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Gewerkschaft

»Wir befinden uns im Bildungsnotstand«

Pädagog*innen, Schüler*innen, Eltern und Schulleiter*innen diskutieren über Lösungen für das Pankower und Berliner Schulproblem.

Foto: privat

Um den dramatischen Ist-Zustand zu beschreiben, reichen wenige Zahlen: In Berlin fehlen etwa 20.000 Schulplätze und mehr als 1.000 Lehrkräfte. Die Beschäftigten, die noch im Dienst sind, halten unter unzumutbar hoher Belastung und Einsatz ihrer Gesundheit eine abgespeckte Form des Schulbetriebs am Laufen.

In Sachen Bausubstanz wurden von den 29 vom Pankower Bezirksamt beantragten bitter nötigen Sanierungsmaßnahmen an Schulen des Bezirkes kürzlich 27 durch den Senat abgelehnt. Sogar das Gymnasium am Europasportpark, wo die Gefahr herausfallender Fenster und Trümmer die Unfallkasse dazu veranlasste, eine Teilschließung der Schule zu erwägen, wurde nicht bedacht.

»Was tun gegen die Bildungskrise in einer Zeit des Stühlezusammenrückens?«, fragt Phillip Dehne (Schule muss anders), als er am 21. September 2022 im Felix-Mendelssohn-Bartholdy eine von der Pankower GEW organisierte Podiumsdiskussion zum Schulnotstand einleitet.

Zumindest für diesen Abend werden in der Tat Stühle zusammengerückt, und zwar solche, die manchmal nicht nur auf Abstand, sondern auf entgegensetzten Raumseiten stehen: Tim Kleinmann von der Bezirksschüler*innenvertretung, Katja Ahrens vom Bezirkselternausschuss, Stephan Wahner für die Vereinigung Berliner Schulleiter*innen der GEW und Petra Kaersten als Vertreterin der Pankower Bezirksleitung der GEW diskutieren für etwa zwei Stunden miteinander und mit dem anwesenden Publikum.

 

Lernen im Eiltempo und marode Schulen

 

Auffällig dabei: die Bestandsaufnahmen unterschieden sich nicht wesentlich voneinander. So sagt Wahner in seinem Anfangsplädoyer: »Die größte Not ist, wenn Krankheit an der Schule ist. Man ist nur noch am Basteln von Lösungen und am Betreuen. Mit Bildung hat das nichts zu tun.« Kleinmann bestätigt aus Schüler*innensicht: »Es geht nicht um Bildung, da geht es nur um eine Zahl.« Er meint die vielen Lernerfolgskontrollen und Noten, die den Lernenden im Eiltempo abverlangt werden, weil den Pädagog*innen für schüler*innenzentrierte Bildungsarbeit keine Zeit bleibt. Über die Verantwortung für diesen Missstand sind sich auch alle einig: »Auf Landesebene fehlt es an Steuerung. Diese wird in Eigenverantwortung an Schule versteckt. Die Verwaltung duckt sich weg«, sagt nicht etwa der Schulleiter, sondern die Vertreterin der Eltern. Als sie über die nur schwerfällig anlaufende Bauoffensive und das Sanierungsfiasko spricht, kommt sie zu dem Schluss, dass unter diesen Bedingungen die Diskussion über Bildungsqualität und Chancengleichheit »obsolet« sei.

Natürlich kommt auch das Tarifvorhaben Gesundheitsschutz als Lösungsansatz zur Sprache. »Unsere Lehrkräfte haben eine starke psychische Belastung. Wir wollen deshalb, dass es kleinere Klassen gibt. Mit einem Tarifvertrag wollen wir Höchstgrenzen festsetzen. Dafür soll zusätzliches Personal eingestellt werden«, fasst sie den Notstand und die Forderungen der GEW zusammen. »Eigentlich müssten doch die Schüler*innen und die Eltern am Schulzaun rütteln!«, fordert sie ihre Ge-sprächspartner*innen in der Runde auf.

Anfangs knirscht es in der Frage der Verhältnismäßigkeit der Streiks, gerade als der Zusammenfall eines Streiktermins im Frühjahr mit dem Abitur zur Sprache kommt. Aber am Ende, auch nach einigen Redebeiträgen aus dem Publikum, steht ein gemeinsamer Nenner fest: das Problem ist nicht der Streik, sondern der gegenwärtige Normalzustand. »Mit der GEW sind wir im Gespräch«, sagt Ahrens zum Abschluss. »Wir müssen eine Vernetzungsoffensive starten«, stellt Kleinmann fest. Nur durch das gemeinsame politische Handeln und den Druck auf die politischen Akteur*innen kann der Notstand überwunden werden und die Schule wieder ihrem Bildungsauftrag nachkommen.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46