Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit
Wenn Rahmenbedingungen die Pädagogik bestimmen
Eine reflektierende Auseinandersetzung mit vorhandenen Konzepten ist wichtig, um die Kinder optimal zu fördern. Ein Plädoyer für verbesserte Bedingungen in Kita und Ganztagsschule.
In der pädagogischen Praxis stehen Fachkräfte vor der kontinuierlichen Herausforderung, pädagogische Ansätze an die realen Gegebenheiten anzupassen. Ein immer wiederkehrendes Spannungsfeld ergibt sich dabei zwischen offener Arbeit und dem gruppenbezogenen Ansatz. Diese Diskussion gewinnt besonders an Relevanz im Kontext der halboffenen Arbeit, die sich zunehmend in Kitas und in der ergänzenden Förderung und Betreuung (eFöB) in Ganztagsschulen etabliert, da sie einen Kompromiss zwischen den Vorteilen offener und gruppenbezogener Arbeit bietet.
Zwischen Flexibilität und Struktur
Offene Arbeit ermöglicht es Kindern, sich frei zu bewegen und ihre Aktivitäten selbst zu wählen. Es gibt keine festen Gruppenstrukturen, wodurch die Kinder individuell und ihren Interessen entsprechend gefördert werden können. Diese Methode fördert die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Kinder. Im Gegensatz dazu sind bei der gruppenbezogenen Arbeit die Kinder fest einer Gruppe zugeordnet, die von einer oder mehreren festen Bezugspersonen betreut wird. Diese Struktur bietet den Kindern Sicherheit und Kontinuität und ermöglicht es den Pädagog*innen, die Entwicklung der Kinder gezielt zu beobachten und zu fördern.
Halboffene Arbeit gilt als Versuch, die Vorteile offener und gruppenbezogener Arbeit zu kombinieren. Sie ermöglicht es den Kindern, sich in bestimmten Bereichen frei zu bewegen und ihre Interessen zu verfolgen, während gleichzeitig Strukturen und Gruppenzugehörigkeiten beibehalten werden. Diese Flexibilität scheint auf den ersten Blick eine ideale Lösung zu sein, um den individuellen Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden, während gleichzeitig eine gewisse Organisation gewährleistet wird.
Kinder leiden unter dem Mangel an Räumen und Personal
Jedoch wird in der Praxis deutlich, dass die Gestaltung der Pädagogik oft weniger von pädagogischen Überlegungen als von den vorhandenen Rahmenbedingungen bestimmt wird. Insbesondere der Mangel an geeigneten Räumlichkeiten und ausreichendem Personal stellt eine große Herausforderung dar. Wenn beispielsweise Gruppen aufgrund von Platzmangel zusammengelegt werden müssen oder Fachkräfte überlastet sind, bleibt oft wenig Raum für eine differenzierte pädagogische Arbeit. Hierdurch werden nicht nur die Möglichkeiten der Kinder eingeschränkt, sondern es wird auch die Qualität der pädagogischen Interaktionen beeinträchtigt.
In diesem Kontext geraten die Bedürfnisse und Interessen der Kinder oft in den Hintergrund. Anstatt ihre individuellen Interessen und Entwicklungsschritte zu fördern, werden pädagogische Entscheidungen zunehmend von äußeren Zwängen bestimmt. Kinder werden zu Passagieren in einem System, das mehr von Logistik als von Pädagogik geprägt ist. Dieser Zustand widerspricht dem grundlegenden Prinzip der Pädagogik, die sich an den Bedürfnissen und Rechten der Kinder orientiert.
Ein Sinnbild dieses logistischen Ansatzes sind die Counter in pädagogischen Einrichtungen. Diese werden oft von Pädagog*innen betreut, bei denen die Kinder an- und abgemeldet werden. Hierbei werden häufig Magnettafeln oder Tabellen verwendet. In Zeiten des Fachkräftemangels ist es möglicherweise nicht die beste Lösung, Erzieher*innen als Concierges einzusetzen. Stattdessen könnten zusätzliche administrative Fachkräfte diese Aufgaben übernehmen, um den Pädagog*innen mehr Zeit und Raum für ihre eigentliche Arbeit mit den Kindern zu ermöglichen.
Eine fundiertes Konzept ist entscheidend
Die Grundlage jeder pädagogischen Arbeit sollte ein gut durchdachtes Konzept sein. Ein Konzept ist nur dann erfolgreich, wenn sich alle Beteiligten damit identifizieren können. Daher sollten Einrichtungen genügend Zeit für den Prozess der Erarbeitung einplanen. Neben den Pädagog*innen und Eltern müssen unbedingt auch die Kinder in den Partizipationsprozess einbezogen werden. Die Entscheidung über die konzeptionelle Ausrichtung sollte nicht allein von der Leitung oder dem Träger getroffen werden. Für Schulen bedeutet dies, dass ein Konzept in einer Steuergruppe vorbereitet und in weiteren schulischen Gremien (Gesamtkonferenz und Schulkonferenz) vorgestellt und verabschiedet werden muss.
Es ist daher dringend erforderlich, dass sowohl auf politischer als auch auf institutioneller Ebene Maßnahmen ergriffen werden, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Dies bedeutet nicht nur eine bessere Ausstattung mit Räumlichkeiten und Personal, sondern auch eine grundlegende Neuausrichtung der Prioritäten. Kinder sollten im Mittelpunkt stehen, und ihre Bedürfnisse sollten die Richtschnur für pädagogisches Handeln sein. Nur so kann die Pädagogik ihr volles Potenzial entfalten und einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Kinder leisten.
Rahmenbedingungen verbessern, Kinder stärken
Kurz, nicht die Rahmenbedingungen sollten über die Pädagogik entscheiden, sondern die Pädagogik über die Rahmenbedingungen. Angesichts des Fachkräftemangels und der räumlichen Ausstattung der Einrichtungen mag diese Forderung zunächst utopisch klingen, doch es macht durchaus Sinn, pädagogische Ziele zu definieren, weil sie eine Richtung für pädagogische Praktiker*innen und Entscheidungsträger*innen vorgeben. Diese Ziele können dazu beitragen, die Diskussion über die Verbesserung der Rahmenbedingungen und die Stärkung der pädagogischen Qualität zu lenken. Dabei können sowohl übergeordnete Ziele als auch konkrete Teilziele gesetzt werden, um den Weg zur Verbesserung zu strukturieren und umsetzbar zu machen.
Diese sollten die treibende und verbindende Kraft sein, da sie als gemeinsame Vision fungieren können, die Fachkräfte, Entscheidungsträger*innen, Eltern und andere Beteiligte motiviert und zusammenführt. Die gemeinsame Ausrichtung kann dazu beitragen, Hindernisse zu überwinden und positive Veränderungen zu bewirken.
Unabhängig vom Ansatz müssen die gesetzlichen Bestimmungen der Kindertagesförderungsverordnung (VOKitaFöG) und der Schülerförderungsverordnung (SchüFöVO) eingehalten werden. Diese verlangen, dass durch die Personalausstattung eine gleichbleibende kontinuierliche pädagogische Förderung der einzelnen Kinder durch mindestens eine ihnen vertraute Bezugsperson gewährleistet ist. In der Hauptbetreuungszeit soll die Betreuung überwiegend durch eine vertraute Bezugsperson erfolgen.
Impulsfragen zur Qualitätssicherung für pädagogische Einrichtungen
1. Wie wird sichergestellt, dass die pädagogische Qualität gleichbleibend ist?
• Gibt es große Schwankungen bei der Anzahl der Kinder in den Gruppen? Wenn ja, welche Auswirkungen haben sie und wie können sie gegebenenfalls minimiert werden?
• Werden regelmäßige Fortbildungen und Supervisionen angeboten, um die Fachkräfte in ihrer pädagogischen Arbeit zu unterstützen und die Qualität zu sichern?
2. Wie wird sichergestellt, dass einzelne Kinder nicht übersehen, sondern individuell gefördert werden?
• Findet eine kontinuierliche Beobachtung und Dokumentation der Entwicklung der Kinder statt?
• Tauschen sich die Erzieher*innen regelmäßig über die Kinder aus, um individuelle Bedürfnisse zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren?
3. Wie wird die Betreuung durch eine vertraute Bezugsperson organisiert? Welche Aufgaben hat die Bezugsperson?
• Findet eine Zuordnung der Kinder zu einer festen Bezugserzieher*in statt und welche Aufgaben hat die Bezugserzieher*in?
• Werden regelmäßige Gespräche und Feedback-Runden zwischen den Bezugserzieher*innen, den Kindern und ihren Familien durchgeführt?