Zum Inhalt springen

bbz 06 / 2019

Raus aus der Defensive

Die Bezahlung bei freien Trägern der sozialen Arbeit ist weiterhin unzureichend, obwohl gute Fachkräfte dringend benötigt werden. Wenn sich Beschäftigte gewerkschaftlich oder innerbetrieblich organisieren, lassen sich mit den Arbeitgeber*innen Verbesserungen verhandeln

Die Landschaft der freien Träger im Bereich der sozialen Arbeit ist vielfältig. Es gibt Träger, die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe anbieten, andere bieten sie im Bereich der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung an, wieder andere in der Suchthilfe. Bei einigen umfasst das Leistungsspektrum alle diese Bereiche, manche führen auch oder ausschließlich Kindertagesstätten. Die Rechtsform dieser Träger ist ebenfalls unterschiedlich. Mal sind sie als Vereine tätig, mal als Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit oder ohne gemeinnützigem Zweck. Auch weitere Rechtsformen sind möglich.

Bis zu 20 Prozent weniger Gehalt

Auch die Größe der Träger variiert. Mitunter gibt es recht kleine mit bis zu 20 Beschäftigten, viele haben aber zwischen 70 und 300 Beschäftigte. Es sind aber auch sehr große Träger mit über 1.000 Beschäftigten in Berlin zu finden. So vielfältig das Leistungsspektrum, die Rechtsform und die Größe der Träger sind, so unterschiedlich ist auch die Bezahlung der Beschäftigten bei den einzelnen Trägern. Aber eines haben sie alle gemeinsam: Die Beschäftigten bei freien Trägern werden in der Regel nicht wie vergleichbare Beschäftigte im öffentlichen Dienst bezahlt, sondern unterhalb dieses Niveaus. Eine Differenz zum öffentlichen Dienst von 10 Prozent ist keine Seltenheit, der Abstand kann mitunter auch 20 Prozent und mehr betragen. Diese Situation ist insbesondere vor dem Hintergrund des immer stärker zu Tage tretenden Fachkräftemangels im sozialen Bereich alles andere als akzeptabel. Erhebliche Verbesserungen für die Beschäftigten bei freien Trägern im sozialen Bereich zu erreichen, ist eine der zentralen Aufgaben der GEW, insbesondere hier in Berlin.

Nicht selten ist mit den Beschäftigten im Arbeitsvertrag ein Festgehalt vereinbart. Das heißt, diese Kolleg*innen haben nur Anspruch auf das Gehalt, das im Arbeitsvertrag festgelegt ist. Manchmal wird in den Arbeitsverträgen auf den früheren Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (den Bundesangestelltentarifvertrag) Bezug genommen, manchmal auf Arbeitsvertragslinien (AVR) des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Diakonie oder der Caritas, mitunter auf den aktuellen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst der Länder – den TV-L. Sofern es bei den Trägern Betriebsräte gibt, haben diese zum Teil mit den Arbeitgeber*innen Betriebsvereinbarungen zu Entlohnungsgrundsätzen ausgehandelt. In der Regel gibt es damit ein transparentes System mit nachvollziehbaren Kriterien für die Bezahlung. Die Höhe des Gehalts dürfen die Arbeitgeber*innen bei Betriebsvereinbarungen allerdings immer noch allein bestimmen.

In den letzten Jahren steigen die Beratungsanfragen bei der GEW BERLIN zur Gründung von Betriebsräten kontinuierlich an. In vielen Fällen kam es zu erfolgreichen Betriebsratswahlen – in einzelnen Fällen auch trotz Behinderungsversuchen von Arbeitgeber*innen. Auch wenn die Tendenz steigend ist, gibt immer noch eine nicht unerhebliche Zahl von Trägern ohne Betriebsrat.

Tarifvertrag heißt Bedingungen auf Augenhöhe

Nur in einem Tarifvertrag können beide Tarifvertragsparteien (Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften) alle Bedingungen auf Augenhöhe aushandeln. Um das Ziel eines Tarifvertrags zu erreichen, ist zum einen ein ausreichender gewerkschaftlicher Organisationsgrad der Beschäftigten erforderlich und zum anderen Arbeitgeber*innen, die sich auf diesen Weg einlassen. Häufig ist beides oder beides nicht gleichzeitig für erfolgreiche Verhandlungen gegeben. Das heißt, in den meisten Fällen liegt die Bezahlung der Beschäftigten bei freien Trägern zum großen Teil in den Händen der Arbeitgeber*innen.

Selbstverständlich können die Arbeitgeber*innen nur das Geld ausgeben, was sie von der öffentlichen Hand im Rahmen von Zuwendungen oder zur Finanzierung gesetzlicher Leistungen erhalten.

Bisher gibt es aber noch keine rechtsverbindliche Verpflichtung, dass Arbeitgeber*innen die erstatteten Kosten für Personalausgaben auch eins zu eins an die Beschäftigten weitergeben müssen. Die Kontrollmechanismen, die eingeführt wurden, zum Beispiel durch detailliertere Dokumentationspflichten, haben die Bedingungen zwar etwas verbessert, zwingen aber Arbeitgeber*innen noch nicht zur direkten Weitergabe der Mittel. Einnahmen und Ausgaben von freien Trägern bleiben für die Beschäftigten trotz der »Initiative Transparente Zivilgesellschaft« und der Pflicht zur Veröffentlichung von Jahresabschlüssen auf der Internetseite www.bundesanzeiger.de zumeist eine »Black Box«. Details müssen Arbeitgeber*innen nicht offenlegen. Beschäftigte mit »Festgeld«-Verträgen haben nur die Möglichkeit in regelmäßigen Abständen über Gehaltserhöhungen mit den Arbeitgeber*innen zu verhandeln. Dass in diesen Fällen höchstwahrschein-lich alle Mitarbeiter*innen bei einem Träger unterschiedlich bezahlt werden, erschließt sich von selbst.

Bereitschaft zu Verhandlungen ist notwendig

Wenn Tarifverträge oder Arbeitsvertragslinien (AVR) im Arbeitsvertrag in Bezug genommen werden, kommt es oft darauf an, welche Version zur Anwendung kommt. Beispielsweise sind AVRs mit Tabellen von vor vier Jahren immer noch weit entfernt von der Bezahlung im öffentlichen Dienst. Haben alle Beschäftigten bei einem Träger diese Regelungen im Arbeitsvertrag stehen, gibt es zwar ein einheitliches System, aber alle werden »gleich schlecht« bezahlt.

Betriebsvereinbarungen zu Entlohnungsbedingungen bieten die Möglichkeit, ein System zu entwickeln, dass für die Beschäftigten eine Gleichbehandlung vorsieht. Im Vorfeld hat der Betriebsrat zudem die Möglichkeit, sich durch den Einblick in Lohn- und Gehaltslisten einen Überblick über die innerbetriebliche Bezahlung der Beschäftigten zu verschaffen. Es wird ersichtlich, ob das Entgelt der Beschäftigten sehr unterschiedlich ist oder gleiche Tätigkeiten mit vergleichbarer Qualifikation/Berufserfahrung gleich vergütet werden.

Dieser Überblick und die entsprechende Auswertung ist letztendlich die Basis für die Entwicklung eines transparenten Entlohnungssystems, wenn Betriebsrat und Arbeitgeber*innen dies wollen. Es muss verhandelt werden und kann nicht von den Arbeitgeber*innen einseitig bestimmt werden. Aber die Verhandlungen zu einer solchen Betriebsvereinbarung sind häufig nicht einfach, da die Interessen auf beiden Seiten sehr unterschiedlich sind. Selten ohne Einigungsstelle und mit viel Aufwand für Betriebsrat und Arbeitgeber*in können aber dennoch gute Betriebsvereinbarungen gelingen (wie die Beispiele bei Pfeffer-werk Stadtkultur gGmbH, der Lebenshilfe gGmbH oder Autismus Deutschland in dieser Ausgabe zeigen).

Kämpfen lohnt sich

Die GEW wird zunehmend mehr von Beschäftigten bei freien Trägern angefragt, weil diese einen Tarifvertrag wollen, um nicht länger soweit abgekoppelt vom öffentlichen Dienst zu bleiben. Deshalb ist bei etlichen freien Trägern eine steigende gewerkschaftliche Organisation zu verzeichnen. Die Beschäftigten setzen sich auf diesem Weg für die Verbesserung ihrer Bezahlung ein. In den nächsten Wochen sind verschiedene Sondierungsgespräche mit Arbeitgeber*innen vorgesehen.

Auch wenn es nicht in allen Fällen gelingt, bei guter gewerkschaftlicher Organisation am Ende einen Tarifvertrag zu vereinbaren, hat sich in den letzten Jahren in der Praxis gezeigt, dass sich das Engagement der Beschäftigten für eine verbesserte Bezahlung lohnt. In den Betrieben, in den sich Betriebsräte gegründet haben, diese die Bezahlung hinterfragt haben, Betriebsvereinbarungen zur Entlohnung abgeschlossen wurden, der gewerkschaftliche Organisationsgrad stieg und ein Tarifvertrag (gegebenenfalls auch mit Streiks) gefordert wurde – überall dort war eine positive Entwicklung des Gehalts zu beobachten. Wenn die Beschäftigten ihre Forderungen nach mehr Gehalt gegenüber den Arbeitgeber*innen deutlich machen, haben sie gute Chancen, dass sich etwas bewegt. Aber ohne »Druck von unten« passiert nichts.


Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Freies Spiel bei freien Trägern“  [zur gesamten Ausgabe]