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blz 09 / 2015

Vollzeitschulische Ausbildung unter Druck

Mit der Vereinbarung 2015 drängt die Wirtschaft wieder einmal auf die Einschränkung der Ausbildungsgänge an den OSZ.

Am 6. Mai tagte die Sonderkommission Ausbildungsplätze und Fachkräfteentwicklung beim Regierenden Bürgermeister von Berlin. Es ging um die berufliche Ausbildung und deren zukunftsorientierte Ausgestaltung. Am Tisch saß die Politik, die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, die IHK Berlin, die Handwerkskammer, die freien Berufe, die Vereinigung der Unternehmerverbände Berlin und Brandenburg und der DGB – als PartnerInnen in der Berufsausbildung. Fehlt da jemand?

Warum hat man nicht diejenigen gefragt, die täglich mit der Situation vor Ort zu tun haben, also die Lehrkräfte und Schulleitungen der ausbildenden Schulen? Und wäre es gar zu revolutionär gewesen auch einmal die betroffenen SchülerInnen und Auszubildenden zu befragen? So ist mal wieder ein Papier aus dem Elfenbeinturm herausgekommen.

In dem Papier geht es um die Stärkung der dualen Berufsausbildung und das Schaffen von mehr Ausbildungsmöglichkeiten in diesem System. Dabei wird in jedem zweiten Satz betont, dass die Verantwortlichen verstärkt mit den potenziellen Ausbildungsbetrieben reden wollen. Wohlbemerkt: Wollen – denn man kann ja keinen Betrieb zwingen, auszubilden. Spätestens hier wird es grotesk. Man kann zwar keine Betriebe zwingen, Ausbildungsplätze anzubieten, aber man kann die SchülerInnen zwingen, entsprechende Beratungsangebote wahrzunehmen. Da die duale Ausbildung Priorität vor vergleichbaren vollzeitschulischen Ausbildungsgängen hat und die Betriebe anscheinend keine Interessenten finden, geht man wieder einmal den umgekehrten Weg. Wer in einen vollzeitschulischen Ausbildungsgang will, muss nachweisen, dass er keinen betrieblichen Ausbildungsplatz bekommen hat.

Was ist aber mit der Wahlfreiheit der SchülerInnen? Werden sie entmündigt und soll ihnen ein Weg (wenn sie dann das Abitur nicht ablegen wollen oder können) diktiert werden? Was ist mit der Qualität von Ausbildung? Für die Betriebe hängt die Messlatte, wer ausbilden darf, relativ niedrig. Einmal als Ausbildungsbetrieb eingetragen, ist die Eignung »lebenslänglich« attestiert. So wird die Qualität der dualen Ausbildung auch regelmäßig im Ausbildungsreport des DGB kritisiert. Die Berufsschulen werden dagegen durch installierte Qualitätsmanagementsysteme und Schul-inspektionen regelmäßig überprüft.

Die doppeltqualifizierende vollzeitschulische Berufsausbildung bietet gegenüber der dualen Ausbildung zwei Vorteile. Sie führt die SchülerInnen zu einem Berufsabschluss und zu einer Fachhochschulreife, also zu einer Studienqualifizierung. Die AbsolventIn hat die Wahl: Arbeit in einem Betrieb oder Studium in einer Fachrichtung.

Zum Zweiten müssen die Berufsschulen sich in dieser Ausbildungsform nicht nach spezifischen betrieblichen Bedürfnissen richten. Sie können unabhängig davon ausgebildet werden, weswegen sie ein breiteres Spektrum an beruflichen Möglichkeiten haben. In der dualen Ausbildung, gerade in Berlin, werden die Auszubildenden allzu oft lediglich als preiswerte Arbeitskraft eingesetzt.

Doppelt qualifizierende Bildungsgänge sollen nun auch verstärkt in der dualen Ausbildung entstehen. Ist das realistisch? Hat man die Betriebe dazu mal befragt? Es ist unwahrscheinlich, dass Betriebe mit dem Risiko ausbilden, dass die Fachkräfte nach der Ausbildung den Betrieb in Richtung Hochschule verlassen. Sinnvoller ist es, dass die Betriebe duale Studien anbieten. Hier haben sie die Fachkräfte, die dem Betrieb längerfristig zur Verfügung stehen. Mit der Doppelqualifikation in der vollzeitschulischen Ausbildung bringen diese Fachkräfte auch die Voraussetzungen für ein duales Studium mit.

In Berlin gibt es wegen der fehlenden betrieblichen Ausbildungsplätze ein plurales System in der Berufsausbildung. Dabei hat die vollzeitschulische Berufsausbildung einen gleichberechtigten Platz neben dem dualen System eingenommen und eine Ausbildung mit hoher Qualität entwickelt. Dieser bewährte Weg darf nicht dem Willen der Wirtschaftslobby geopfert werden. Denn man erhöht auf diese Art das Angebot an BewerberInnen auf die knappen Plätze und unterstützt damit die Rosinenpickerei der Betriebe.

Man sollte vielmehr den Jugendlichen echte Chancen eröffnen und ihnen die Wahl überlassen.

Warum haben sich in der Vergangenheit viele Jugendlichen bewusst für die vollschulische Ausbildung entschieden? Lag dies vielleicht auch an der Qualität der Ausbildung? Aber vorsichtshalber hat man sie ja nicht gefragt.