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blz 04 - 05 / 2015

Bitte halten Sie auch Taschentücher bereit

Geflüchtete Jugendliche an der Carl-Zeiss-Oberschule erzählen ihre Geschichte über den syrischen Bürgerkrieg in einem Theaterstück

Sie lächeln nicht, nein, sie strahlen. Aufgeregt wuseln sie zwischen den ankommenden ZuschauerInnen hin und her. Ihre freudige Nervosität überträgt sich. Ich bin gespannt, was ich gleich sehen werde.

Niemand käme auf die Idee, dass diese glücklichen Jugendlichen erst vor wenigen Monaten vor Krieg, Gewalt und Folter geflohen sind.

Heute zeigen syrische SchülerInnen der Sprachlernklasse der Carl-Zeiss-Oberschule ihre Geschichte in einem selbstgeschriebenen Theaterstück. Der Schulleiter Stephan Zapfe begrüßt die rund 200 ZuschauerInnen und benennt in seiner Rede die zwei Ziele des Theaterstücks: Zum einen ein deutliches Zeichen für Frieden, Freiheit, Toleranz, Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu setzen. Zum anderen geht es konkret um die Erlebnisse von Bushra, Farah, Marah, Lana, Maran, Khaled, Feras, Majd, Oday, Youssef und Marijan. Die fünf Mädchen und sechs Jungen haben Schreckliches erlebt. Dieses Stück soll ihnen dabei helfen, das Erlebte zu verstehen und zu überwinden. In diesem Sinne war der Weg, die Entwicklung des Stückes, das Ziel. Es hat Heilungsprozesse unterstützt. Die SchülerInnen konnten neue Kräfte gewinnen, sich freispielen. Die stellvertretende Schulleiterin Monika Braun ist die Lehrerin der Klasse, sie hat das Stück mit den syrischen SchülerInnen einstudiert und bringt ihnen Deutsch bei. Abgesehen von der wichtigen Auseinandersetzung mit ihrem Schicksal war die anstehende Aufführung eine große Motivation für die Jugendlichen beim Deutsch lernen.

SchülerInnen aus verschiedenen Kursen des Fachbereichs Darstellendes Spiel kümm-ern sich um Licht- und Tontechnik. Bevor das Stück beginnt, tragen sie Erlebnisse der syrischen Jugendlichen während des Krieges und der Flucht vor. Die blz hatte diese Texte in ihrer Februar-Ausgabe »Geflüchtete Kinder« abgedruckt. Die Lesung endet mit den Worten: »Ganz viel Applaus würde uns sehr glücklich machen. Bitte halten Sie auch Taschentücher bereit.«

Endlich geht es richtig los. Das Stück zeigt zwei befreundete Familien, eine Generalsfamilie und eine, die in ärmeren Verhältnissen lebt. Zu Beginn feiern sie noch fröhlich gemeinsam das Zuckerfest, doch die verschiedenen Meinungen über den Präsidenten entzweien die Familien. Klagen über Armut erscheinen der reicheren Familie als Kritik an der Politik. Die Lage spitzt sich zu.

Eine Szene wird plötzlich ernst. Der junge Student, der sich kritisch über das Regime äußerte, wird verhaftet, in das Foltergefängnis in Adra gebracht, an einen Kleiderständer festgebunden, vom General verprügelt, angeschossen und kommt dann »in den Mülleimer«.

Während der Umbaupausen tragen die SchülerInnen der DS-Kurse Gedichte über den syrischen Bürgerkrieg vor. Monika Braun erzählte, dass es den syrischen Jugendlichen viel Freude bereitet habe, sich mit diesen Gedichten im Unterricht auf Deutsch und Arabisch zu beschäftigen. Vielleicht wäre es an dieser Stelle sinnvoll gewesen, zumindest einen Teil der Gedichte auch auf Arabisch vorlesen zu lassen.

Nach einer Pause öffnet sich der Vorhang und die ZuschauerInnen bekommen ein Schlachtfeld präsentiert.

Der Bürgerkrieg ist ausgebrochen, hat alles und jeden zerstört. Langsam erheben sich die Verletzten, sich gegenseitig stützend, schleppen sie sich von der Bühne. Der General streckt sich unter Schmerzen und ruft laut: »Ich bin immer noch da – noch nicht getötet.« Wie die Jugendlichen, die das Stück spielen. Sie sind noch da. Und sie leben.

Dann geht es plötzlich schnell. Die Flucht wird angedeutet. Einer kleinen Gruppe Frauen wird vom Schlepper Geld entrissen. Koffer bleiben zurück. Der Vorhang fällt. Verschiedene Radiobeiträge über Katastrophen von Fliehenden rufen uns Bilder in den Kopf. Der Vorhang öffnet sich ein letztes Mal.

Die Frauen erreichen die Grenze Deutschlands: »Wir kommen aus Syrien!« Mauern werden zur Seite geschoben. »Kommt, kommt, wir helfen euch!«, sagen die deutschen Grenzbeamten freundlich.

Fröhliche Musik spielt, in einer Reihe tanzend und klatschend schreiten sie nach vorne: Zuckerfest in Deutschland, ohne Angst und Granaten. Das Publikum jubelt und klatscht minutenlang. Wie eine Siegestrophäe halten zwei Schüler einen Blumenstrauß in die Höhe »Danke für Frau Braun!«.

Ich gehe nachdenklich nach diesem Abend nachhause, ich habe heute glückliche Kinder gesehen, damit hatte ich nicht gerechnet. Kinder, die keine passiven Opfer mehr sind, sondern aktiv ihr Leben mitgestalten können und wollen, so wie sie dieses Stück gestaltet haben. Das ist großartig und macht viel Hoffnung. Diese Jugendlichen können uns ein Vorbild sein. Ich hoffe, sie bleiben bei uns.

Dieses Theaterstück ist ein gutes Beispiel dafür, wie Schule bewusst und positiv mit der Integration von geflüchteten SchülerInnen umgehen kann. Es wäre schön, wenn das Inspiration auch für andere wäre.