Schwerpunkt "Deine Arbeitszeit ist messbar"
Zeiterfassung per Mitbestimmung durchsetzen
Die Senatsverwaltung setzt ihre Rechtspflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht um. GEW-Personalräte wollen jetzt ein Pilotprojekt beantragen, um Lehrkräfte vor Überlastung durch entgrenzte Arbeitszeiten zu schützen.
Berliner Lehrkräfte leisten wöchentlich tausende unbezahlte Überstunden. Häufig müssen sie Pausen- und Ruhezeiten verletzen, um ihre Arbeit zu schaffen. Das gefährdet die Gesundheit von zwei Dritteln der Lehrkräfte. Das zeigt die Berliner Arbeitszeit- und Arbeitsbelastungsstudie. Deshalb sprechen sich 77 Prozent der Teilnehmer*innen der Studie für die Einführung einer dauerhaften, einfachen Arbeitszeiterfassung aus.
Die Bildungssenatorin aber verweigert sich dieser Realität. Auf eine kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus ließ sie ihre Staatssekretärin im Oktober 2024 antworten: »In der laufenden Legislaturperiode sehen die Richtlinien der Regierungspolitik keine Reform der Lehrkräftearbeitszeit vor.« Im Senat herrscht dreiste Ignoranz gegenüber der Rechtslage und der Fürsorgepflicht. Als erstes Bundesland hat Bremen nun eine Arbeitszeiterfassung angekündigt, aber von oben und am Personalrat vorbei. Solchen autoritären Versuchen wollen wir GEW-Personalräte abhelfen, indem wir unsere Mitbestimmungsrechte und die Ergebnisse der Arbeitszeitstudie nutzen. Mit den Mitteln des Personalvertretungsgesetzes werden wir eure Rechte durchsetzen.
Zum Schutz der Beschäftigten
Rechtlich sind die Fakten klar: Arbeitgeber müssen laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2019 die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen. In Deutschland gilt die Erfassungspflicht laut Bundesarbeitsgerichtsurteil von 2022 bereits. Das ist gut so, denn Arbeitszeiterfassung dient dem Arbeitsschutz. Der Arbeitsschutzgedanke, wie er in Paragraph 3 des Arbeitsschutzgesetzes formuliert ist, fordert, dass die tatsächliche Arbeitszeit, so wie es auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts besagt, »erfasst und damit aufgezeichnet« wird. Nur so ist die Lage der täglichen Arbeitszeit und die Einhaltung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeiten überprüfbar. Arbeitsschutzrechte gelten auch für Lehrkräfte.
Warum setzt die Senatorin ihre Rechtspflicht zur Arbeitszeiterfassung dann nicht um? Ignoriert sie die Überlastung der Lehrkräfte absichtlich? Die Gründe liegen auf der Hand: Die Senatorin müsste eingestehen, dass sie Lehrkräfte gesundheitsgefährdend überlastet. Sie müsste viele tausend Stunden Überstunden plötzlich bezahlen. Rechtsprechung gibt es auch hierzu: In Niedersachsen wurden einem Grundschulleiter im Februar 2025 mehr als 31.000 Euro als Ausgleich für geleistete Zuvielarbeit zugesprochen. Eine Zeiterfassung kann auch der Absicherung solcher Ansprüche dienen.
Genau abrechnen – möglich und nötig
Statt Verantwortung zu übernehmen, werden Gerüchte gestreut: Lehrkräftearbeitszeit ließe sich nicht messen und Arbeitszeiterfassung ginge nur mit der Stechuhr am Schultor. Dabei haben Gerichte längst klargestellt, dass eine Zeiterfassung mittels Papierlisten, Excel-Tabellen oder datenschutzkonformer Apps ortsunabhängig erfolgen kann.
Auch heißt es, Arbeitszeiterfassung bedeute Präsenzpflicht, die Abkehr vom Deputatsmodell oder Fächerdifferenzierung à la Hamburg. Präsenzpflicht? Will die Senatorin den Lehrberuf so attraktiver machen? Woanders sind längst weitreichende Homeoffice-Regelungen gefunden. Wo in den Schulen gibt es genügend ergonomische und digital ausgestattete Arbeitsplätze?
Auch eine pauschale Fächerdifferenzierung der Deputatsstunden verfehlt die Realität. Die Studie zeigt, dass zwischen Fächergruppen keine nennenswerten Unterschiede bestehen, wenn man die Belastungen einbezieht.
Auch gibt es keinen Widerspruch zwischen Zeiterfassung und Deputatsmodell. Wir wollen die Verwaltungsplanung mit Deputatsstunden durch eine Arbeitszeiterfassung aber praktisch überprüfen.
Derzeit folgt das Arbeitszeitvolumen nur theoretisch den tarif- und beamtenrechtlichen Regelungen einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, denn das Deputatsmodell legt nur einen Teil der Arbeitszeit fest. Dabei variiert das Deputat für eine Vollzeitstelle je nach Lehramt, Schulstufe, Schulform und Bundesland zwischen 22 und 31 Unterrichtsstunden pro Woche – das macht stutzig und schafft Ungerechtigkeiten. Belastungen lassen sich außerdem nicht nur in Zeit messen, auch dafür braucht es eine Lösung.
Zum Deputat hinzu kommen die zeitlich nicht definierten außerunterrichtlichen Aufgaben, die bis zu zwei Dritteln der überlangen Arbeitszeiten ausmachen. Die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden können nur mit einer individuellen Zeiterfassung nachgewiesen werden. Daher will die GEW, dass mit einer Zeiterfassung für alle Lehrkräfte zukünftig genau abgerechnet wird.
Wir GEW-Personalräte wollen mit einer Arbeitszeiterfassung eure Rechte und die Einhaltung der arbeitszeit- und arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben mit den Mitteln des Personalvertretungsgesetzes durchsetzen. Den Beschluss dazu fasste die Landesdelegiertenversammlung der GEW BERLIN im November 2024 mit großer Mehrheit.
Wir wollen eine praxistaugliche Arbeitszeiterfassung. Dazu nutzen wir GEW-Personalräte unser Mitbestimmungsrecht an der Arbeitszeiterfassung. Mit juristischer Unterstützung und in Fortbildungen haben wir einen Initiativantrag erarbeitet, der zu einer Dienstvereinbarung für eine praxistaugliche und gerechte Arbeitszeiterfassung weiterentwickelt werden soll.
Wir schlagen eine zweistufige Einführung einer Arbeitszeiterfassung vor: Es braucht zunächst ein einjähriges Pilotprojekt der Senatsverwaltung unter Beteiligung der Beschäftigtenvertretungen, an dem freiwillige Schulen und Kolleg*innen teilnehmen. Ihre Erfahrungen sollen evaluiert werden. Wir streben eine Begleitung durch gewerkschaftspolitische Diskussionsrunden an. Auf Basis der Ergebnisse werden wir den Arbeitgeber dann zum Abschluss einer Dienstvereinbarung zur Einführung einer dauerhaften Zeiterfassung auffordern, die wirklich in eurem Sinne ist. Sie muss unkompliziert funktionieren. Sie muss jede Leistungs- und Verhaltenskontrolle sowie eine Präsenzpflicht ausschließen. Es genügt die Erfassung von Anfang, Ende und Pausen durch euch selbst. Auch müssen Regelungen zum Ausgleich von Zuvielarbeit getroffen werden.
Solltet ihr interessiert sein, am Pilotprojekt teilzunehmen, meldet euch schon jetzt dafür an. Unsere GEW-Personalräte kontaktieren euch, sobald es konkret wird. Wir GEW-Personalräte halten euch über den Fortgang auf dem Laufenden. Lasst uns Schluss machen mit Überlastung und unbezahlter Zuvielarbeit!
Kontaktformular zur Teilnahme am Pilotprojekt: www.gew-berlin.de/arbeitszeitstudie/kontakt
Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeiterfassung: EuGH C-55/18, 14.05.2019
Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung: BAG Az.: 1 ABR 22/21, 13.09.2022
weiterführende Informationen der GEW
www.gew.de/aktuelles/detailseite/jede-stunde-zaehlt