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bbz 07-08 / 2019

Recht auf Bildung für alle

Eine Veranstaltung des Flüchtlingsrats Berlin brachte einen wichtigen Austausch über »Strategien, um die Schulbildung für junge Geflüchtete in Berlin zu verbessern«

Foto: Colourbox.de

Ein hehres und hohes Ziel hatte sich die Podiumsdiskussion gesetzt, die der Flüchtlingsrat Berlin mit Unterstützung von Jugendliche ohne Grenzen und dem Landesausschuss für Migration, Diversity und Antidiskriminierung (LAMA) der GEW BERLIN im Haus der Demokratie und Menschenrechte auf die Beine gestellt hatte. »Gemeinsame Forderungen und Strategien für eine bessere Beschulung junger Geflüchteter« stand auf der Einladung der Veranstaltung. Sie sollten anhand von Praxis- und Erfahrungsberichten entwickelt werden. Dass die Probleme von geflüchteten Jugendlichen noch lange nicht gelöst sind, zeigte sich schon an der Fülle des Saales.

Drei Hauptproblemfelder bei der Beschulung junger Geflüchteter standen im Mittelpunkt der Veranstaltung: Erstens der Übergang von der Willkommensklasse in die Regelklasse und die vielen Umzüge, zweitens der Schulbesuch von Jugendlichen ab 16 Jahren und drittens der Fachunterricht für Schüler*innen der Willkommensklassen. Die drei bildungspolitischen Sprecherinnen der Koalitionsfraktionen bezogen zunächst ausführlich zu diesen Problemfeldern Stellung. Es zeigte sich, dass sie in vielen Punkten nah beieinander und sich der meisten Baustellen durchaus bewusst sind. Es bestand Einigkeit über das Ziel, die jungen Geflüchteten schnells-möglich in den Regelunterricht zu integrieren. Regina Kittler von der Linken hält eine teilweise Integration in bestimmten Fächern von Anfang an für wünschenswert und machbar. Das würde erheblich zur raschen Integration in das Schulkollektiv beitragen.

Ein Leitfaden, der nicht leitet

Der Leitfaden, einziger Orientierungsrahmen der Bildungsverwaltung für die Willkommensklassen (Wikos), dem es an Verbindlichkeit und Struktur mangelt, wurde unterschiedlich bewertet. Konzeptionell verbindliche Vorgaben für alle Wikos seien einerseits eine hilfreiche Synchronisierung bei der Umsetzung in den Regionen und Klassen, andererseits eine Einengung bei der notwendigen individualisierten Förderung und beim flexiblen Übergang ins Regelsystem. Die Kritikpunkte konnten das Publikum jedoch mehrheitlich nicht überzeugen. Die Mehrheit der Anwesenden hielt ein Curriculum mit Festschreibung von Fachunterricht in Mathe und Englisch und klaren Regeln für den Übergang in den Regelunterricht für unverzichtbar. Stefanie Remlinger von den Grünen betonte, dass mehr verlässliche Orientierung und Standardisierung jedoch nicht der Exklusion aus dem Regelsystem dienen dürfe.

Warum Jugendliche ab 16 Jahren ungeachtet ihrer eigenen Wünsche, Begabungen und Fähigkeiten fast durchgängig im berufsbildenden Bereich an Oberstufenzentren (OSZ) unterrichtet werden, leuchtete weder den Politikerinnen noch dem Publikum ein. Diese Starrheit müsse aufgeweicht werden, so der Konsens. Auf keinen Fall dürfe eine solche Praxis der Behebung von Personalmangel in bestimmten Berufsfeldern dienen, beispielsweise im Pflegebereich. Kittler forderte ein Anrecht auf eine flexible Schuldauer auch über zehn Jahre hinaus und regte einen Fachunterricht in der Herkunftssprache an.Wikos wurden in der Koalitionsvereinbarung offenbar nicht mitbedacht bei der Zielsetzung, verstärkt die Mehrsprachigkeit zu fördern und Herkunftssprachenunterricht (HU) anzubieten. Meist geht es nur um Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Dabei wissen wir schon längst durch Studien und linguistische Forschungen, dass Erst- und Zweitsprachenerwerb positiv korrelieren, sofern es in beiden Sprachen reichhaltige Impulse gibt, ganz abgesehen vom »kulturellen Menschenrecht auf Muttersprache« im Unesco-Beschluss. Guido Siegel vom LAMA der GEW BERLIN sprach von einem regelrechten Glücksfall, wenn junge Geflüchtete nach der Wiko an einer bilingualen Staatlichen Europaschule mit der eigenen Herkunftssprache im Angebot integriert werden können.

Niemandsland Evaluation

Wenn Fachunterricht, zum Beispiel in Englisch und Mathe, gänzlich unter den Tisch falle, habe das folgenschwere Auswirkungen auf den Übergang in die Regelklasse und gefährde den Bildungserfolg ganz erheblich, betonte Maja Lasić von der SPD. Es sei an der Zeit, für eine verbindliche strukturelle Verankerung im Curriculum zu sorgen. In der Tat hänge Fachunterricht zurzeit allein von der Schulleitung und jeweiligen Lehrkraft ab, betonte Siegel. Daniel Jasch vom Flüchtlingsrat Berlin beklagte die Grundhaltung von Schulen im Umgang mit jungen Geflüchteten in den Wikos. Dort herrsche oft die Sichtweise vor, es handele sich um Gäste. Dieser Haltung entsprechend werde es versäumt, Daten zu erheben und externe Evaluationen durchzuführen, im Regelsystem normalerweise ein Muss. Bei Wikos begnügt man sich mit einfachen Abfragen an die Schulleitungen. Regelmäßige, valide, externe Evaluationen könnten vermeiden, dass immer noch dieselben Fehler wie im Jahr 2000 gemacht werden. Mohammad Jouni von »Jugendliche ohne Grenzen« forderte zudem eine Datenerhebung über den Verbleib jüngerer Geflüchteter nach dem Übergang. Will keine*r wissen, was aus ihnen geworden ist?

Die abschließende offene Runde nutzten viele Teilnehmer*innen aus dem Publikum als Ventil, persönliche Statements zu den Problemfeldern deutlich und kritisch zu artikulieren. Das spiegelte vor allem die Frustrationen über fehlende Strukturen, Konzepte und Mängel wider. Dass Rassismus auch beim Schulbesuch von jungen Geflüchteten immer wieder zutage tritt, ist eine alltägliche und schockierende Erfahrung. »Auch das darf nicht verschwiegen werden«, so eine Teilnehmerin.

Klargestellt wurde beispielsweise, dass DaZ in unserer Migrationsgesellschaft immer noch kein grundständiges Lehramtsfach ist, was diverse Probleme mit sich bringt, vor allem für die beruflichen Zukunftschancen von DaZ-Lehrkräften. Zudem gab es nützliche Hinweise, wie zum Beispiel, dass Schulbuchverlage mittlerweile auch Materialien zum Fachunterricht in Wikos auf den Markt gebracht haben. Erfreulich und weiter so. Initiativen wie »Back-on-Track« nutzten die Möglichkeit, sich bekannt zu machen und Kontakte zu knüpfen.

Eine insgesamt sehr gelungene Veranstaltung, von denen wir mehr dieser Art bräuchten. Vor allem mit bildungspolitisch Verantwortlichen der Parteien, die zuhören, am Austausch interessiert sind, unsere Forderungen ernst- und mitnehmen, sich dafür stark machen und die Umsetzung der Koalitionsvereinbarungen vorantreiben – unter anderem zum Herkunftssprachenunterricht. Das verleiht dem Recht auf Bildung für alle Glaubwürdigkeit, kommt jungen Geflüchteten und unserer Gesellschaft zugute.

Zur besonderen Freude der Autorin dieses Berichts erinnerte Regina Kittler gegen Ende der Veranstaltung daran, dass wir auch geflüchtete Lehrkräfte im Land haben, deren Potenziale wir brauchen. Sie hoffen seit Jahren auf einen geregelten Zugang zum Berliner Schuldienst durch Anpassungslehrgänge, aber gerüchteweise soll sich ja nun etwas tun.