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Zeit zu leben, Zeit zu arbeiten

Weniger arbeiten, mehr verdienen

Auch im Bereich Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit ist ein Umdenken in Sachen Arbeitszeit notwendig. Auf der einen Seite bedroht Zwangsteilzeit die Existenz vieler Kolleg*innen. Auf der anderen Seite sind Kolleg*innen in Vollzeit durch zu knappe Personalschlüssel überlastet.

Foto: Bertolt Prächt

Zeit zu leben, Zeit zu arbeiten. Das ist einer der zentralen Beschlüsse, die auf dem 28. Gewerkschaftstag der GEW BERLIN gefasst wurden. Die GEW führt damit die Debatte um eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung sowie eine Arbeitszeitreduzierung. Wieviel Arbeitszeit können die Kolleg*innen aufbringen und trotzdem noch ihrer privaten Lebenszeit gerecht werden? Diese Frage betrifft alle pädagogischen Fachkräfte, unabhängig davon wie und wo sie arbeiten. Um auch im Bereich Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit eine moderne Arbeitszeitverkürzung zu realisieren, ist zunächst eine Bestandsaufnahme notwendig.

Die Finanzierung der Träger der Jugendhilfe ist üblicherweise subjektfinanziert und hat zur Folge, dass Kostenerstattungen nur erfolgen, wenn auch tatsächlich Kinder oder Jugendliche betreut werden. Deswegen verbuchen die Träger bei schwankenden Betreuungszahlen variable Einnahmen. Bei gleichbleibenden Lohnkosten kann das zur finanziellen Belastung führen. Die Träger haben darauf eine ganz einfache Antwort, wie Jens Rudolph, GEW-Mitglied und Betriebsratsvorsitzender eines freien Trägers der Kinder- und Jugendhilfe mit 800 Kolleg*innen zu berichten weiß. Auch bei ihm im Betrieb gäbe es Zwangsteilzeit, so Rudolph. Sein Arbeitgeber begründe das vor dem Betriebsrat oft so, dass das Unternehmen die Flexibilität benötige, um das Arbeitszeitvolumen nach Bedarf zu steuern. »Praktisch bedeutet das eine Anhebung der Arbeitszeit nach Arbeitgeberanforderung, außer wenn weniger Klient*innen da sind. Und es bedeutet ganz häufig schwankende Arbeitszeiten. Das belastet die Kolleg*innen«, bemängelt der Betriebsrat. Weder Geld noch Zeit seien zuverlässig planbar und das Unternehmen verlagere seine Geschäftsrisiken auf die Beschäftigten.

Für Kolleg*innen, die in einer Kindertagesstätte in Vollzeit arbeiten, sieht die Situation aus anderen Gründen nicht gut aus. Cem Erkisi ist Erzieher in einer Neuköllner Kita und klagt darüber, dass er meistens nicht wirklich die Kraft habe, sich noch um seine eigenen Interessen zu kümmern, wenn er nach der Arbeit nach Hause kommt. Er sei dann wirklich müde. Der Personalschlüssel ist so knapp bemessen, dass er teilweise über mehrere Stunden alleine mit bis zu 15 Kindern ist. »Da Ausfallzeiten in der Personalausstattung eingerechnet sind, gibt es bei Krankheit oder weiterer Abwesenheit meiner Kolleg*innen nur selten Ersatz. Ich möchte aber kein schlechtes Gewissen haben, an einem 9-Stunden-Tag meine Pause zu nehmen«, sagt Erkisi.

Leider lässt das geringe Gehalt von Erzieher*innen und Sozialpädagog*innen nicht wirklich Spielraum zu, um sich bewusst für eine Teilzeitstelle zu entscheiden. Wer eine Familie zu versorgen hat und zusätzlich für die Rente vorsorgt, ist im sozialen Bereich mindestens auf eine Vollzeitstelle angewiesen. Dem steht gegenüber, dass die Träger die Probleme, die sich aus der Finanzierungssystematik ergeben, durch Zwangsteilzeitverträge auf ihre Kolleg*innen abwälzen.

Wer in den Genuss einer Vollzeitstelle kommt, kann sich allerdings auch nur schwer um sich und seine Familie kümmern. Die Arbeitsbelastungen sind einfach zu hoch, um nach der Arbeit eine entspannte Lebenszeit zu gestalten.

Es wird deutlich, dass eine regulierte Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbußen im pädagogischen Bereich unabdingbar ist. Hier müssen unter Berücksichtigung eines funktionierenden Gesundheitsmanagements für die Beschäftigten kreative und für alle tragfähige Konzepte entwickelt werden. Denn die Bedürfnisse der Kinder und Eltern haben wir hierbei noch gar nicht betrachtet. Erzieher*innen in Teilzeit haben weniger Zeit, die dringend notwendige Bindungsarbeit mit ihren Bezugskindern zu gestalten und treffen bedingt durch ihre Arbeitszeit die Eltern seltener.  

Erwerbsarbeitszeitverkürzung: Die Erwerbsarbeitszeit wird bei entsprechendem Personalausgleich verkürzt, so dass Beschäftigte in der Lage sind, ihre Arbeit ohne Hetze und in guter Qualität zu leisten. Die Verkürzung sorgt dafür, dass auch Sorge- und Hausarbeit neben der Erwerbsarbeitszeit in Vollzeit erledigt werden können und neben der Zeit zu arbeiten, Zeit zu leben bleibt

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46