.

Foto: Adobe Stock

Wenn ich mit Verwandten und Bekannten über Schule spreche, kommen wir meistens an irgendeinem Punkt zum Thema Quereinstieg, und ich höre dann oft: »Bei uns an der Schule ist auch ein Quereinsteiger. Aber der ist ganz engagiert.« Aber. So als wäre das eher die Ausnahme. Vielen ist dabei gar nicht klar, dass der Quereinstieg eine berufsbegleitende Ausbildung mit deutlich schlechteren Ausbildungsbedingungen ist, als sie Lehramtsanwärter*innen im »normalen« Referendariat haben. Und dass, obwohl Quereinsteigende in den überwiegenden Fällen keine pädagogische Ausbildung haben. Wenn ich auf diesen Umstand hinweise, können es meine Gesprächspartner*innen meistens nicht glauben: Seit Jahrzehnten werden Quereinsteigende eingestellt, die ab dem ersten Tag alleine Schüler*innen unterrichten und das mit einer höheren Unterrichtsverpflichtung als ihre grundständig ausgebildeten Kolleg*innen. Auf Druck der GEW BERLIN hat die Senatsbildungsverwaltung die Bedingungen im berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst (bbVD) seit der Einführung 2005 schrittweise verbessert. Quereinsteigende können am sogenannten Qualifizierungsprogramm »QuerBer« teilnehmen, das auch eine Begleitung im Unterricht durch Externe beinhaltet. Seit dem Schuljahr 2017/18 bekommt die Ausbildungsschule zudem zwei Mentor*innenstunden. Grundsätzlich eine gute Sache, in der Umsetzung jedoch oft ein Feigenblatt, an dem es eine ganze Reihe von Kritikpunkten gibt (siehe Kasten).

Seit 2016 wurden allein an den Berliner Grundschulen mehr als 3.800 Kolleg*innen für den bbVD eingestellt. Und obwohl sich die schlechten Ausbildungsbedingungen im bbVD herumgesprochen haben, entscheiden sich zum Glück jedes Halbjahr wieder Menschen für eine Bewerbung. Sie informieren sich vorab unter anderem beim »Berlin-Tag« oder bei der GEW-Veranstaltung zum »Quereinstieg Schule und berufsbegleitende Ausbildung«. Immer wieder wurde mir hier berichtet, dass sich Bewerber*innen bei der zuständigen Stelle in der Senatsbildungsverwaltung nicht gut beraten fühlten, wenn es um die Anerkennung ihres Fachs ging, denn Grundvoraussetzung für die Zulassung zum bbVD ist ein Hochschulabschluss in »einem Fach der Berliner Schule«. Aber weil nicht alle ein Diplom beispielsweise in Mathematik haben, werden Bewerber*innen mit uneindeutigem Abschluss oft abgewiesen. Dabei ist es durchaus möglich, Mathematik auch für einen Abschluss in Architektur anerkannt zu bekommen. Es ist nur aufwendiger.

Auf der Suche nach einer sinnstiftenden Tätigkeit

Peter* hat einen Abschluss in Wirtschaftsingenieurwesen Physikalische Technologien und wurde damit für den bbVD mit den Fächern Physik und WAT zugelassen, beides Mangelfächer. Dass sich Peter für den Quereinstieg entschieden hat, obwohl er in seinem vorherigen Job deutlich mehr verdient hat, ist ein Glück für Berlin. Der Grund für seine Entscheidung ist durchaus typisch: »Ich war auf der Suche nach einer sinnstiftenden Tätigkeit.« Seit er im Quereinstieg ist, gibt es aber auch Momente, in denen er überlegt abzubrechen. Immer dann, wenn er an sechs bis sieben Tagen die Woche im Schnitt täglich zehn Stunden arbeiten muss und sich selber fragt: »Warum tue ich mir das an?« Es sind unter anderem sein Mentor und seine Schüler*innen, die ihn dann zum Weitermachen bringen. »Zu sehen, wenn Schüler*innen selbst eine Erkenntnis entwickelt haben und sie stolz ihr Produkt präsentieren können«, macht Peter am meisten Freude.

Es stimmt also nicht (in allen Fällen), dass Quereinsteigende nur auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen sind, wie es ihnen oft vorgeworfen wird. Ohnehin ist dieser Wunsch, gerade aus Gewerkschaftssicht, natürlich völlig legitim. Als ich Andrea* das erste Mal beraten habe, hatte sie ihr Baby dabei. Die Alleinerziehende war rund um die Welt tätig und sehnte sich nun nach einer Festanstellung im öffentlichen Dienst. Sie kam gerade aus der Türkei zurück, wo sie als Lehrerin gearbeitet hatte. Doch leider reichten weder ihre Lehrerfahrung noch ihre Hochschulabschlüsse, da sie beide keine Mangelfächer beinhalten, für die Zulassung zum bbVD. Sie musste deshalb den Weg über eine »Einzelfallentscheidung« gehen. Während sie berufsbegleitend studierte, um die nötigen Punkte für eine Anerkennung ihres Deutsch als Fremdsprache (DaF)-Bachelors zu bekommen, arbeitete sie befristet als Vertretungslehrerin an einer Grundschule. Die Schulleitung war mit ihrer Arbeit so zufrieden, dass sie eine »Einzelfallentscheidung« für Andrea initiierte. Durch die Anerkennung ihres Masters in Soziologie kam sie schließlich in den bbVD. »Ich hatte großes Glück! Die Schule und ich haben einfach zusammengepasst.« Ans Abbrechen hat sie nie gedacht, auch weil ihre Schule sie geschont und Wert auf die Ausbildung gelegt hat.

Erschwerte Ausbildungsbedingungen

Das gilt leider nicht für alle im bbVD. Während sich Lehramtsanwärter*innen und »vollausgebildete« Lehrkräfte an Grundschulen beziehungsweise mit Mangelfächern ihren Einsatzort faktisch auswählen können, landen Quereinsteigende oft an Schulen in schwieriger Lage, denn dort ist der Mangel überproportional groß. Beides beeinträchtigt meistens auch die Ausbildungsbedingungen. »Ein Einsatz in Berliner Brennpunktschulen wäre für mich eine große Herausforderung«, räumt Peter ein. Andrea findet, »es besonders für Kinder, die nicht so tolle Startchancen haben, wichtig, dass sie ein gutes Bildungsangebot bekommen.« Doch viele Quereinsteigende an Brennpunktschulen stellten nach dem bbVD einen Umsetzungsantrag oder kündigten, weshalb die Senatsbildungsverwaltung 2019 eine »Bindungs- und Rückzahlungsverpflichtung« eingeführt hat. Nun sind Quereinsteigende nach ihrem bbVD für zwei Jahre beziehungsweise drei Jahre, sofern sie vorher noch in den berufsbegleitenden Studien waren, an den Berliner Schuldienst gebunden. Leider ist manchen nicht klar, worauf sie sich dabei einlassen.

»Wer glaubt, dass engagierte Lehrkräfte viel Freizeit haben, sollte den Beruf nicht ergreifen«, meint Peter, der den Quereinstieg deshalb auch nur eingeschränkt empfehlen kann. Personen, die Spaß im Umgang mit jungen Menschen haben und sie auf ihrem Lernweg begleiten wollen, kann Peter jedoch den Beruf wärmstens ans Herz legen. Eine wichtige Erkenntnis ist auch, dass Lehren nicht automatisch Lernen bedingt. Insbesondere Quereinsteigende die vorher in der Unilehre oder der Erwachsenenbildung tätig waren, unterschätzen häufig die erzieherischen, pädagogischen, didaktischen und organisatorischen Aufgaben. Der Schritt in die Schule sollte wohlüberlegt sein, da der »Bruch im Lebenslauf" den Weg zurück in die freie Wirtschaft erschwert, wie zwei quereinsteigende Kollegen von Peter erfahren mussten, die nicht zur Staatsprüfung zugelassen wurden.

In der Regel sind Quereinsteigende lebensälter. Viele bangen daher, ob sie vor der Wiedereinführung der Verbeamtung die Altersgrenze überschreiten werden. Durch den Wegfall der bisher gezahlten Zulage zur Stufe 5 für angestellte Lehrkräfte, wäre ihr Gehalt dann deutlich geringer. Eine weitere Benachteiligung von Quereinsteigenden könnte den bbVD noch unattraktiver machen und damit dramatische Folgen für die Anzahl der Bewerbungen haben. Wichtiger denn je würde dann die Anerkennung von sogenannten förderlichen Zeiten wegen Berufserfahrung sein, mit der Angestellte eine höhere Entgeltstufe bezahlt bekommen. Dabei ist ausschlaggebend, dass die Geltendmachung durch die Schulleitung vor Vertragsabschluss eingereicht wird. Allen betroffenen Kolleg*innen sei hier dringend empfohlen, sich bei dem für sie zuständigen Personalrat rechtzeitig zu informieren. Andrea erinnert sich mit Grauen: »Die Bewerbung war ein einziges Dokumentenchaos! Diese Masse an Nachweisen, die man erbringen musste, war enorm und bei mir noch einmal schwieriger, da ich im Ausland gearbeitet hatte.« Belege müssen in solchen Fällen amtlich übersetzt werden. »Die beleghafte Einreichung der Bewerbungsunterlagen ist nicht zeitgemäß!« ergänzt Peter, Upload-Möglichkeiten fehlten durchweg.

Die Berliner Senatsbildungsverwaltung hat in den letzten Jahren durch zahlreiche Maßnahmen erfolglos versucht, dem Lehrkräftemangel zu begegnen. Ohne eine Evaluation der Wirksamkeit wurde die sogenannte Brennpunktzulage wiederholt beschlossen. Dennoch können weiterhin viele Lehrer*innenstellen vor allem an Schulen in schwieriger Lage nicht mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden. Die Berliner Schule ist deshalb auf Quereinsteigende angewiesen. Ob die Rückkehr zur Verbeamtung daran etwas ändert, wird sich noch zeigen.           

*Die Namen sind auf Wunsch der Kolleg*innen geändert.

KRITIK AN DEN MENTOR*INNENSTUNDEN

  • Nur zwei Stunden pro Quereinsteiger*in.
  • Im Grundschullehramt wird in drei Fächern ausgebildet, deshalb wird ein Fach oft nicht durch eine*n Mentor*in abgedeckt.
  • Eine wöchentliche Unterrichtsverpflichtung von 17 Stunden plus drei, im Grundschullehramt vier, zu besuchende Seminare erschweren die Möglichkeit eines regelmäßigen Termins.
  • Wenn Schule an Unterausstattung leidet, kann keine Senkung der Unterrichtsverpflichtung für Mentor*innen erfolgen.
  • Wenn (an kleinen Schulen) alle Fachlehrkräfte beispielsweise für Musik Quereinsteigende sind, kann es keine Mentor*innen geben.
  • Die Mentor*innenqualifizierung ist freiwillig.
Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46