bbz 11 / 2019
Weder Opfer noch Täter werden
Im Rahmen des Schulprojektes »Kinder haben Rechte« bekam die Klasse 8b der Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg Besuch von der Polizei. Die Schülerin Julia hat deren Präventionsbeauftrage Anja Dix interviewt. Das Interview führte Julia, 14 Jahre
Julia: Frau Dix, Sie arbeiten in Neukölln, vor allem mit Kindern. Was machen Sie genau?
Dix: Ich arbeite in der Prävention. Das heißt, ich führe viele Anti-Gewaltveranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen durch und bereite sie darauf vor, dass sie weder Opfer noch Täter werden.
Julia fragt: »Was sind denn im Einzelnen die Rechte von Kindern?« Anja Dix gibt die Frage an die Schüler*innen zurück: »Was glaubt denn die Klasse, was Kinder brauchen?« Die Schüler*innen tragen zusammen: Schlaf, Liebe, Nahrung, Freizeit, Taschengeld, Unterkunft, ein Bett, Bildung, Freund*innen, Respekt, Schulpflicht, Erziehung, Meinungsfreiheit, Freiheit und Privatsphäre.
Welche Kinderrechte werden ihrer Meinung nach in Neukölln verletzt?
Dix: Ich habe schon erlebt, dass ein Kind erzählt hat, dass es mit dem Kochlöffel geschlagen wird oder, dass Mädchen sich nicht uneingeschränkt treffen oder bewegen dürfen. Dann werden die Brüder hinterhergeschickt. Ich habe auch schon erlebt, dass Mädchen sich ritzen, weil sie vom Vater missbraucht werden. Einmal haben uns Nachbarn angerufen, weil ein dreijähriges Mädchen alleine zu Hause war, da wird die Aufsichtspflicht verletzt. Manche Mädchen, auch schon die Kleinen, sagen tatsächlich: »Ich habe ein kleines Geschwisterbaby, auf das ich aufpasse.« Die haben dann keine Freizeit. Wie oft bin ich in Klassen, wo die Kinder kein Essen, kein Trinken dabeihaben und mit einem leeren Schulranzen kommen. Kinderarbeit kommt auch vor.
Was können Kinder tun, wenn ihre Grundrechte verletzt werden?
Dix: Prinzipiell kann sich überall Hilfe geholt werden. In der Schule könnt ihr zur Lehrkraft gehen oder nachfragen, ob die Handlung der Eltern erlaubt ist. Natürlich ist es schwierig, sich gegen die Eltern aufzulehnen, aber manchmal ist es unumgänglich, vor allem bei Zwangsehen. Man kann zum Kinderschutzteam gehen oder dort anrufen. Das geht auch anonym. Auch das Jugendamt hilft, aber das Kind muss den Schritt schaffen und um Hilfe bitten. Es gibt auch die Schulsozialarbeit, an die man sich wenden kann. Natürlich sind auch wir Ansprechpartnerin für Kinder und Jugendliche.
Für welche Fälle ist die Polizei zuständig? Welche Rolle spielt sie?
Dix: Für alles, das den Schutz von Kindern angeht. Bei körperlicher Gewalt, bei Verletzung der Fürsorge oder Erziehungspflicht, da geht es um psychische und um die körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. In der Regel kommt bei Verstößen auch die Kriminalpolizei. Bei Gefährdung des Kindeswohls grei-fen wir sofort ein. Die Polizei informiert das Ju-gend-amt und stimmt sich mit diesem ab. Die Kinder- und Jugendnotdienste sind auch Samstag und Sonntag besetzt.
Warum haben Kinder oft Angst zur Polizei zu gehen, wenn ihre Rechte verletzt wurden? Welche Hürden gibt es?
Dix: Weil die Polizei verpflichtet ist, es den Eltern zu melden. Auch beim Jugendamt kommen die Kinder da nicht drum rum. Kinder kommen dann in Loyalitätskonflikte, sie wollen nicht schlecht über die Eltern reden. Kinder haben dann Angst, Ärger zu bekommen und weiter bestraft zu werden oder ohne Eltern da zu stehen. Kinder haben auch oft Angst vor den Täter*innen.
Wäre es sinnvoll, wenn die Kinderrechte ins Grundgesetz kommen?
Dix: Viele der Dinge sind schon im Grundgesetz verankert. Eltern dürfen nicht die Würde von Kindern verletzen und müssen sich um sie kümmern. Spontan weiß ich noch nicht, welche Kinderrechte ich dort ergänzen würde.