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bbz 01 / 2016

Alle Jugendlichen sind willkommen

Wie nach Fluchterfahrungen Integration gelingen kann, diskutierte die GEW auf dem Themenabend »Willkommensklassen«.

Nur 70 der 200 Anmeldungen konnten berücksichtigt werden – der Saal war voll, die Teilnehmenden gespannt. Eingeladen hatten der Landesausschuss für Migration, Diversity und Antidiskriminierung und der Vorstandsbereich Schule der GEW BERLIN. Zu Beginn des Themenabends »Willkommensklassen« erklärte der Psychologe Thomas Haudel, dass Flucht nicht immer zum Trauma führen muss. Entscheidend ist ein verlässliches soziales Gefüge. Aus diesem Grund müsse das erste Anliegen im Unterricht sein, Kindern Sicherheit zu vermitteln und eine unterstützende Beziehung zwischen den Lehrkräften, den Kindern und den Eltern aufzubauen. Auf unsichere Lebenssituationen gut zu reagieren, gestalte sich für Lehrkräfte aber schwierig, denn Unterricht kann keine Einzeltherapie ersetzen und die Beantragung von Therapien erfordere einen langen Atem.
Besonders deutlich wurde auf der Veranstaltung das Problem der Übergänge der Neuzugänge, vor allem am Gymnasium. Eine Ursache für die abwehrende Haltung gegenüber den WillkommenschülerInnen sind dort die vollen Regelklassen, eine andere ist fehlende Unterstützung. Mit zusätzlichen Förderstunden könnte auch der gymnasiale Unterricht gemeistert werden. Dies ist momentan aber aufgrund der Berechnungswege für Sprachförderunterricht nicht möglich. Verlängerungsanträge für die Verweildauer in Klassen werden vom Schulamt derzeitig abgelehnt. Viele TeilnehmerInnen erzählen, dass sie allein für die Lerngruppen zuständig sind, wenig Fachunterricht stattfindet und es wenig Integrationsangebote von Seiten der Schulleitung oder des Kollegiums gibt. Es wurde allerdings auch von Schulen berichtet, wo zwischen Fachlehrkräften und WillkommenslehrerInnen nicht unterschieden wird. Die KollegInnen sind dort in der Lage, sprachsensiblen Unterricht anzubieten und die Lernenden sammeln so Erfahrungen mit der jeweiligen Fachsprache.

Was fehlt ist bekannt

In den anschließenden Gesprächsrunden tauschten sich die TeilnehmerInnen aus und berieten sich gegenseitig. Im Ab-schluss-gespräch wurde festgestellt: Wir können das nicht alles leisten. Verbindliche Strukturen und Regelungen werden dringend benötigt. Es gibt immer noch keine verbindlichen Regelungen für Unterrichtsinhalte, für die Bewertung und für Übergangskriterien. Die durchgängige Sprachbildung wird im neuen Rahmenlehrplan zwar erläutert, aber konkrete Hilfen für die Umsetzung werden kaum aufgeführt. Mehrsprachigkeit soll wertgeschätzt werden, aber als Ausgangspunkt und Chance wird sie nicht benannt. Auch Unsicherheiten bezüglich Methodik und Didaktik wurden in den Gesprächen deutlich: Deutsch als Zweitsprache (DaZ) muss unbedingt als eigenständiges Studienfach angeboten werden. Die Kompetenz, Nicht-muttersprachlerInnen die deutsche Sprache vermitteln zu können, erfordert mehr, als DeutschlehrerInnen leisten können. In jeder Klasse muss es außerdem mindestens eine weitere sozialpädagogische Kraft geben, um den Bedürfnissen der Lernenden über den Unterricht hinaus gerecht zu werden.
Die Anforderungen an die KollegInnen werden aufgrund der höchst prekären Arbeitsbedingungen erschwert. Mehrere Personalräte boten das Gespräch an, welches dankbar von den TeilnehmerIn-nen angenommen wurde. Viele Fragen wie etwa in Bezug auf die Eingruppierung konnten nur in individuellen Gesprächen beantwortet werden. Es wurden nicht nur individuelle Unterschiede festgestellt, sondern auch bezirksspezifische. Deutliche Forderungen, die dem Senat bereits bekannt sind, bleiben auch am Ende des Abends: unbefristete Einstellung, mehr Qualifizierung, mehr Personal und bessere Rahmenbedingungen.