Zum Inhalt springen

bbz 10/2016

Die GEW beim Weltsozialforum

In den vergangenen Jahren trafen sich gut 100.000 Aktive zu den Weltsozialforen, um über die sozialen Probleme der Welt zu diskutieren. Dieses Mal kamen weit weniger.

Foto Hans-Peter Haar

In Montréal wollten 50.000 Teilnehmende Lösungsansätze für die großen sozialen Probleme finden. Jenseits von Weltwirtschaftsgipfeln oder Treffen von Oberhäuptern der 20 großen Industrienationen und ohne die logistische Unterstützung reicher GeldgeberInnen fanden in den Hoch- und Berufsschulen über eintausend Veranstaltungen statt. Neben diesen beteiligte sich die achtköpfige Delegation der GEW bei der Auftaktdemonstration mit einem Transparent gegen homophobe, rassistische, antisemitische und antiislamische Diskriminierung.

Montréal als Veranstaltungsort sollte ein Zeichen an die Welt sein, dass die globalen Probleme nicht nur Probleme der ärmeren Länder sind. Doch leider kam dieses Zeichen unzureichend zur Geltung, denn durch die strengen kanadischen Einreisebestimmungen waren viele Aktive ausgeschlossen. Länder Afrikas oder des Nahen und Mittleren Ostens waren kaum vertreten.

Bildung kränkelt weltweit

In einer Diskussionsrunde über internationale Solidarität in der Bildungsarbeit waren sich die Teilnehmenden einig, dass in allen Ländern Bildung unterfinanziert sei. Eine französische Kollegin verglich die Bedeutung von Bildung mit dem Gesundheitssystem: Bei unterfinanzierter Gesundheitsfürsorge breiten sich schnell Krankheiten aus und die internationale Gemeinschaft hilft bei der Eindämmung. Dieselbe Aufmerksamkeit müsse Bildung erfahren. Dafür wird ein Weltfond für Bildung und Forschung benötigt, ähnlich wie ihn die Globale Bildungskampagne und die GEW fordern. Die belgischen KollegInnen forderten, dass der Bereich Bildung aus Freihandelsabkommen wie TTIP ausgenommen sein müsse und nicht den Spielregeln des Marktes und der Privatisierung unterworfen werden dürfe. Bezeichnend an diesem Solidaritätsworkshop war aber, dass »die, die am meisten Solidarität brauchen gar nicht hier sein können«, so Uschi Kruse, Vorsitzende der GEW Sachsen.

Die GEW bringt sich ein

Unser erster eigener Beitrag zum Weltsozialforum war ein Workshop zum Thema »Begegnung von Schule mit Rassismus«. Lisa Ochs, Vorsitzende der US-Gewerkschaft American Federation of Teachers in Kansas stellte die Forderungen ihrer Gewerkschaft vor, wie insbesondere schwarze männliche Jugendliche vor institutionellem Rassismus geschützt werden. Klaus Bullan, ehemaliger Vorsitzender der GEW Hamburg, berichtete vom deutschen Projekt »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«. Es entstand eine spannende Debatte darüber, welcher der beste Weg für Schulen sei, mit Diskriminierung im Schulalltag umzugehen. Als Berliner war mir wichtig zu betonen, dass hierfür eine unabhängige Beschwerdestelle notwendig sei, an die sich alle Betroffenen wenden können.

Parallel zu unserer Veranstaltung über Kinderarbeit fand ein weiterer GEW-Workshop »Recht auf Bildung für geflüchtete Kinder« statt. Die GEW hatte zu diesem Workshop Ismail Sağdıç und Ilayda Uğur von der türkischen Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen eingeladen. Insgesamt sind über drei Millionen Menschen in die Türkei geflüchtet. Nur wenige der eine Million geflüchteter Kinder besuchen eine Schule. Der Unterricht findet sowohl in Provisorien in den Lagern als auch in regulären türkischen Schulen statt. In den Lagern unterrichten auch syrische Lehrkräfte als Ehrenamtliche nach syrischen Lehrplänen. Kinder, die türkische Schulen besuchen, werden ohne jegliche sprachliche Unterstützung nach türkischem Curriculum unterrichtet. Auch Eğitim Sen hat einen Katalog von Forderungen formuliert, der unter anderem den Zugang zu Schulbildung für alle Kinder, die Bereitstellung von Transportmöglichkeiten und ein multilinguales Curriculum beinhaltet. Um Kinder in entlegenen Lagern zu erreichen, sollen mobile Lehrkräfte eingesetzt werden.

Recht auf Bildung für geflüchtete Kinder

Im zweiten Teil der Veranstaltung berichteten Monika Gessat von der GEW Baden-Württemberg und ich über den Zugang zu Bildung für geflüchtete Kinder sowie zu Ausbildung und Beruf für geflüchtete junge Erwachsene. Wir stellten zentrale Forderungen aus den Handlungsempfehlungen der GEW »Bildung kann nicht warten« vor. Eine französische Kollegin berichtete, dass erst nach Intervention ihrer Gewerkschaft Bildungsangebote für die Kinder in dem provisorischen Notlager in Calais entstanden sind. Inzwischen betreibt dort eine NGO eine Schule.

Ein weiterer Punkt war der Umgang der Schulen mit Kindern, die ohne Aufenthaltstitel eine Schule besuchen. Drei Kolleginnen einer kirchlichen Organisation in den USA berichteten, dass sie Kindern aus Lateinamerika Schutz geben und dass diese in ihrem Bundesstaat von der Schule nicht an die Behörden gemeldet werden und die Polizei auch nicht das Recht hat, nach Ausweispapieren zu fragen. Dies sei aber von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden.

Ein nachahmenswertes Beispiel wurde aus Kanada berichtet: An staatlichen Schulen Montreals werden in »Willkommensklassen« auch Erwachsene unterrichtet, um ihnen den Übergang in eine Ausbildung oder das Berufsleben zu ermöglichen.

Gemeinsam die Welt verbessern

Es ist ein Verdienst der GEW, dass auf dem Weltsozialforum endlich das Recht auf Bildung eine ähnlich wichtige Rolle wie Umweltschutz oder Gesundheitsfürsorge spielt. Nach Montréal wird sich zeigen, welche Möglichkeiten eine weltweite Zusammenkunft wie das Sozialforum heute noch bieten kann, um lokal und regional, aber auch thematisch übergreifend, die einzelnen Kämpfe zusammen zu bringen und zu unterstützen. Die Themenpalette reichte von den BürgerInnenrechten der indigenen Bevölkerung am Amazonas, über Kinderarbeit, Klimawandel bis zu Gesundheitsschutz. Die gemeinsame Klammer, wenn es denn eine gibt, ist dabei der Kampf in den jeweiligen Ländern gegen die Nachteile der kapitalistischen Ausrichtung ihrer Gesellschaft. Manche meinen, das Weltsozialformum hätte sich überlebt. Aber Tadzio Müller von der Rosa-Luxemburg-Stiftung meinte: »Wenn es das Forum nicht gäbe, müsste man es erfinden.« Es bleibt aber die Frage, ob es nicht doch sinnvoller ist auf internationale Treffen, wie den G20-Gipfel in Hamburg im Sommer 2017, mit einer gemeinsamen internationalen Mobilisierung direkt zu antworten.