09 / 2014
We don't need no education?
Hurra, wir kooperieren: Über die Hürden einer kooperativen gymnasialen Oberstufe
Einer der Leitgedanken der Schulstrukturreform war, die Hauptschule abzuschaffen und dadurch mehr Chancengleichheit für alle SchülerInnen zu bekommen: Zwei gleichwertige Schulformen stehen nebeneinander, die ISS und die Gymnasien, die beide zum Abitur führen können. Gymnasien für die »Klassiker«, ISS für diejenigen, die mehr Zeit und Unterstützung brauchen. Durch gezielte Binnendifferenzierung soll die heterogene Schülerschaft einer ISS zu den bestmöglichen Abschlüssen geführt werden. So weit, so gut.
Nun ist aber im Zuge dieser Reform noch eine weitere »Schulart« aufgetaucht oder gar nicht verschwunden: eine Art ISS, in der man von der Heterogenität im Leistungsbereich, also einer ausgewogenen Mischung aus leistungsstärkeren und leistungsschwächeren SchülerInnen, nicht sprechen kann. Wenn im siebten Jahrgang einer Oberschule lediglich 3 SchülerInnen unter 60 die gymnasiale Empfehlung mitbringen und die Durchschnittsnote einer Klasse 3,6 ist, habe ich Schwierigkeiten, von einer »gleichwertigen« Schulform zu sprechen. Das abgeschaffte Wort »Hauptschule« (nur jetzt mit wesentlich höherer Schülerzahl pro Klasse) kehrt in meinen Sprachgebrauch zurück. Diese Schulen werden offiziell ISS ohne eigene gymnasiale Oberstufe (GO) genannt. In den meisten Fällen handelt es sich um »Bonusschulen« (die Bezeichnung Brennpunktschulen ist mit dem Start des Bonusprogramms auch verpönt).
Ungleiche Paare
Neben den allgemeinen Aufgaben wie Schulprogramm, Sprachkonzept, Differenzierungskonzept kommen bei den Bonusschulen noch Aufgaben hinzu wie Bonus-Programm-Zielvereinbarungen, sozial-pädagogisches Konzept für Umgang mit Schuldistanz und Gewalt, Berufsorientierung-Konzept. Und jetzt auch noch ein Konzept für die kooperative GO. Denn die ISS ohne GO müssen in der Regel den ersten Schritt machen und eine ISS oder ein OSZ mit GO »erobern«. Die Bildungsverwaltung hat zu diesem Thema »Berliner Eckpunkte für nachhaltige Kooperation zwischen ISS und beruflichen Schulen« erarbeitet. Die 67 Seiten beschreiben detailliert, wie eine Kooperation mit Leben gefüllt werden soll.
Beim Durchlesen der Eckpunkte, die unbestritten sinnvoll sind, drängen sich bei mir sofort zwei Fragen auf: WANN soll das Ganze gemacht werden und WER soll es machen? Also Fragen nach zeitlichen und personellen Ressourcen, die für mich leider unbeantwortet bleiben. Darüber hinaus können die Machtverhältnisse zwischen den Schulen aus dem Gleichgewicht geraten: Eine ISS ohne GO ist auf die Kooperation angewiesen. Aber warum sollte sich eine ISS mit eigener GO diese Aufgabenfülle reinziehen? Und sind die »Bonus-SchülerInnen« überhaupt erwünscht?
Abi-Ranking: Spieglein, Spieglein an der Wand ….
Die SchülerInnen, die an einer Bonus-Schule die Berechtigung zur GO erreichen, brauchen in der Regel weiterhin viel Unterstützung, um das Abitur erfolgreich abzulegen. Viel wichtiger als die örtliche Nähe der beiden Schulen sind deswegen die Bereitschaft der Schulen mit GO zur »Beziehungsarbeit« und die fortgehende individuelle Förderung. Wenn den SchülerInnen in der 11. Klasse ständig angedeutet wird, dass sie im Vergleich zur eigenen Schülerschaft leistungsschwach, undiszipliniert und eigentlich fehl am Platz sind und dazu noch den Abi-Durchschnitt der Schule senken, kann keine fruchtbare Kooperation entstehen. Man kann solchen Schulen allein aber nicht die Schuld in die Schuhe schieben – durch die Veröffentlichung der Abiturdurchschnittsnoten wurde die Konkurrenz und die Entsolidarisierung zwischen den Schulen mit GO noch verschärft. Jede Schule will so gut wie möglich abschneiden und die Schülerschaft aus Gymnasien, die sich nach der 10. Klasse entscheidet, das Abi doch an einer ISS und nicht am Gymnasium zu machen, bringt in der Regel einen besseren Platz beim Ranking. SchülerInnen aus Bonus-Schulen kosten dagegen viel mehr Kraft und haben einen erhöhten Förderbedarf – warum sich also das Leben schwerer machen, als es schon ist? Durch das Abi-Ranking hat die Bildungsverwaltung den Bonus-Schulen einen Bärendienst erwiesen. Wer möchte schon freiwillig SchülerInnen, die das Ansehen der Schule senken? Wer möchte schon als die »dümmste« Oberschule Berlins gekrönt werden?
Ein Freund in der Not ist ein wahrer Freund
Wer akzeptiert unsere Bonus-SchülerInnen mit ihren Ecken und Kanten? Diese Frage sollte sich jede ISS ohne eigene GO vor der Schließung einer Kooperationsvereinbarung stellen. Aus meiner Erfahrung ist die Solidarität zwischen Schulen mit ähnlichen Ausgangsbedingungen am größten. Das heißt, die Schulen, die von der Bildungsverwaltung durch die letzten Plätze beim Ranking »ausgezeichnet« wurden, zeigen das größte Verständnis und die größte Bereitschaft, die Bonus-Schülerschaft aufzunehmen und weiterhin zu fördern. Dass es viele von ihnen überhaupt bis zum Abi schaffen, gleicht häufig einem Wunder. Wenn wir ihren Lernzuwachs messen würden (und nicht nur die Endnote), würde das Ansehen dieser Schulen wesentlich erhöht. Von der Wertschätzung der PädagogInnen an den Bonusschulen mal ganz abgesehen