Zum Inhalt springen

bbz 09 / 2019

Wir brauchen sofort mehr Personal

Berlin wächst jedes Jahr um eine Kleinstadt und der Rechtsanspruch auf einen Kita­Platz ist seit 2013 verankert. Was bedeutet das für das System Kita? Ein Interview mit der Staatssekretärin für Jugend und Familie Sigrid Klebba

Wie viele Quereinsteiger*innen für Erzieher*innen in Kitas braucht Berlin, um den Bedarf zu decken?

Klebba: Wir haben aktuell das Problem, dass viele Kita-Plätze nicht angeboten werden, weil Fachkräfte fehlen. Parallel dazu bauen wir das Platzangebot weiter aus und haben viermal in Folge den Personalschlüssel verbessert. Das steigert den Fachkräftebedarf weiter. In den nächsten zwei Jahren werden schätzungsweise zusätzlich rund 3.000 neue Erzieher*innen benötigt. Die Frage ist, wie viele davon über die klassische Vollzeitausbildung kommen und wie viele über den Quereinstieg.

 

Was genau verstehen Sie unter Quereinstieg?

Klebba: Das Prinzip des Quereinstiegs hat ja verschiedene Facetten. Wir haben zum Beispiel Quereinsteiger*innen, die eine berufsbegleitende Ausbildung absolvieren, wir haben auch Personen mit ausländischen Abschlüssen und wir haben Quereinsteiger*innen, die aus sogenannten verwandten Berufen kommen. Diese eignen sich dann über Fort- und Weiterbildungen das notwendige pädagogische Knowhow an, um als vollwertige sozialpädagogische Fachkraft anerkannt zu werden. Für mich ist bei all dem eine wesentliche Frage: Wie schaffen wir es, daran festzuhalten, dass die Fachkräfte in den Kitas im Regelfall eine dreijährige Ausbildung erhalten? Hier kommt uns die berufsbegleitende Erzieher*innenausbildung sehr entgegen, weil sie am Ende tatsächlich voll ausgebildete Fachkräfte hervorbringt. Deshalb wollen wir sie stärken. Viele andere Bundesländer arbeiten mit sogenannten Helfer*innenberufen, also Ausbildungen, die kürzer sind, die nur ein Teil dessen beinhalten, was Fachkräfte über frühkindliche Entwicklung und die entsprechende Pädagogik wissen müssen.

 

Als Gewerkschaft sind wir natürlich bestrebt, nur vollwertige Kräfte, die grundständig ausgebildet sind, in die Kitas zu bringen. Das kann man nicht mehr aufrechterhalten, wenn der Bedarf so gestiegen ist. Sind Quereinsteiger*innen eine Notwendigkeit, um überhaupt den Bedarf zu erfüllen?

Klebba: Ohne Quereinsteigende geht es nicht. Auch wir wollen voll ausgebildete Fachkräfte. Wir haben viel getan, um junge Menschen für eine klassische Erzieher*innenausbildung zu gewinnen. In Berlin muss zum Beispiel kein Schulgeld mehr bezahlt werden. Aber es reicht nicht, nur auf die klassische Vollzeitausbildung zu setzen. Wir müssen mit dem steigenden Fachkräftebedarf Schritt halten. Die Stadt wächst und seit 2013 ist der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz verankert. So wie es jetzt ist, können wir nicht mehr sagen, wir warten immer drei Jahre bis jemand die Fachschule absolviert hat und dann ins Berufsleben einsteigt. Wir brauchen sofort mehr Personal, weil sonst der Rechtsanspruch nicht zu gewährleisten ist. Es liegen bereits Gerichtsurteile dazu vor. Diese besagen, dass das Land Berlin wirklich alles getan haben muss, damit Kinder mit Rechtsanspruch versorgt werden können. In diesem Zusammenhang ist die berufsbegleitende Ausbildung wichtig.

 

Wie groß ist das Interesse an einer Erzieher*innenausbildung?

Klebba: Erfreulicherweise ist die Zahl der Studierenden an den Erzieher*innenfachschulen insgesamt stark gestiegen. Wir hatten im Jahre 2012/2013 knapp 7.000 Studierende und waren jetzt erstmals bei über 10.000. Es hat sich aber etwas verschoben, der Anteil der Studierenden in der berufsbegleitenden Ausbildung wächst stetig. Das liegt vor allem daran, dass diese Form der Ausbildung beliebt ist, weil man bereits während der Ausbildung Geld verdient. Zugleich schätzen viele die Verknüpfung von Fachschulbesuch und Praxis. Denn zu dieser Ausbildung gehört ja immer ein Praxisplatz in einer Kita, die andere Hälfte der Zeit studieren die Quereinsteiger*innen in Teilzeit an der Fachschule.

 

Wie wird die Qualität der Ausbildung abgesichert?

Klebba: Natürlich müssen Personen in der berufsbegleitenden Ausbildung gut fachlich angeleitet werden. Dafür müssen die Fachkräfte in den Kitas Zeit haben. Berlin hat daher vor eineinhalb Jahren die Zahl der finanzierten Anleitungsstunden stark erhöht und auf alle drei Jahre der berufsbegleitenden Ausbildung ausgeweitet. Große Träger haben inzwischen auch sogenannte Ausbildungs-Kitas, in denen mehrere Auszubildende arbeiten und die Anleitung besser organisiert werden kann. Das ist aber nur in großen Einrichtungen möglich, die mehrere Auszubildende beschäftigten. Denn die Zahl der Quereinsteiger*innen ist begrenzt auf einen Anteil von maximal 33 Prozent des pädagogischen Personals. Auch diese Maßnahme dient zur Absicherung von Qualität.

 

Denken Sie zur Unterstützung an Mentor*innen?

Klebba: Die anleitenden Fachkräfte sollen Mentor*innen sein. Zugleich wollen wir die Fachberatung mit Mitteln des Gute-Kita-Gesetzes weiter ausbauen. So sollen Teamberatungen angeboten werden, die von den Trägern abgerufen werden können. Außerdem wollen wir die Kita-Leitungen stärken und ihnen mehr Handlungsfähigkeit geben. Dafür verbessern wir den Leitungsschlüssel. Ab dem neuen Kita-Jahr wird die Leitung auf alle Fälle ab 90 Kindern in einer Einrichtung vollständig von der unmittelbaren pädagogischen Arbeit freigestellt und kann sich damit ganz auf die Leitung konzentrieren. Über das Gute-Kita-Gesetz wollen wir sogar eine Freistellung ab 85 Kindern finanzieren.

 

Wie viele Quereinsteiger*innen gibt es im Moment?

Klebba: Die zuletzt erstellte Statistik weist circa 5.000 Quereinsteiger*innen in den Kitas aus, davon rund 3.300 in der berufsbegleitenden Ausbildung. Diese sind in den Kitas über die Stadt verstreut tätig. Seit Jahresbeginn wurden bereits rund 1.500 neue Quereinsteiger*innen registriert. Dabei muss man aber sehen, wie groß das Kita-System ist, wir haben mehr als 170.000 angebotene Kita-Plätze und rund 30.000 Fachkräfte.

 

Wie gewinnen Sie Bewerber*innen für die Kitas?

Klebba: Wir haben beispielsweise eine Werbekampagne für die Erzieher*innenfachschulen durchgeführt und geben viel Infomaterial heraus. Eine besonders wichtige Maßnahme ist der »Berlin-Tag«. Das ist die zweimal im Jahr stattfindende Job-Messe im Flughafen Tempelhof der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Manche Besucher*innen geben gleich ihre Bewerbungsmappen ab, einige gehen mit Jobangeboten nach Hause. Die Träger und alle, die auf dieser Messe sind, wissen, dass Fachkräfte die Auswahl haben und dass sie etwas für die Attraktivität ihres Angebots tun müssen.

 

Wie wichtig sind finanzielle Aspekte?

Klebba: Das Gehalt ist natürlich ein wesentlicher Faktor. Erzieher*in ist ein wunderbarer Beruf, aber damit sich mehr Menschen dafür entscheiden, muss die Tätigkeit auch anständig bezahlt werden. Bei den jüngsten Tarifverhandlungen zum TvL, Anfang des Jahres, ist man jetzt einen riesigen Schritt weitergekommen. Die Erzieher*innen bekommen deutlich mehr Geld. Außerdem wird endlich der Lückenschluss zum TVöD, der in Brandenburg gilt, vollzogen. Finanzsenator Matthias Kollatz hat sich als Verhandlungsführer der Länder sehr dafür engagiert.

 

Erhalten die Kitas auch mehr Geld, um die Fachkräfte entsprechend zu bezahlen?

Klebba: Das Land Berlin finanziert jeden Kitaplatz mit einem bestimmten Betrag. Die Summe hängt vom Alter der Kinder und dem Betreuungsumfang ab. In dem Kostensatz sind die Personalkosten und die Sachkosten berücksichtigt. Die Kostensätze werden an die Tarifsteigerungen angepasst und erhöht. Die Träger haben einen gewissen Spielraum, wie sie mit den erhaltenen Mitteln wirtschaften. Wir erwarten aber, dass sie die Erhöhungen an die Fachkräfte weitergeben. Man muss auch mal klar sagen, ein Träger, der heutzutage seine Erzieher*innen nicht ordentlich bezahlt, muss sich nicht wundern, wenn er kein Personal mehr findet.

 

Viele Erzieher*innen klagen auch über hohe Belastungen im Beruf. Es reicht daher nicht, nur mehr Gehalt zu zahlen.

Klebba: Das stimmt. Die Attraktivität des Berufs hängt natürlich auch von den sonstigen Gegebenheiten am Arbeitsplatz Kita ab. Dazu gehört ein gutes Arbeitsklima, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Qualifizierungsmöglichkeiten, Fachberatungen, Gesundheitsmanagement und vieles mehr. Das Land Berlin unternimmt ebenfalls einiges, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Dass wir zum Beispiel den Personalschlüssel zum vierten Mal in Folge verbessert haben, trägt auch dazu bei, die Attraktivität des Berufs zu erhöhen. Für Fachkräfte spielt die Gruppengröße eine entscheidende Rolle.

 

Frau Klebba, ich bedanke mich für das Gespräch.