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bbz 10 / 2017

Willkommensklassen besser unterstützen

Für die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen können Schulen mehr tun als ihnen bewusst ist. Entscheidend sind innere Haltung, soziale Unterstützung und Strukturen, die beides fördern.

Wer es erlebt hat, weiß es: Die Anforderungen an Lehrkräfte aus Willkommensklassen sind hoch. Dabei können nicht alle auf eine pädagogische Ausbildung oder einschlägige Berufserfahrung zurückgreifen. Trotzdem planen sie Unterricht, differenzieren, führen eine Klasse. Fachliche Inhalte sind da oft das geringste Problem. Nicht nur traumatisierende Erlebnisse der Vergangenheit belasten die Schüler*innen, auch die aktuellen Lebensverhältnisse sind oft unzumutbar. Sind die Eltern krank oder leiden an seelischen Einschränkungen, können sie ihre Kinder nicht ausreichend unterstützen. Sprachbarrieren erschweren die Kommunikation zusätzlich. Auch Scham spielt oft eine Rolle. Inner- und außerschulische Hilfe zu organisieren setzt Netzwerkwissen voraus und wird durch mangelnde Ressourcen und unklare Zuständigkeiten behindert. Zudem ist die Arbeit emotional anspruchsvoll. Viele Pädagog*innen kennen das Unbehagen darüber, wichtige Faktoren für ein Kind nicht beeinflussen zu können. Für Lehrkräfte in Willkommensklassen kann das unerträglich werden. Dies ist kein persönliches Problem, entscheidend ist gemeinsames, professionelles Handeln, besonders auf schulorganisatorischer Ebene.

Die Haltung der Schulleitung ist besonders wichtig

Zwei besonders bedeutsame Aspekte für Lehrkräfte von Willkommensklassen sind die grundsätzlich unterstützende Haltung der Schulleitung und verbindliche Strukturen, die die Willkommensklasse in die Schulgemeinschaft integrieren.

Unterricht in Willkommensklassen ist anders als in Regelklassen. Praktisches Lernen, gemeinsames Essen und Ausflüge sind wichtige Bestandteile. Schulleitungen unterstützen dies durch Offenheit, wertschätzende Beratung und Ermutigung. Auch die Teilnahme an Fortbildungen und Fallberatungen muss ermöglicht werden. Der Austausch von Lehrkräften aus Willkommensklassen untereinander wirkt nicht nur entlastend, sondern fördert die Professionalisierung. Unterrichten Lehrkräfte an einer Schule als einzige in der Willkommensklasse, sind feste Ansprechpartner*innen bei der Schulleitung oder Mentor*innen im Kollegium ratsam. Wichtig ist die Verbindlichkeit, unzureichend ist oft die Kommunikation »bei Bedarf«, denn diese passiert meistens zu spät. Ist die Willkommensklasse regelmäßig Tagesordnungspunkt in Dienstberatungen, bleibt das Kollegium informiert. Insbesondere der Übergang von der Willkommensklasse in die Regelklasse bleibt häufig ein Knackpunkt. Hier braucht es transparente Kriterien und Vorbereitung aller Beteiligten. Beratungsrunden, wie in Pankow die regelmäßigen »Schulischen Beratungsteams«, bieten dazu Gelegenheit.

Rassismus macht vor Schule nicht halt

Wir erleben Rassismus in der Schüler*innenschaft, bei Eltern, in den Willkommensklassen, und bei Pädagog*innen. Unbekanntes löst in uns leicht Berührungsängste und Hilflosigkeit aus. Vorurteile reduzieren die Komplexität individueller Lebensgeschichten auf vermeintlich einfache Wahrheiten. Das gibt uns ein Gefühl von Sicherheit. Nicht selten kommen die Lehrkräfte der Willkommensklasse in die Situation, Schüler*innen gegen Vorurteile verteidigen zu müssen.

Auch hier ist die Haltung der Schulleitung wichtig: Kinder haben das Recht auf eine gute Schulbildung und tragen keine Verantwortung für ihre Situation. Vorurteile können durch Informationen über Zusammenhänge und Verständnis dafür verändert werden. Der Weg dorthin führt über konkrete Erfahrungen mit den Schüler*innen der Willkommensklassen und Reflexion über das eigene Denken und Handeln. Unterricht, Pausen und Freizeitangebote müssen daher Möglichkeiten der Begegnung schaffen. Gemeinsame Ausflüge, Arbeitsgemeinschaften und Projekte sind Anlässe, Kontakt herzustellen, nicht nur innerhalb der Schüler*innenschaft. Konflikte und Irritationen bleiben nicht aus. Damit sich Vorurteile dann nicht zementieren, sind Austausch und Klärung sehr wichtig. Das braucht Zeit, qualifiziertes Personal und entsprechende Angebote. Gelegenheiten dafür sind Fortbildungen, Fachtage, kollegiale Fallberatungen und Supervision.

Die Schule ist für geflüchtete Kinder und Jugendliche in der Regel der einzige Ort in ihrem Leben hier, an dem sie die Möglichkeit haben, eigenes Gelingen zu erleben und Erfolge zu erzielen. Für die Integration dieser jungen Menschen ist diese Erfahrung essentiell. Daher ist die Arbeit an dieser Stelle für uns alle von so hoher Bedeutung. Und manche Lehrkräfte, die den Sprung ins kalte Wasser gewagt haben, wollen ihre Willkommensklasse auch deswegen nicht mehr hergeben.


ANGEBOTE FÜR RASSISMUSPRÄVENTION

»Schule mit Courage-Schule ohne Rassismus«:  www.schule-ohne-rassismus.org
Moskito:  www.pfefferwerk.de/moskito/unsere-themen/rassismus
Violence Prevention Network:  www.violence-prevention-network.de/de
Reach Out Berlin:  www.reachoutberlin.de


SIBUZ – SCHULPSYCHOLOGISCHES UND INKLUSIONSPÄDAGOGISCHES
BERATUNGS- UND UNTERSTÜTZUNGSZENTRUM

In jedem Berliner Bezirk beraten Schulpsycholog*innen und Sonderpädagog*innen Schulen und Familien zu psychologischen und inklusionspädagogischen Fragestellungen. Wir unterstützen bei  sonderpädagogischen Feststellungsverfahren, beraten zu entsprechender Förderung und vermitteln außerschulische Hilfen. In Pankow sind Schulpsycholog*innen und sonderpädagogische Beratungslehrkräfte regelmäßig im Schulischen Beratungsteam vor Ort in Schulen. Das SIBUZ Pankow bietet außerdem spezifische Fortbildungen und Fallberatungen, auch für Lehrkräfte aus Willkommensklassen. Gemeinsam mit der Schulaufsicht wurden Maßnahmen beraten, die sich in Schulen bei der Integration von Willkommensklassen bewährt haben. Entsprechende Empfehlungen wurden im Juni 2017 allen Schulen in Pankow zur Verfügung gestellt.


Ansprechpartnerin bei der Senatsbildungsverwaltung:

Antidiskriminierungsbeauftragte Saraya Gomis, Tel.: 030/9 02 27 58 17, saraya.gomis@senbjf.berlin.de


In unserer nächsten Ausgabe widmen wir uns im Schwerpunkt der Frage »Wie weiter nach den Willkommensklassen?«