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bbz 01 / 2018

Die Landesdelegierten tagten …

Trotz kalter Temperaturen wurde auf der Landesdelegiertenversammlung hitzig über das Neutralitätsgesetz diskutiert. Es gab aber auch einen großen Erfolg, auf den mit Sekt angestoßen wurde.

Im Rahmen der GEW Aktionswoche "Jetzt schlägt´s 13" findet die Landesdelegiertenversammlung der GEW-Berlin auf dem Platz vor der Senatsverwaltung für Bildung statt. (Foto: Christian von Polentz / transitfoto.de)

Der zweite Tag der Landesdelegiertenversammlung (LDV) startete anders als sonst: Statt um 9 Uhr in den Tegeler Seeterrassen mit der Antragsberatung zu beginnen, trafen sich die Delegierten vor der Senatsbildungsverwaltung. Im Rahmen der Aktionswoche zur Höhergruppierung der Grundschullehrkräfte wollten wir auf unsere Forderungen aufmerksam machen und die Senatsverwaltung an die gemeinsame Vereinbarung vom August 2016 erinnern. Bei knapp über null Grad stellte Udo Mertens den Antrag »Umsetzung der Zusagen aus der Koalitionsvereinbarung und der Erklärung mit dem Finanzsenator« vor.

Trotz der Kälte entpuppte sich eine lebhafte Diskussion um einzelne Formulierungen. Mit roten Nasen debattierten wir leidenschaftlich, ob angesichts der Verweigerungshaltung der Senatsverwaltung eine solche Erklärung noch einmal unterzeichnet werden sollte. Der Antrag wurde dann mit übergroßer Mehrheit angenommen und die gut 200 Delegierten machten sich wieder nach Tegel auf, um die Antragsberatung im Warmen fortzusetzen.

Die Korken knallen

Der Jubel war groß, als unsere »Spione« aus dem Abgeordnetenhaus berichteten, dass die rot-rot-grüne Koalition unseren jahrelangen Bemühungen um Gleichbezahlung aller Berliner Lehrkräfte gefolgt war. Unsere Protestaktionen hatten zunächst im August 2016 zu der gemeinsamen Erklärung geführt. Diese wurde dann von der Verwaltung aber nur unzureichend umgesetzt. Zum Beispiel waren die Verbesserungen für die Lehrkräfte in unteren Klassen (LuKs) nicht aufgenommen worden.

Unsere Aktionen unter dem Motto »Jetzt schlägt’s 13« waren schließlich von Erfolg gekrönt: Neben der Höhergruppierung der Grundschullehrkräfte wurde noch eine Absenkung des Lehrdeputats von Quereinsteiger*innen während der Ausbildung und eine wie auch immer geartete Entlastung der Pädagog*innen an Brennpunktschulen zugesagt und die Mittel dafür in den Doppelhaushalt 2018/2019 aufgenommen (mehr dazu im Artikel "Das Ziel ist nah). Jetzt liegt es nur noch am Finanzsenator, der aber an diesen deutlichen Beschlüssen wohl kaum vorbeikommen wird. Dafür hatten sich die Delegierten am Schluss der LDV ein Glas Sekt verdient.

Die Sache mit dem Kopftuch

Am ersten Tag der LDV stand unser Umgang mit dem Neutralitätsgesetz zur Debatte. Das Gesetz verbietet es bis dato Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen, sichtbare religiöse Symbole zu tragen. In der Vergangenheit hatten muslimische Lehrkräfte dagegen geklagt und eine gesellschaftliche Debatte über Diskriminierung durch das Gesetz ausgelöst. Bevor die Diskussion unter den Delegierten begann, gaben drei Expert*innen jeweils ein juristisches, gesellschaftspolitisches und pädagogisches Impulsreferat. Die Expert*innen waren die Juristin Sabine Berghahn, die Judaistin Hannah Tzuberi und der Professor und Erziehungswissenschaftler Jörg Ramseger.

Berghahn berief sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts und berichtete den Anwesenden, dass das pauschale Verbot sichtbarer religiöser Symbole oder Kleidung von Lehrkräften verfassungswidrig sei und im Konflikt zu aktuellen Urteilen aus NRW und Baden-Württemberg stünde.

Tzuberi ging in ihrem Input-Vortrag auf die gesellschaftspolitische Dimension der vergangenen »Kopftuchdebatten« ein. Im Fokus stand hierbei weniger die Bedeutung des Kopftuchs, als vielmehr die Dynamiken und Prämissen der Debatten selbst: Wer stellt wann was in Frage, wer muss sich erklären, und warum? Es ging ihr dabei auch um eine positive Beschreibung von religiösen Traditionen als Ressource. Sie positionierte sich gegen eine staatliche Disziplinierung religiöser Traditionen und für die Partizipation sowie Repräsentation auch nicht-christlicher Religionen im öffentlichen Raum und staatlichen Bildungseinrichtungen.

Zu einem reflektierten Umgang mit Religiösität ermutigen

Ramseger vertrat die Position, dass Lehrkräfte keine neutralen Vollzugsbeamten sein sollten, sondern Repräsentant*innen einer pluralistischen Gesellschaft. Demnach würde das Tragen religiöser Symbole in der Schule die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln und Schüler*innen dadurch zu einem reflektierten Umgang mit Religiösität ermutigen. Er verwies auf Erfahrungen aus Bremen, wo bereits Lehrkräfte mit sichtbaren religiösen Symbolen unterrichten dürfen und bis dato keine Zunahme von Konflikten zu verzeichnen sei. Ähnliches gilt laut Ramseger auch für Berlin. Hier unterrichten ja schon muslimische Lehramtsanwärterinnen mit Kopftuch in öffentlichen Grundschulen, weil der Staat eine Ausbildungspflicht auch für bekennende Muslimas hat, die ihr Kopftuch nicht ablegen wollen, und sie im Referendariat auch in der Schulpraxis ausbilden muss.

Eine Gefahr für das Schulklima

Anschließend wurde in 15 Workshops über die einzelnen Referate diskutiert. Beispielhaft sei hier die Diskussion der AG 1 wiedergegeben, die von Thomas Isensee geleitet wurde. Die Gruppe sollte eine intensive, von der Vielfalt der Erfahrungen geprägte Erörterung eines komplexen Themas leisten. Die entspannt und offen geführte Diskussion entwickelte sich angesichts der Komplexität anders als erwartet. Die Frage, ob Trägerinnen des islamischen Kopftuchs zum Referendariat oder gar Lehramt zugelassen werden sollen, war zumindest in der AG 1 nicht zentral, sondern die Situation in Schulen vor allem in sozialen Brennpunkten.

Die Beurteilung der Kopftuchfrage war geprägt von Erfahrungen mit Schüler*innen mit islamischem Hintergrund, deren aggressivem Verhalten gegenüber Mitschülerinnen ohne Kopftuch und Respektlosigkeiten gegenüber Lehrkräften. Es wurde die Sorge geäußert, ob die Zulassung des Kopftuchs nicht noch als Ermutigung für islamistisch geprägte Aggressivität empfunden werden könnte. Die Inputs wurden von den Teilnehmer*innen der AG demgegenüber als zu einseitig und praxisfern empfunden.

Zentrale Frage für die AG war: Was soll die GEW BERLIN tun? Da überwog in der exemplarischen AG 1 die Meinung, an dem Gesetz nichts zu ändern, die Schule entsprechend der Grundüberzeugung der Teilnehmer*innen säkular auszurichten. Allen gemeinsam war allerdings die Erwartung an die Gewerkschaft, eine gründliche Diskussion unter Berücksichtigung aller Positionen einschließlich des pädagogischen Selbstverständnisses zu führen. Die GEW BERLIN sollte vom Senat allerdings eine klare Position – zum Beispiel Gleichbehandlung der Lehrkräfte aller Schularten – und wirksame Konzepte zur Unterstützung der Arbeit an Brennpunktschulen einfordern.

Neutralität an der Schule gibt es nicht

Zum Abschluss des ersten Tages wurde eine Fish-Bowl-Diskussion mit den Referent*innen des Vormittags und zusätzlich Naila Chikhi von Terres des Femmes und Hildegard Greif-Groß, der Leiterin der Neuköllner Hektor-Petersen-Grundschule durchgeführt. Freie Stühle links und rechts gab es für diskussionsbegleitende Wortbeiträge von Landesdelegierten auch – sie wurden rege genutzt.
Weil es zu keiner abschließenden Beschlussfassung zum Thema kam und sich der Berichterstatter nicht in der Lage sieht, selbst ein gültiges Fazit zu ziehen, seien im folgenden einige – auch widersprüchliche – Zitate aus der Diskussion wiedergegeben:

•  »Neutralität an der Schule gibt es nicht«
• »Das Kopftuch ist ein Symbol für die fundamentalistische, rückwärtsgewandte, reaktionäre Auslegung einer Religion«
• »Die GEW steht für eine diskriminierungsfreie Schule der Vielfalt«
• »Frauen, die ein Kopftuch tragen, stigmatisieren sich selbst«
• »Mit dem Aushöhlen des Neutralitätsgesetzes fallen wir den säkularen Moslems in den Rücken«
• »Wir haben in den Schulen Mädchen, die von ihrer Peergroup, die von ihrem Elternhaus unter Druck gesetzt werden ein Kopftuch aufzusetzen. Welche Auswirkungen hat das für diese Mädchen, wenn eine Lehrerin, ein Vorbild, ein Kopftuch trägt?«

Spenden für den Mete-Ekşi-Fonds

Aber das Neutralitätsgesetz blieb nicht das einzige Thema der LDV. Bei der Vorstellung des Haushalts begründeten unsere Kassierer Volker Göbeler und Dieter Haase eine zusätzliche Einstel-lung von 450.000 Euro bei den abzuführenden Beiträgen damit, dass in Zukunft verschärft Tarifkonflikte auch auf Landesebene durchzuführen sein könnten.

Im Geschäftsbericht von Doreen Siebernik und Tom Erdmann wurden noch einmal unsere Schwerpunkte herausgestellt. Darunter zum Beispiel die Raumnot in den Brennpunktschulen oder die Quereinsteiger*innenproblematik. Der Rechtsschutz für Geflüchtete inklusive Asylbewerberleistungsgesetz ist mittlerweile geregelt. In der Geschäftsstelle wird fleißig gebaut. Unter anderem ist ein Lift vorgesehen. Auch der Mete-Ekşi-Preis wurde dieses Jahr wieder vergeben. In diesem Zusammenhang konnte Peter Baumann berichten, dass auf der LDV über 800 Euro gespendet worden waren. In Zukunft sollen auch Nominierungen für den Preis möglich sein und nicht wie bisher ausschließlich Selbstbewerbungen. Die Mahnwache am 9. November auf dem Wittenbergplatz wurde wieder durchgeführt. Eine Fahrt zu der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück am 11. November fand ebenfalls statt.

Die Themen Arbeitszeit und Arbeitsbelastung bleiben wichtig

Verschiedene Anträge zu den wichtigen Themen Arbeitszeit und Arbeitsbelastung wurden lange diskutiert. Da sowohl einige Vorstandskolleg*innen als auch verschiedene Delegierte argumentierten, dass die in den Anträgen enthaltenen Forderungen normales Alltagsgeschäft der dafür gewählten Funktionsträger*innen seien, wurden die Anträge entweder zurückgezogen oder fanden keine Mehrheit.
Die weiteren Beschlüsse sind der Internetseite der GEW BERLIN zu entnehmen. Ein Antrag wurde an den Landesvorstand überwiesen (»Vertrag über das Verbot von Kernwaffen«), weil das Ende der Versammlung erreicht war und die Delegierten endlich den oben schon erwähnten Sekt zu sich nehmen wollten.