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bbz 09 / 2016

Hamsterrad Mittelbau

Die Beschäftigungsbedingungen von wissenschaftlichen MitarbeiterInnen sind unbefriedigend, darin sind sich die PolitikerInnen einig. Ihre Ideen gehen allerdings in sehr unterschiedliche Richtungen, wie sich in der Mitgliederversammlung der Abteilung Wissenschaft zeigte.

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Das »Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses« wurde im Juni von Bund und Ländern beschlossen und läuft von 2017 bis 2032. Der Bund stellt hierfür eine Milliarde Euro bereit. Das Programm soll die Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten besser planbar und transparenter machen. Dazu werden 1.000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren geschaffen. Damit soll ein Impuls gesetzt werden, die Tenure-Track-Professuren als eigenständigen Karriereweg neben dem herkömmlichen Berufungsverfahren auf eine Professur an Universitäten dauerhaft zu etablieren. Jungen WissenschaftlerInnen sollen damit bessere Karrierechancen als bisher eröffnet werden.
Die GEW kritisiert, dass mit dem Programm keine neuen Stellenkategorien jenseits der Professur geschaffen werden. Promovierten, die in der Wissenschaft bleiben wollen, aber keine Chance oder keine Ambition auf eine Professur haben, wird so kein neuer und verlässlicher Karriereweg eröffnet. Außerdem sind die versprochenen 1.000 neuen Tenure-Track-Professuren viel zu wenig, um die Berufsperspektiven in der Wissenschaft wirksam zu verbessern. Dazu wären nach einer von der Max-Traeger-Stiftung in Auftrag gegebenen Expertise zu den »Anforderungen an eine aufgaben- und qualitätsgerechte Ausstattung der Universitäten mit wissenschaftlichem Personal« mindestens 5.000 neue Professuren erforderlich.
Die Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft sind seit einiger Zeit in der öffentlichen Diskussion. Im Mittelpunkt dabei stehen die befristeten Arbeitsverhältnisse, die unsicheren Berufsperspektiven und die unberechenbaren Karrierewege der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen. 90 Prozent von ihnen haben Zeitverträge mit Laufzeiten zum Teil von unter einem Jahr. Für die Mehrheit von ihnen gibt es keine Aussicht auf eine feste Stelle. Dazu ist zum einen die Anzahl der Professuren zu gering, und zum anderen gibt es keine Dauerstellen in Lehre und Forschung unterhalb der Professur. Die Berufsperspektiven in der Wissenschaft sind somit hochgradig unsicher, so dass der Ausdruck vom »akademischen Prekariat« die Runde macht. Zwar hat die Politik inzwischen auf diese Missstände reagiert und zum Beispiel im März 2016 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) novelliert. Ein weiterer Ansatz ist das oben beschriebene »Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses«. Nach Ansicht der GEW gehen diese Ansätze jedoch nicht weit genug, um daraus tatsächlich den »Traumjob Wissenschaft« zu machen, wie er im »Templiner Manifest« (2010) unserer Gewerkschaft beschrieben ist.

Diskussion mit Mitgliedern des Abgeordnetenhauses

Vor diesem Hintergrund lud die Abteilung Wissenschaft der GEW BERLIN im Mai die WissenschaftspolitikerInnen der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zur öffentlichen Podiumsdiskussion in das Auditorium des Grimm-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin ein. Der Einladung gefolgt waren Ina Czyborra (SPD), Hans-Christian Hausmann (CDU), Anja Schillhaneck (Bündnis 90/Die Grünen) und Tobias Schulze (Die Linke). Die Diskussion moderierte Mechthild von Vacano, Mittelbauvertrerin im Akademischen Senat der FU Berlin.
Unter den PodiumsteilnehmerInnen bestand weitgehend Konsens, dass die gegenwärtigen Beschäftigungsbedingungen der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen unbefriedigend sind. Einig war man sich auch darin, dass die 65 Professuren, die Berlin aus dem Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erwarten kann, nicht die Probleme lösen. Der »Flaschenhals« für die NachwuchswissenschaftlerInnen wird weiter bleiben.
In ihren Vorschlägen zur Veränderung dieser Situation unterschieden sich die anwesenden ParteienvertreterInnen allerdings deutlich. Am weitesten gingen die VertreterInnen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. So forderte Tobias Schulze, dass Berlin als »bundesweiter Prekaritätsmeister« die Hälfte der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen entfristen müsse. Anja Schillhaneck betonte, dass in den einzelnen Fachdisziplinen die tatsächlichen Qualifikationszeiten, zum Beispiel für eine Promotion, ermittelt werden müssten, um dies dann als Grundlage für die jeweiligen Mindestlaufzeiten der Arbeitsverträge zu machen. Gemeinsam mit Ina Czyborra forderte sie zudem die Einrichtung von attraktiven Mittelbau-Stellen mit Schwerpunkt in der Lehre. In diesen Positionen lassen sich viele Überschneidungen mit den GEW-Forderungen erkennen.


Mangelnde Grundausstattung ist das Hauptproblem

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde auf die mangelnde finanzielle Grundausstattung der Hochschulen verwiesen. Sie verhindere, dass für die bestehenden Daueraufgaben in Lehre und Forschung auch Dauerstellen für wissenschaftliches Personal unterhalb der Professur eingerichtet werden können. Außerdem wurde auf die Antiquiertheit des Lehrstuhl-Prinzips hingewiesen. Auch dies sei ein strukturelles Hemmnis für mehr Dauerstellen in der Wissenschaft. Für die von der GEW geforderte Reform der Personalstrukturen und Karrierewege in der Wissenschaft spielen beide Punkte eine wichtige Rolle.
Die am 6. Juni 2016 unterzeichnete Vereinbarung zwischen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft und den Hochschulen des Landes Berlin zur »Berliner Qualitäts- und Innovationsoffensive 2016-2020« greift wichtige Forderungen der GEW auf. Die Vereinbarung stellt Mittel für die Finanzierung von Stellen bereit, um WissenschaftlerInnen weitere Karrierewege in der Wissenschaft zur oder neben der Professur zu eröffnen. Aus diesen Mitteln können die Universitäten neue Dauerstellen im wissenschaftlichen Mittelbau für die Wahrnehmung von Daueraufgaben in Lehre, Forschung und anteilig im Wissenschaftsmanagement einrichten. Außerdem sind Dauerstellen für neue Personalkategorien mit Aufgabenschwerpunkt in der Lehre vorgesehen. Die Lehrverpflichtung für diese wissenschaftlichen MitarbeiterInnen mit Aufgabenschwerpunkt in der Lehre und für HochschuldozentInnen beträgt 18 Semesterwochenstunden.

TENURE-TRACK

Ein Tenure-Track ist ein Verfahren der akademischen Stellenbesetzung, das nach einer Phase der befristeten Anstellung (z.B. für fünf Jahre) bei Bewährung die Aussicht auf eine dauerhafte Stelle vorsieht. Voraussetzung dafür ist die Erfüllung der in der Bewährungsphase vereinbarten Leistungsziele (z.B. Zahl der Veröffentlichungen, Drittmittelakquise, positive Lehrevaluationen). Der Tenu-Track ist in den USA das übliche Verfahren zur Einstellung von dauerhaft angestelltem Hochschulpersonal.