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bbz 03 / 2016

Kopieren, mixen, teilen – mit OER ist vieles möglich

Staatssekretär Rackles hatte zum Runden Tisch eingeladen, um über »open educational resources (OER)« zu diskutieren. Der Senat schafft eine Plattform für diese Unterrichtsmaterialien.

OER bedeutet »open educational resources« – auf Deutsch etwa »offene Bildungsmaterialien«. Bei dem Konzept der OER geht es darum, den Berliner und Brandenburger Lehrkräften in Ergänzung zu den traditionellen Angeboten der Schulbuchverlage und den Diensten der Landesstellen Lehr- und Lernmaterialien zur Verfügung zu stellen. OER bringen an einigen Punkten entscheidende Neuerungen mit sich. Die Materialien sind idealerweise »bottom up« erstellt, geben also in der Praxis erprobte Erfahrungen und Konzepte von KollegInnen wieder. Sie enthalten ausschließlich urheberrechtlich »sauberes« Material, so braucht sich niemand um die Lizenz zu sorgen. Die Materialien können benutzt, kopiert und unbeschränkt eingesetzt werden. Sie ermöglichen, zumindest ist das das Ziel, was bei Schulbüchern und anderen Quellen nicht möglich ist: das legale Ergänzen und Weiterverarbeiten der Unterrichtsmaterialien, den eigenen Anforderungen entsprechend. Das Material ist digital aufbereitet und ermöglicht den Mix verschiedener Medienkanäle. Schrift, Ton und Bild können Hand in Hand unterschiedliche Lern-umgebungen darstellen. Das Material ist insofern prinzipiell inklusionsfreundlicher, als es ein Schulbuch sein kann. Wenn es kreativ erstellt ist und Freiräume der Nutzung und Weiterverarbeitung bietet, kann das Material gleichzeitig die Medienkompetenz der SchülerInnen wie auch der Lehrkräfte fördern.

Das Thema OER ist dabei kein Thema von digitalen SpezialistInnen, sondern basiert auf einer breiten, weltweit aktiven Bewegung für günstige, offene, flexibel und demokratisch kontrollierbare Bildungsmedien. Einer der großen Impulse in dieser Hinsicht war die UNESCO-Konferenz 2012 in Paris. In Deutschland haben verschiedene andere AkteurInnen, wie beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung und Wikimedia, sich das Thema zu Eigen gemacht. In Berlin gibt es einem Beschluss des Abgeordnetenhauses folgend einen »Runden Tisch« zu OER und mehrere Arbeitsgruppen. Gemessen an der langen Laufzeit anderer gesellschaftlicher Entwicklungen gerade bei Themen digitaler Medien ist dies positiv hervorzuheben. Doch wie bei anderen digitalen Entwicklungen muss man auch hier genau hinschauen. Geht es eventuell nur um vermeintliche Einsparungen? Will die Senatsbildungsverwaltung also weniger Geld für Schulbücher und Arbeitshefte ausgeben, weil dann ja »alles umsonst im Netz« liegt? Wird hier der nächste Datenfriedhof angelegt, bei dem viele Ressourcen in Bildungsmaterial gesteckt werden, das dann niemanden interessiert? Gibt es ein Gesamtkonzept, dass nicht nur die didaktische Qualität, die Niedrigschwelligkeit des Zugangs, die technische Flexibilität sondern auch die Ressourcenfragen berücksichtigt? Die Ver-waltung muss hier dringend nachsteuern.

Erste Praxistests angelaufen

Doch der Senat macht diesmal vieles richtig und gehört damit bei einer interessanten Entwicklung einmal zur vorderen Gruppe der Bundesländer. Es gibt mittlerweile eine Vereinbarung zur digitalen Plattform, die im Hintergrund arbeitet. Das Konzept dieser Plattform, das »edu--sharing«, wurde bei dem Runden Tisch vorgestellt und konnte in einiger Hinsicht punkten: Niedrigschwelligkeit des Zugangs, Offenheit gegenüber unterschiedlichen Lernplattformen, Ausbaufähigkeit und Schnittstellen-Performanz gegenüber bundesweiten Datenbeständen zum Beispiel der Museen. Weiterhin wurde Kontakt zu unterschiedlichen Berliner Schulen aufgenommen, um sie zu ermuntern, exemplarisch OER-Material zu erstellen und über die auftretenden Schwierigkeiten Feedback zu geben. Einen Einblick in diese Arbeit am Beispiel einer Spandauer Grundschule findet sich unter: www.lindgrenschule.de.

Andere Bundesländer, wie etwa Rheinland-Pfalz und Sachsen, setzen auf den gleichen Standard, so dass hier sogar länderübergreifend gearbeitet werden kann. Die Plattform ermöglicht passgenaue Adaption an den aktuell online gestellten Rahmenlehrplan (RLP). Es ist in Zukunft also für alle, auch Eltern und SchülerInnen, möglich, die Lernziele einer bestimm-ten Altersgruppe eines bestimmten Fachs oder einer bestimmten Kompetenz des RLP anzuklicken und dann auf passgenau dazu gestrickte Lernmaterialien zu stoßen. Geplant ist, diese Materialien erweiterbar und kommentierbar zu machen.

Medienbildungsplan könnte Antworten geben

Ungeklärt sind jedoch noch etliche Fragen. Angenommen, Berliner Lehrkräfte tauschen ihr Material nicht wie bisher nur untereinander aus, sondern wollen es auch digital unter OER-Lizenz anderen zur Verfügung stellen. Wer unterstützt sie bei dem Medienwechsel zur OER-Form, wer kümmert sich um die Lizensierung, wer garantiert die Qualität? Es gibt noch keine schlaue Idee, wie ein Redaktionssystem aussehen könnte, dass ausreichend unbürokratisch ist, um gute Ideen nicht im Keim zu ersticken. Um sich nicht gegenüber den Schulbuchverlagen lächerlich zu machen – von juristischen Einsprüchen gar nicht erst zu reden – müsste es aber auch die Qualität sichern. Diese muss auch gewährleistet bleiben, wenn die Datenbank geöffnet wird, um Material von gesellschaftlichen Initiativen zum Beispiel zur Integration von Geflüchteten oder zu gendersensibler Arbeit einzustellen. Gerade hier sind qualitative Mängel der traditionellen Schulbücher nachweisbar. Aber wie kann gleichzeitig der Zugang zu reaktionären beziehungsweise gesetzwidrigen Materialsammlungen versperrt werden? Die Schulbuchverlage zeigen klare Schwachpunkte, bei denen mit OER-Materialien bessere Lernumgebungen geschaffen werden können. Dennoch verfügen sie über große Erfahrungen, deren Wegfall ein Verlust für die Bildungslandschaft bedeuten würde. Welche Rolle können und sollen sie also künftig spielen? OER ist ein partizipatives Konzept, aber wie weit soll die Partizipation gehen? Dürfen auch SchülerInnen Materialien produzieren und einstellen? Und inwieweit werden hier auch die anderen Berufsgruppen, die an Schulen arbeiten, mitgedacht?

Und es gibt noch mehr Fragen bei der Erstellung einer eigenen Plattform. Warum sollten Lehrkräfte auf diesen Materialserver zugreifen, wo Vergleichbares bei youtube doch viel einfacher zu beschaffen ist? Wie – und das ist auch eine technische Frage – kann eine digitale Lernumgebung aussehen, die einfach zu benutzen und dennoch datensicher ist? Wie und in welcher Struktur können Fortbildungsangebote aussehen? Denkbar wäre ein Coaching für schulinterne Teams, möglich wären auch didaktische BeraterInnen auf Bezirksebene. Ganz allgemein stellt sich hier die Schlüsselfrage: Welche personellen sowie technischen Ressourcen und Unterstützungen werden den Lehrkräften zur Verfügung gestellt? Um diese Fragen zu beantworten, fehlt ein Medienbildungsplan, wie ihn diverse Verbände und auch die Landeselternschaft seit langem für Berlin und Brandenburg fordern.

Inzwischen stottert der Motor auf Landesebene etwas, weil Ressourcen und Personen in Richtung Integration von Geflüchteten verschoben wurden. Dennoch, ein erster Schritt ist gemacht, der erfreulich konkret gelungen scheint. OER ist, wie auch andere digitale Veränderungen, vielleicht nur eine vorübergehende Mode. Vielleicht aber auch – und einiges spricht dafür – eines der Elemente, die enormen Schub zur Umgestaltung des Schulsystems haben; im produktiven Sinne und mit Schnittmengen zu anderen Zielen wie der Inklusion und der Medienkompetenz.