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blz 09 / 2008

Wir sind ja die Rock‘n‘Roll-Generation

Eleonore »Lore« Kujawa über ihren Werdegang als Lehrerin, ihre GEW-Karriere und über das Leben als Pensionärin

Lore, du warst immer eine der Ersten: 1970 an der Gottfried-Röhl-Grundschule die jüngste Schulleiterin Berlins, vier Jahre später, 1974, die erste Frau als Vorsitzende eines DGB-Landesverbandes. Wie hast du das alles geschafft: Schulleiterin, GEW-Vorsitzende und auch noch alleinerziehende Witwe?

Ich kann eben viel arbeiten und gebe nicht auf. Und ich hatte immer den Antrieb, dass man was ändern muss, dass man nicht alles so laufen lassen kann, wie es läuft. Mein Demokratieverständnis kommt aus meiner Schulzeit in Reinickendorf. Dort hatte die von mir verehrte Lehrerin uns 1949 bei der Verabschiedung des Grundgesetzes gesagt: »Dieses Grundgesetz müssen Sie lesen, Artikel für Artikel, denn damit haben wir jetzt endlich eine richtige Demokratie«. Ich habe das auch getan, und ich habe außerdem alle Erklärungen dazu gelesen, sehr ernsthaft und dann überzeugt von der Demokratie. Zusammen mit den reform pädagogischen Zielen, die ich dann an der PH kennengelernt habe, wollte ich seitdem nur eines: eine demokratische Schule. Und weil ich das wollte, habe ich mich auch immer dafür eingesetzt, als Kollegin, Fachgruppenvorsitzende, als Schulleiterin und als GEW-Vorsitzende.

Trotzdem bleibt noch die Frage, wie du das alles geschafft hast?

Ich hatte zu dieser Zeit schon einige Erfahrungen: Ich war Vorsitzende der Fachgruppe Grundschulen und wir hatten dort mit Aktionen wie »Kleine Kinder – Kleine Klassen«, »Keine Klasse über 25« einiges bewirkt, was sowohl die KollegInnen an meiner Schule als auch die Eltern der Kinder gut fanden. Außerdem war ich seit vier Jahren Schulleiterin und mein Kollegium war inzwischen wunderbar eingespielt und stand voll hinter mir. Da konnte ich es mir erlauben, für die GEW unterwegs zu sein. Und was meine Tochter betrifft: Ich hatte eine Mutter, die zum Glück nicht berufstätig war, aber noch so fit, dass sie meine Tochter wunderbar erzogen hat. Ich hatte also auch viel Unterstützung.

In dieser Zeit hast du den Spitznamen »Rote Lore« bekommen, gegen den du dich immer gewehrt hast. Warum eigentlich?

Weil man mich damit in eine Ecke stellen wollte. Ich habe mich aber eigentlich immer in der Mitte gesehen und wollte eher den Ausgleich, zählte mich also nicht zur radikalen Seite. Als ich 1974 gewählt wurde, war, wie das damals so üblich war, auch ein Vertreter des Schulsenators auf der Landesdelegiertenversammlung (LDV) anwesend, das war der Sozialdemokrat Harry Ristock. Der kam nach meiner Wahl ans Rednerpult und fragte mich lauthals »Sind Sie links oder sind Sie rechts?« Ich antwortete ihm: »Also, wenn Sie mich so fragen: Rechts bin ich auf keinen Fall!« Ab dem Zeitpunkt war ich die »Rote Lore«.

Wir waren damals im Vorstand ja überwiegend in der SPD: Werner Langner, Heinz Blumensath, Wilfried Seiring, Helmut Stange, Werner Ruhnke und ich – alle auf der basisdemokratischen SPD-Seite. Zu meinem Entsetzen war die SPD immer weiter nach rechts abgedriftet. Zu dieser Richtung, der rechten SPD, gehörte auch der alte Vorstand der GEW, Schaeffer und Co, gegen die wir angetreten waren. Die waren ja auch alle in der SPD!

Aber nach der Spaltung bist du dann trotzdem in die neugegründete GEW gegangen.

Ja, denn ich war der Meinung, dass man die falschen Tendenzen im DGB wie den Unvereinbarkeitsbeschluss nur bekämpfen kann, wenn man drin bleibt. Also war es auch folgerichtig, dass ich in die neue GEW im DGB ging.

Aber ich muss noch mal zurückkommen auf diesen Kommunismus-Vorwurf, den man sich damals schnell einfing. Das hatte schon Anfang der Siebziger angefangen mit unserem Protest gegen die unzumutbaren Bedingungen an den Schulen, wir hatten teilweise über 40 Kinder in den Klassen der Grundschulen. Bei einer Protestveranstaltung war auch der damalige Schulsenator Löffler eingeladen. Er bekam einiges von Lehrkräften und den Eltern zu hören und wir überreichten ihm eine Schultüte mit Unterschriftenlisten, die wir zusammen mit dem Landeselternausschuss und dem Arbeitskreis Neue Erziehung gesammelt hatten. Eingeladen und mit dabei war aber auch der damalige Bundesvorsitzende Erich Frister, der war vorher auch Vorsitzender in Berlin. Und der redete nun gegen uns, statt unsere Forderungen zu unterstützen: Wir dürften den Senat nicht mit Forderungen nach pädagogischen Verbesserungen provozieren, meinte dieser GEW-Vorsitzende. Verkehrte Welt! Aber Berlin hatte einen SPD-Senat und Frister war auch in der SPD. So war das damals.

Frister hat dann aber auch noch einen Hetzbrief an alle GEW-Mitglieder in Berlin geschrieben, dass der Berliner Landesverband unterwandert sei, dass in der Kongresshalle nicht nur Lehrer waren, sondern auch Kommunisten, dass die Protestveranstaltung eine kommunistische Veranstaltung gewesen sei.

Erst durch diese Auseinandersetzungen bin ich bekannt geworden, vorher kannten mich ja nicht so viele, obwohl ich schon längere Zeit Vorsitzende der Fachgruppe Grundschulen war. Typisch für diese Zeit war auch, dass eine von der LDV beschlossene Protestkundgebung, die an einem Samstagvormittag statt finden sollte – das war damals noch ein Unterrichtstag – vom Vorstand boykottiert wurde, indem sie einfach nichts machten, den Beschluss nicht umsetzten! Stattdessen wurde eine außerordentliche Vertreterversammlung einberufen, die dann wahrscheinlich auf Druck der SPD beschloss, dass die Protestveranstaltung doch nicht stattfinden soll. Das hat mich so wütend gemacht, dass ich den amtierenden Vorstand auf dieser LDV ziemlich hart angegangen bin. Ich glaube, dass dieser Auftritt gerade die jungen Delegierten beeindruckt hat und mit die Ursache war zu meiner späteren Wahl zur Vorsitzenden.

Was denkst du heute über dein damaliges Engagement?

Ich wollte immer nur demokratische Forderungen und Beschlüsse der Basis durchsetzen. Zu meinem Abschied aus dem Schuldienst haben mir die Weddinger GEW-KollegInnen eine Tapetenrolle geschenkt, »Lores Rolle in der GEW«: Dort sind auf zehneinhalb Meter Beschlüsse, Aufrufe, Slogans – also vieles, was ich gemacht habe – aufgeklebt und aufgeschrieben. Diese Rolle steht heute bei mir im Wohnzimmer und ich freue mich immer, wenn ich sie sehe, weil ich denke »Ein bisschen bewegt habe ich doch«. Als ich anfing als Schulleiterin, haben wir beispielsweise sofort den Modellversuch Englisch Frühbeginn in Klasse 3 und 4 beantragt, eine Kollegin wollte das schon lange machen, aber der alte Schulleiter war dagegen. Wir haben das mit großem Elan gemacht, 1970 schon, aber das wurde später abgewürgt. Über 20 Jahre später kam man dann darauf zurück. Und wir hatten damals schon, auch unter großer Beteiligung der Eltern, Ausstellungen zum Thema Erziehung zum Frieden und Umweltschutz gemacht. Das waren zusätzliche Höhepunkte in meinem Berufsleben.

Und wie bist du dann mit dem Ruhestand zurechtgekommen, nach all diesen recht aktiven Jahren? Das ist ja auch schon 15 Jahre her.

Ich habe zunächst einmal all die Sachen gemacht, um die ich manche Kollegen vorher beneidet habe: Theater, Konzerte, Reisen, Ausstellungen. So viel wie in Berlin bekommt man ja selten geboten. Deshalb habe ich auch die Reisen nach und nach aufgegeben, denn hier ist ja genug los, da muss ich nicht immer verreisen – und ich schlafe lieber zuhause als in Hotelbetten.

Außerdem bin ich auch weiterhin zu den Mitgliederversammlungen gegangen. Und dann, nach der Wende, als die Bezirke 2001 in Berlin zusammengelegt wurden, hatten wir im Wedding das Glück, dass hier ein West- und Ostbezirk zusammenkamen. Da bin ich dann zu den Zusammenkünften der Seniorengruppe gegangen, ich war natürlich neugierig. Am Anfang habe ich dann erst einmal gestaunt, dass mich alle aus Mitte gesiezt haben, das war ja bei uns nicht üblich. Und als wir uns alle vorgestellt haben, wurde immer die männliche Berufsbezeichnung verwendet, also Erzieher, Lehrer und nicht Erzieherin oder Lehrerin. Das habe ich dann gleich zum Diskussionsthema gemacht. Also es waren schon einige Merkwürdigkeiten dabei, was auch kein Wunder ist. Aber durch viele Gespräche und Diskussionen kamen wir immer wieder darauf, dass wir trotz der Unterschiede gleiche Ziele und gleiche Interessen haben. Und deswegen sind wir weiterhin zusammen aktiv.

Gab es eigentlich vor dieser Zeit eine Seniorenarbeit in der GEW?

Ja schon, wenn auch anders. Die Jubilare wurden früher beispielsweise geehrt mit besonderen Veranstaltungen bei Musik und Essen, andere erhielten die Ehrenmitgliedschaft und wurden dann als Ehrengäste zur LDV eingeladen. Und für alle hatten wir ja auch den schönen Lehrerball im Prälaten in Schöneberg. Da kamen alle hin, da begegnete man sich. Aber Seniorengruppen wie heute gab es in West-Berlin nicht.

Allerdings hatte die GEW damals auch viel weniger Senioren als heute. Und viele sind mit der Pensionierung auch ausgetreten.

Ja, das hat mich immer geärgert, wenn die gesagt haben »Ich brauche jetzt keine Gewerkschaft mehr«. Diese Entsolidarisierung kann ich überhaupt nicht verstehen. Aber ich glaube, dass dies ein gesamtgesellschaftlicher Trend ist. Das Solidaritätsgefühl, das wir damals hatten, gibt es heute, glaube ich, nicht mehr. Das betrifft nicht nur die RuheständlerInnen. Ich habe den Eindruck, dass es auch zunehmend in den Kollegien so zugeht, dass es beispielsweise weniger Kollegiumsfahrten gibt, dass weniger gemeinsam diskutiert wird.

Inzwischen haben wir in der GEW BERLIN fast 2000 SeniorInnen. Das sind immerhin zehn Prozent! Kannst du uns einige Ratschläge geben, wie eine zufriedenstellende Seniorenarbeit aussehen könnte?

Ratschläge kann ich nur schlecht geben, ich kann nur sagen, was wir machen: Wir im Bezirk Mitte laden uns regelmäßig Leute ein, die uns etwas erzählen und mit denen wir diskutieren können, zum Beispiel über Simone de Beauvoir und die Frauenbewegung heute. Oder über die Friedensbewegung. Oder wir machen Kulturveranstaltungen. Leider muss man aber auch sagen, dass bei uns kaum neue Leute hinzukommen, die jüngeren RuheständlerInnen und RentnerInnen fehlen bei uns. Vielleicht sind die alle noch so fit, dass sie eher ihren individuellen Interessen nachgehen, und das auch noch können. Die brauchen wohl keine Gewerkschaftsgruppe mehr. Schade!

Hier versucht die Arbeitsgruppe Junge Alte neue Wege zu gehen, also auch eine neue Form zu finden, wie man nach dem Berufsleben noch Gewerkschaftsarbeit machen kann: kleine Projekte, kurzfristige Aktivitäten. Also mehr Ad-hoc-Gruppe und weniger regelmäßiges Treffen. Ich glaube, dass dies eher den heutigen RuheständlerInnen angemessen ist.

Ja, aber eine schöne Alten-Disko wäre auch nicht schlecht. Was man immer vergisst: Wir sind ja die Generation des Rock’n’Roll, die Generation, die die Disko anstelle des Wiener Walzers eingeführt hat. Ich kann mich noch erinnern, wie Helmut Stange hier in der Geschäftsstelle mit den Beschäftigten Rock’n’Roll durchs ganze Haus getanzt hat. Also so ein gemischtes Angebot wie der ehemalige Lehrerball, das wäre noch etwas. Ich glaube, das könnte allen Altersgruppen in der GEW gefallen.

Liebe Lore, wir danken dir für das Gespräch!

 



Lore Kujawa: 1930 im Berliner Wedding geboren. Nach dem Abitur 1949 an der Bertha-von-Suttner-Oberschule Studium an der Pädagogischen Hochschule in Berlin-Lankwitz. Seit 1953 im Schuldienst und Mitglied der GEW. Ab 1969 im Leitenden Ausschuss der Fachgruppe Grundschulen aktiv und von 1974 bis 1977 Vorsitzende der GEW BERLIN. Von 1980 bis 1986 Mitglied im Personalrat Wedding. Seit 2006 Mitarbeit bei der Planung für die Seniorengruppe Berlin-Mitte.