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blz 07 - 08 / 2014

Wirtschaft will Schule machen

Die Befürworter einer verstärkten ökonomischen und finanziellen Bildung sind meist einseitig ausgerichtet

Der Begriff »Finanzielle Bildung« hat in der Diskussion über Schule noch nicht lange Konjunktur. Traditionell in der Verbraucher- oder Konsumentenbildung verortet, haben – zugespitzt gesagt – eher Sparkassen als Schulen den Begriff benutzt. Dass die »Finanzielle Bildung« mittlerweile wie selbstverständlich als schulischer Auftrag definiert wird, hat nicht zuletzt mit dem zunehmenden Wirtschaftslobbyismus im Schulwesen zu tun.

Seit vielen Jahren beobachten wir, dass immer mehr private Akteure versuchen, auf schulische Lerninhalte Einfluss auszuüben. Dazu gehören Privatunternehmen, Stiftungen, Vereine oder Wirtschaftsverbände. In sehr augenfälliger Weise spielt sich dieser »Kampf um die Köpfe« junger Menschen im Bereich der Unterrichtsmaterialien ab. Dabei tun sich Finanzdienstleister und Versicherungskonzerne besonders hervor, und dies vermehrt seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise in 2007. Ihren schulischen Ort hat die »Finanzielle Bildung« im Bereich der politisch-ökonomischen Bildung. Dass sie jedoch so extensiv zum Thema werden soll, wie einschlägige Medien und Interessengruppen dies neuerdings fordern, ist eben-so zweifelhaft wie die Themen und Dimensionen, die dabei in den Vordergrund gestellt werden. Die »Fi-nanzielle Bildung« erweist sich dabei oft als »Einfallstor für Lobbyinteressen und für ein einseitiges Verständnis ökonomischer Bildung« (Neumaier, S. 56).

Der öffentliche Diskurs

Seit einigen Jahren wird der Ruf nach mehr ökonomischer Bildung lauter. Um dem Anliegen Nachdruck zu verleihen, werden dafür gerne auch mal Schulbücher schlecht geredet. So warf die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung 2010 mittels einer Schulbuchstudie den Lehrwerken eine »marktfeindliche Grundhaltung« vor. Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) konstatierte ein »begrenztes, oftmals sogar ein markt-pessimistisches Bild der Ökonomie« in Schulbüchern. Das renommierte Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung kommt dagegen zu ganz anderen Ergebnissen und attestiert den Schulbüchern »ein erstaunlich differenziertes Bild der Wirtschaft und unternehmerischen Tätigkeit«. Von einer ablehnenden Haltung der Marktwirtschaft gegenüber könne keine Rede sein. (www.gei.de: »Unternehmer im Schulbuch«)

Bei der Forderung nach mehr ökonomischer Bildung im engeren Sinne wird oft übersehen, dass diese von den Bundesländern in den letzten Jahren bereits im Lehrplan aufgewertet und systematischer verortet worden ist. Dies ist etwa durch die Einführung von Fächerverbünden wie »Arbeit-Wirtschaft-Technik« und zumeist zu Lasten der politischen Bildung geschehen. Weiterhin jedoch befeuern viele Institute und Medien die Öffentlichkeit regelmäßig mit fragwürdigen Studien, wonach das ökonomische und finanzielle Wissen der deutschen Bevölkerung mangelhaft sei und im Bildungsbereich gestärkt werden müsse. Da ist zum Beispiel von gravierenden Fehleinschätzungen die Rede, davon, dass die Rendite von Aktien unterschätzt, jene des Sparbuchs überschätzt und die Notwendigkeit privater Altersvorsorge nicht ernst genommen würde.

Als Argument für mehr ökonomische und finanzielle Bildung wird dabei die Wirtschafts- und Finanzkrise mitunter in einer Weise bemüht, als hätte die Krise verhindert werden können, wenn die Anleger bereits in der Schule Wissen über Aktien und Geldanlagen erworben hätten. Dabei nahm die Krise in einem Land ihren Ausgang, in dem die finanzielle Bildung laut OECD zumindest schon strategisch implementiert ist: in den USA.

Im Schatten der ersten PISA-Studie, die Ende 2001 erschienen ist, wurde die »CIVIC-Studie« bekannt, die Deutschland ein offensichtliches Demokratiedefizit bescheinigte: Im internationalen Vergleich zeichneten sich deutsche Achtklässlerinnen und Achtklässler durch den höchsten Grad an Fremdenfeindlichkeit aus. Ihre Bereitschaft zu politischem Engagement lag deutlich unter dem Durchschnitt anderer Länder. Leider hat die Studie keinen nachhaltigen Aufschrei hervorgerufen. Die politische Bildung hat sogar noch Federn lassen müssen. Würde man die Bevölkerung zu weiteren Themen befragen – etwa Gesundheit, Umwelt oder Kultur – träten sicherlich ähnliche Defizite zutage. All diese Themen haben jedoch keine vergleichbare Lobby mit entsprechenden Mitteln hinter sich wie die ökonomische oder finanzielle Bildung.

Unterrichtsmaterialien zur Finanzbildung

Die Schulbuchausgaben sind in den letzten Jahren in allen Bundesländern gekürzt worden und viele Bücher sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Da Lehrkräfte stets auf der Suche nach aktuellem Material für ihren Unterricht sind, kann vermutet werden, dass – vor allem kostenlose – Materialien willkommen sind. Mit diesen werden sie in den letzten Jahren überhäuft.

Die Universität Augsburg hat im Jahr 2012 880.000 Lehrmaterialien im Internet aufgefunden und schätzt die Dunkelziffer auf etwa eine Million Materialien, die sich an Schulen und Lehrkräfte richten. Dabei sind den WissenschaftlerInnen insbesondere die Produkte von umsatzstarken Unternehmen aufgefallen. So bieten von den 20 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland 15 kostenlose Unterrichtsmaterialien an. Viele davon seien ansprechend gestaltet, könnten aber ihren Werbungscharakter kaum verbergen. Bei näherer Untersuchung einzelner Materialien stießen die AutorInnen mehrfach auf »eine perspektivische Einseitigkeit, die dem pädagogisch-didaktischen Grundprinzip der Multiperspektivität und Kontroversität widerspricht.« (www.bildungsmedien.de)

Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband (BZBV) attestierte den wirtschaftsnahen Unterrichtswerken signifikant mehr Defizite als anderen – etwa öffentlich verantworteten – Angeboten. Der »Materialkompass« (www.verbraucherbildung.de) der BZBV hatte hierfür 220 Materialien ausgewertet.

Ein Viertel der Unterrichtsentwürfe aus der Wirtschaft erhielt lediglich die Note »ausreichend«. Zu den mäßig bewerteten Broschüren gehörten -beispielsweise die Materialien der Stiftung »My Finance Coach« sowie die Unterrichtseinheit »Finanzielle Allgemeinbildung« von »Handelsblatt macht Schule«, bei der die Deutsche Vermögensberatung AG fachlich Pate stand. Dem BZBV zufolge sind viele Informationen in diesem Lehrmaterial »oberflächlich und einseitig«.

Ein weiteres Beispiel für ein interessengeleitetes Produkt ist das Heft »Hoch im Kurs«, das vom Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) finanziert wurde. Das Material propagiert einseitig die private Altersvorsorge als alternativlos und adressiert die Schülerinnen und Schüler als Abnehmer verschiedener Produkte des Finanzmarkts, wie die Riester-Rente, Vermögensanlagen oder Investmentfonds. Schließlich ermuntert die Broschüre die SchülerInnen, eine VertreterIn aus dem Banken- oder Vermögensberatungsbereich einzuladen und mit ihr/ihm über Fondssparen und andere Anlageformen zu diskutieren. Diese Art finanzieller Bildung hat »nichts mit politischer, wenig mit ökonomischer und nicht einmal etwas mit kritischer Verbraucherbildung zu tun«, so das Urteil eines Experten (Neumaier, S. 64).

Zahlreiche Materialien zur Finanzbildung verfolgen offensichtlich das Ziel, das durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise gestörte Vertrauen in die Märkte und die Finanzindustrie wieder zu stärken. Oder die jungen Menschen auf die private Rentenversicherung einzuschwören. Oder sie auf ihre Rolle als Anleger im Kapitalmarkt vorzubereiten. Die Ursachen der Wirtschafts- und Finanzkrise werden dabei häufig verzerrt und einseitig dargestellt oder gleich ganz unterschlagen. Auch zukünftige systemische Risiken der Finanzmärkte werden ausgespart. Viele Unterrichtsvorschläge enthalten kaum Kontroversen oder gesellschaftliche und politische Zusammenhänge. Das entspricht nicht dem schulischen Bildungsauftrag.

Was ist »gute« ökonomische Bildung?

»Schülerinnen und Schüler sollen lernen, eigene Vorstellungen von einem guten Leben und ihren Anforderungen an die Wirtschaftswelt zu entwickeln. Sie müssen mit den wichtigen Problemen der Gesellschaft, der Umwelt und der Wirtschaft konfrontiert werden und unterschiedliche Lösungsstrategien und Handlungsmöglichkeiten kennenlernen.« So formulierten es die Gewerkschaften (DGB 2012, S. 3).

Sie verbinden damit die Anforderung an schulischen Unterricht, dass er ökonomische Probleme in Beziehung setzt zu gesellschaftlichen und persönlichen Schlüsselproblemen, statt sie allzu reduziert oder monodisziplinär zu behandeln.

Häufig werden zum Beispiel die vermeintlich weit verbreiteten »Handyschulden« Jugendlicher zur Begründung grundlegender Finanzbildung angeführt. Aus Studien ist bekannt, dass eine Verschuldung zumeist durch Lebensereignisse entsteht, die der Einzelne nur bedingt oder gar nicht beeinflussen kann, wie etwa Arbeit(slosigkeit) oder Trennung von Partnerschaften. Zwei Themen, die sehr wohl als Schlüsselthemen eines lebensweltlich orientierten Unterrichts gelten können. Auch wenn es also stimmt, dass Jugendliche über ihre finanziellen Verhältnisse hinaus konsumieren: hilft da wirklich ein ausgewiesenes Lernfeld »finanzielle Bildung«? Aus meiner Sicht: nein. Der Umgang mit Geld sollte Teil eines lebendigen Mathematikunterrichts und eines schulischen Lernens sein, bei dem insgesamt darauf geachtet wird, dass junge Menschen Kompetenzen der Alltagsbewältigung und Lebensplanung erwerben.

Dimensionen wie Demokratie, Humanisierung, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit oder sozialer Zusammenhalt – Werte, die in vielen Rahmenlehrplänen zu finden sind – drängen sich besonders beim Thema Ökonomie und Finanzwelt förmlich auf. Gerade die unregulierten Finanzmärkte haben soziale Verwerfungen erzeugt, die tief in das Leben junger Menschen hineinreichen können. Und die private Alterssicherung ist in besonderem Maße der Finanzspekulation, der Krise und der Entwicklung des Zinsniveaus unterworfen.

Einige unternehmensnahe Materialien schließen eine Beschäftigung mit derlei Dimensionen jedoch allein schon aufgrund ihrer wirtschaftswissenschaftlichen Ausrichtung geradezu aus.

Eine weitere Mindestanforderung an Material, das Lehrkräfte überzeugen soll, ist zudem, dass verschiedene Positionen dargestellt werden, wenn ein Thema auch in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird. Was indessen bei vielen Lehrkräften nicht gut ankommen dürfte, sind einseitige oder manipulative Darstellungen. Um solche handelt es sich, wenn etwa in der Broschüre »Hoch im Kurs« Arbeitsaufträge in Suggestivfragen gepackt werden, die einen naturgesetzlichen Zwang zur Privatisierung der Altersvorsorge nahelegen: »Warum sind sich Experten einig, dass das System [die staatliche Sozialversicherung] auf diese Weise nicht mehr zukunftsfähig ist?«

Ein zentrales Anliegen schulischer Vermittlung – und somit auch ein Qualitätskriterium für Unterrichtsmaterialien – ist indessen die Frage, ob der Unterricht die Gesellschaft, und damit Politik, Ökonomie und auch Finanzen, als gestaltbar vermittelt und die Kritikfähigkeit junger Menschen fördert. Hierzu müssten also strukturelle Zusammenhänge, politische Gestaltungsprozesse und -alternativen einbezogen werden. Nun könnte man einwenden, dass dafür ja die Lehrkräfte sorgen können. Und dass ein einzelnes Arbeitsblatt nicht die ganze Palette pluraler Positionen aufweisen könne. Aber gerade angesichts der Tatsache, dass viele Lehrkräfte fachfremd unterrichten müssen und einen Dschungel von Materialien vorfinden: Verweise auf andere Standpunkte und Denkschulen kosten nicht viel Platz und wären redlicher.

Anforderungen an Politik und Lehrkräfte

Dass private Anbieter von Unterrichtsmaterialien in die Lücke öffentlicher Sparmaßnahmen und unzureichender Lehrmittelversorgung springen, kann man ihnen nicht mal verübeln. Selbst die Gewerkschaften tun das, allerdings in einem sehr viel geringeren Ausmaß als die Arbeitgeber. Aber der staatliche Bildungsauftrag, das Qualitäts- und das Neutralitätsgebot von Schule können hierdurch in Konflikt geraten.

Vor zwei Jahren hat sich die GEW daher gemeinsam mit dem DGB an die Kultusministerien gewandt und mehr öffentliche Verantwortung für Unterrichtsmaterialien angemahnt. Eine öffentliche »Prüfstelle« wird von ministerieller Seite seither abgelehnt, zumeist unter Verweis auf den großen Aufwand und die ausreichende Kompetenz der Lehrkräfte. Eine Prüfung der Materialien durch Lehrkräfte ist jedoch sehr zeitaufwändig und im Alltag oft nicht machbar.

Wenn die Anzahl frei verfügbarer und privater Unterrichtsmaterialien in die Millionen steigt – und das bei sinkenden Schulbuchausgaben – brauchen Schulen und Lehrkräfte mehr Orientierung. Die müsste nicht in einer Behörde bestehen, die alles und jeden prüft. Denkbar wäre aber eine öffentliche Anlaufstelle, die Transparenz über die Produzenten und Financiers herstellt, die Beschwerden aufgreift oder schlichtweg positive Empfehlungen ausspricht.

Lehrkräfte könnten zudem profitieren von Grundlagenwissen über Interessenverbände als Teil der pluralistischen Demokratie oder auch von Kompetenzen in Quellenanalyse und -kritik. Besonders wichtig ist aus Sicht der Bildungsgewerkschaft daher, dass sie in der Ausbildung oder durch Fortbildungen für eine kritische Analyse von Lehr-/Lernmaterialien kompetent gemacht werden. Dies geschieht jedoch nicht.

Lehrkräfte, die Unterrichtsmaterialien privater oder freier Anbieter nutzen, sollten indessen im Alltag genau hinschauen: Von wem stammen die Materialien? Wer bezahlt sie? Wem nutzt das hier vermittelte Wissen? Welche Interessen stecken – offen oder verdeckt – dahinter? Worüber wird nicht informiert? Diese Fragen sind wichtig, um einen ausgewogenen, multiperspektivischen, kontroversen und schülerorientierten Unterricht zu gestalten, der Politik und Wirtschaft, sozialwissenschaftliche und ökonomische Bezüge sinnvoll verbindet.

Wohlgemerkt: Schule muss nicht jedes Alltagsproblem lösen helfen. Auch müssen 16-Jährige nicht die Vorteile von Bausparverträgen oder die Unterschiede zwischen Aktien und Obligationen büffeln. Selbst die FAZ schreibt, dass die Geldanlage keine komplizierte Wissenschaft sei: »Vielmehr gibt es banale Grundsätze. Je höher die versprochene Rendite, desto höher auch das Risiko. Der Bankberater ist nur bedingt ein guter Ratgeber, er lebt vom Verkauf teurer Produkte. Und lege nicht alle Äpfel in einen Korb, sondern streue dein Vermögen. Wer das verstanden hat, braucht sich nicht mehr als finanzieller Analphabet zu fühlen.« Wofür also der Aufwand?

Entscheidend für eine gute Schule ist die aufgabengerechte Versorgung mit ausgebildeten Lehrkräften und anspruchsvollen Materialien. Die Verantwortung hierfür liegt in erster Linie bei den Ministerien, die den zunehmenden Lobbyismus und Kommerz an Schulen auf die Agenda setzen müssten. Dass Unterricht nicht zum Spielfeld für kommerzielle oder einseitige Interessen wird, darauf könnten indessen alle Anbieter von Materialien zur finanziellen Bildung achten.