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bbz 10 / 2019

Lernen mit Kopf, Herz und Hand

Die Verbindung zwischen Theorie und Praxis kommt im Bildungsverständnis vieler Schulen zu kurz. Eine Veranstaltungsreihe will Alternativen zu einer praxisfernen Schule aufzeigen

Foto: Monkeybusinessimages / Istock

Wer versteht schon das Berliner Bildungssystem? Zwar wird das duale Ausbildungssystem als Flaggschiff der Bildungsflotte national und international als Vorbild gepriesen und bewundert, aber gleichzeitig wählen immer weniger Jugendliche eine berufliche Ausbildung. Schuld daran sei die sogenannte Akademisierung, die der dualen Berufsausbildung die Azubis wegnehme. Was schon etwas widersprüchlich ist, denn gleichzeitig werden ja auch händeringend akademisch ausgebildete Fachkräfte gesucht, von Ärzt*innen über Ingenieur*innen bis hin zu Lehrkräften.

Andererseits verlassen in Berlin über zehn Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss. Die Quote der Abbrecher*innen ist sowohl in der beruflichen Ausbildung als auch im Studium hoch, ebenso die Anzahl der Jugendlichen, die ohne berufliche Ausbildung bleiben. Hier liegt offensichtlich einiges im Argen.

Berufliche Praxis kommt zu kurz

Eigentlich sollen alle Bildungsgänge Kompetenzen vermitteln, die anschlussfähig sind für unterschiedliche Höherqualifizierungen in Berufsausbildung und Hochschule. Viele Sekundar- und Gemeinschaftsschulen orientieren sich, wie das früher auch an vielen Gesamtschulen der Fall war, allerdings zu stark am Bildungsverständnis des Gymnasiums mit dem Abitur als einzigem Ziel. Die Verbindung von Theorie und beruflicher Praxis kommt dabei zu kurz. Zumindest in der Sekundarstufe sind alle Schüler*innen so zu qualifizieren, dass sie auch begründet ihren künftigen Berufsweg wählen können. Die gegenwärtige Berufsorientierung und die bisherigen Praktika erfüllen diese Erwartungen häufig nicht. Das gilt auch für Abiturient*innen und die Sekundarstufe II, denn ein erheblicher Anteil von ihnen geht in eine Berufsausbildung und nicht in ein Studium. An den Gymnasien haben Berufsorientierung und praxisbezogenes Lernen traditionell kaum eine Chance. Aber auch an vielen Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen hat das Fach WAT (Wirtschaft-Arbeit-Technik), das im Jahr 2006/2007 an die Stelle der Arbeitslehre getreten ist, weder von der Stundenzahl, der materiellen Ausstattung noch von der Abschlussrelevanz her das nötige Gewicht, um sich gegen die traditionellen Fächer zu behaupten. Außerdem fehlen oft Werkstätten, Werkstattleiter*innen und fachlich ausgebildete Lehrkräfte.

Statt diese Bildung aufzuwerten, auch um die behauptete Gleichrangigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung endlich wahr zu machen, werden in der Schule praktische Fähigkeiten eher abgewertet. »Praxisklassen« als praktisch orientierte Bildung sind für Schüler*innen mit schlechten Noten und sonstigen Problemen vorgesehen. Wen wundert es angesichts dieser Wertigkeit, dass der Großteil der Schüler*innen dann lieber studieren will? Wer geht schon freiwillig in die Schmuddelecke, zumal dort auch noch weniger Geld winkt und die Aufstiegsmöglichkeiten gering sind?

Neue Konzepte müssen her

Darüber hinaus muss diskutiert werden, ob die berufliche Bildung in den Oberstufenzentren (OSZ) und die unterschiedlichen Berufsbilder überhaupt noch zeitgemäß sind. Leider ist die Senatsbildungsverwaltung im Bereich Berufliche Bildung seit Jahren kaum aktiv. Bei allen Reformvorhaben, Änderungen und Diskussionen spielte die Berufliche Bildung kaum eine Rolle. In diesem Bereich wird verwaltet, aber nicht vorangetrieben.

Die Wirtschaftsverbände und Innungen schaffen die Wende auch nicht, weil sie jede Mitschuld von sich weisen und nur halbherzig für Reformen eintreten. Dabei ist das Problem fehlender Azubis auch hausgemacht. Bei der oftmals schlechten Bezahlung und den noch schlechteren Arbeitsbedingungen darf sich niemand wundern, wenn der Nachwuchs ausbleibt. Das schlechte Image vieler Ausbildungsberufe ist ja nicht aus der Luft gegriffen. Das Image, die »Praktiker*innen« sind quasi die Dummen, kann man nur durch konkrete Angebote wieder loswerden. Deswegen müssen Industrie und Handwerk moderne Berufe mit attraktiven Gehältern und entsprechenden Aufstiegsmöglichkeiten anbieten. Aber hier tut sich wenig. Duales Abitur und Duale Studiengänge sind zwar interessante Ansätze, um das Bildungssystem durchlässiger zu machen, aber noch weit davon entfernt, eine gut besuchte und bekannte Alternative zu den Sackgassen unseres Bildungssystems zu sein.

Wie eine bessere Verzahnung von allgemeiner mit beruflicher Ausbildung gelingen kann, wollen wir mit unserer Veranstaltungsreihe herausfinden. Dazu laden wir Expert*innen aus Berlin, anderen Bundesländern und anderen europäischen Ländern ein, die uns ihre Konzepte vorstellen und mit uns darüber diskutieren.

Als Einstiegsveranstaltung zum Thema Integration theoretischer und praktischer Bildung in Sekundarstufe I und II mit dem Ziel »Eine Schule für alle« wird Dirk Fischer in einem Impulsreferat über die Einbeziehung der beruflichen in die allgemeine Schulbildung in der schwedischen Mittel- und Oberstufe sprechen. Dirk Fischer ist Lehrer in Nordschweden und Vertreter unserer schwedischen Partnergewerkschaft. Anschließen soll sich eine Diskussion über die Berliner Situation mit Kolleg*innen der ISS (WAT), der Lehrer*innenbildung an der TU Berlin, der OSZ und der Arbeitgeberseite.

DIE SCHWEDISCHE SCHULE
Lernen mit Kopf, Herz und Hand
Vortrag und Diskussion mit dem Kollegen Dirk Fischer über die Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung in der schwedischen Schule.
Donnerstag, 14. November 2019 um 18 Uhr, GEW-Haus in der Ahornstraße