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bbz 02 / 2018

Die Stiefkinder des Berliner Bildungswesens

Die Volkshochschulen werden in der Berliner Bildungspolitik oft vergessen. Ein Grund ist, dass ihnen eine unabhängige Interessenvertretung fehlt. Das ließe sich jetzt ändern.

Die Volkshochschulen sind im neuen Doppelhaushalt reich bedacht worden: 3,9 Millionen Euro stellt das Abgeordnetenhaus für 2018/19 bereit, damit die Honorare der Kursleiter*innen an Volkshochschulen (VHS) insgesamt auf das Niveau der Honorare für Lehrkräfte in Integrationskursen angehoben werden können. In zwei Schritten zum 1. August 2018 und zum 1. August 2019 soll der wichtigste VHS-Honorarsatz auf 35 Euro pro Unterrichtsstunde steigen. Weitere 4 Millionen Euro sollen die Errichtung des gemeinsamen Servicezentrums der Berliner Volkshochschulen ermöglichen. Um diese Erfolge auf Dauer zu stellen, brauchen die Volkshochschulen eine unabhängige Interessenvertretung, die es in Berlin nie gab, die aber jetzt geschaffen werden könnte.

Seit Jahrzehnten wird völlig zu Recht beklagt, dass es keine unabhängige Interessenvertretung der Berliner Volkshochschulen gibt. Deren heutige Lage wäre vermutlich weniger schwierig, wenn kontinuierlich Lobbyarbeit betrieben worden wäre. In anderen Bundesländern bündeln VHS-Landesverbände die Interessen der Volkshochschulen beziehungsweise ihrer Träger*innen und leisten zentrale pädagogische und organisatorische Dienste für die Einrichtungen. Dass das in Berlin nicht möglich ist, ist eine direkte Folge der Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung. Die Bezirke unterhalten die Volkshochschulen, sind aber nicht Träger*innen im juristischen Sinne, weil sie keine Rechtspersonen sind. Träger*in ist die eine Rechtsperson, die es in Berlin gibt: das Land Berlin. Das Land allein wiederum kann keinen Landesverband als eingetragenen Verein gründen. Dazu wären sieben juristische oder natürliche Personen erforderlich.

Den Volkshochschulen fehlt eine Lobby

Die Gesellschaft zur Förderung der Berliner Volkshochschulen e.V., einst gegründet, um diese Leerstelle auszufüllen, kann die fehlende unabhängige Interessenvertretung allenfalls teilweise kompensieren, weil ihre Mitglieder – viele davon VHS-Mitarbeiter*innen – dem Verein als Privatpersonen angehören und nicht im Namen ihrer Einrichtung handeln können. Der Gesellschaft kann jede*r beitreten, einem Landesverband können nur die Träger*innen der Volkshochschulen des Bundeslandes oder bei eigener Rechtsfähigkeit die Volkshochschulen selbst angehören. Weil die Vereinsgründung im Sinne eines eingetragenen Vereins nicht möglich war, ist in Berlin die Errichtung eines VHS-Landesverbandes nie weiter verfolgt worden. Als 1953 der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) als »Verband von Verbänden« gegründet wurde, bot sich als Lösung für die Vertretung der West-Berliner Volkshochschulen im DVV nur die Mitgliedschaft des Landes selbst an. Das Land Berlin als Gründungsmitglied des DVV hat in den folgenden Jahrzehnten die Aufgaben eines Landesverbandes, die Mitarbeit im DVV und den pädagogischen Service für die Einrichtungen betreffend, mal mehr, mal weniger intensiv wahrgenommen.

Die zuständige Senatsverwaltung – anfangs die »Volksbildung« sogar im Namen führend – wurde 1978 vom Abgeordnetenhaus im Schulentwicklungsplan III mit der Errichtung einer Pädagogischen Arbeitsstelle für die Volkshochschulen und andere Einrichtungen der Weiterbildung, einer Prüfungsstelle und einer Zentralen Informations- und Beratungsstelle für Weiterbildung beauftragt. Zum Vollausbau der Pädagogischen Arbeitsstelle ist es nie gekommen. Der Abbau begann schon unter den Einsparvorgaben der 1990er Jahre. Die Serviceaufgaben eines Landesverbandes hätten von der Pädagogischen Arbeitsstelle vielleicht dauerhaft wahrgenommen werden können, eine unabhängige Interessenvertretung war innerhalb der Verwaltung aber nicht möglich. Die Stimme des Landesverbands fehlte gerade in dem Augenblick, als der Ausbau der Volkshochschulen und der Pädagogischen Arbeitsstelle stagnierte und es zu ersten Kürzungen im Personalbereich kam. Die Personalausstattung der Berliner Volkshochschulen ist seither, bezogen auf den Leistungsumfang der Einrichtungen, immer weiter zurückgegangen und liegt jetzt bei weniger als 50 Prozent des großstädtischen Durchschnitts.

Das Servicezentrum muss unabhängig sein

Seit 2015 besteht der Plan, ein gemeinsames Servicezentrum der Berliner Volkshochschulen einzurichten. Der Bedarf an zentralen Strukturen für den pädagogischen und organisatorischen Service war so deutlich geworden, dass sich sowohl die Bezirke untereinander als auch Senats- und Bezirksebene auf diesen Vorschlag verständigen konnten. Die Frage nach der Finanzierung des Servicezentrums ist beantwortet. Das Abgeordnetenhaus stellt die benötigten Mittel von zwei Millionen Euro pro Jahr ab 2018 zur Verfügung. Große Teile der Summe sind allerdings gesperrt, bis ein Organisationskonzept vorliegt, das den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses überzeugt. Es muss jetzt also die Frage nach der Organisations- und Rechtsform des Servicezentrums beantwortet werden. Dabei ist zu bedenken: Wenn wie 1978 eine Konstruktion innerhalb der Berliner Verwaltung gewählt wird – das könnte zum Beispiel ein gemeinsamer Eigenbetrieb der Bezirke sein – dann wird es wieder keine unabhängige Interessenvertretung der Volkshochschulen geben. Die Unabhängigkeit der Landesverbände beruht darauf, dass sie eigene Rechtspersonen sind und dass über ihr Handeln ausschließlich in den Verbandsgremien entschieden wird. Die Landesverbände können sowohl gegenüber der jeweiligen Landesregierung unabhängig auftreten als auch gegenüber den Träger*innen der einzelnen Einrichtung und können gerade deshalb auch die Interessen der einzelnen Volkshochschulen zu wahren helfen.

Die Unabhängigkeit vom Land besteht auch dort, wo Landesverbände vom Land finanziell gefördert werden; dies geschieht auf gesetzlicher Basis und setzt kein Wohlverhalten voraus. Die Praxis zeigt, dass die landespolitische Lobbyarbeit sowohl solcher Landesverbände erfolgreich ist, die sich aus Mitgliedsbeiträgen plus Eigeneinnahmen finanzieren, als auch die Arbeit von Verbänden mit Landesförderung. Die Berliner Situation erscheint als so schwierig, weil nur das Land als Rechtsperson eine neue Rechtsperson begründen kann. Ein solcher Schritt wird jedoch von den Bezirken erstens als Zentralisierung angesehen, auch wenn die Steuerung der Einrichtung ähnlich konstruiert wäre wie bei einer Einrichtung in bezirklicher Regie. Zweitens wird bezweifelt, dass eine Landeseinrichtung vom Land unabhängig agieren kann. Statt dieser Befürchtung wegen auf den Versuch zu verzichten, kann man auch auf eine Konstruktion der Einrichtung setzen, die deren Unabhängigkeit sichert. Die Leitung einer per Gesetz errichteten rechtsfähigen Anstalt öffentlichen Rechts ist ihren Aufsichtsgremien verantwortlich, niemandem sonst. Es hängt entscheidend von der Zusammensetzung der Steuerungsgremien, von deren Zuständigkeit und vom Entscheidungsbereich der Geschäftsführung ab, wie unabhängig eine Einrichtung in der Praxis agieren kann.

Die Gelegenheit ist günstig

Die rechtliche Situation im Land Berlin ist wie sie ist. Wer eine unabhängige Interessenvertretung der Volkshochschulen will, muss den paradoxen Weg einer Gründung durch das Land nehmen. Wer mit einem Servicezentrum zufrieden ist, das »nur« Service bietet, kann sich für den Eigenbetrieb entscheiden und auch so eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem Ist-Zustand erreichen. Die Chance auf eine unabhängige Interessenvertretung wäre dann aber vertan, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass es eine zweite geben wird. Wer später noch einen Landesverband will, wird warten müssen, bis die Bezirke selbständige Kommunen geworden sind.