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bbz 06 / 2019

Erst schiefe Töne, dann ein Unisono

Manchmal braucht es deutliche Zeichen, bevor sich etwas bewegt. Bei Autismus Deutschland in Berlin sollten bestehende Arbeitsbedingungen verschlechtert werden. Die Beschäftigten reagierten mit der Gründung eines Betriebsrates

Bild: Foto-Rabe auf Pixabay

Der gemeinnützige Verein Autismus Deutschland in Berlin wurde 1972 von Eltern gegründet. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit Autismus-Diagnose zu fördern. Im November 2011 bestand der Verein aus circa 160 Beschäftigten, von denen die Hälfte angestellte Schulhelfer*innen waren und die anderen in diversen Projekten des Vereins als Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen arbeiteten. Mitarbeitende hatten Arbeitsverträge, die sich auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) bezogen. Als das Land Berlin 2002 aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausschied, gab es keine Tariferhöhungen mehr. Dies wurde für alle Mitarbeiter-*innen bei Autismus Deutschland übernommen. Neue Mitarbeiter-*innen erhielten ebenfalls Verträge, nach dem BAT. Ohne große Schwierigkeiten hätten diese Beschäftigten eine Vergütung nach TV-L einklagen können.

Verschlechterungen durch die Blume

Ende November 2011 trat der Vorstand des Vereins an die Mitarbeitenden heran: Irgendein europäisches Gericht habe den BAT für rechtswidrig erklärt, es gäbe neue Arbeitsverträge. Für jeden Mitarbeitenden gab es einen neuen Vertrag, vom Vorstand bereits unterschrieben, die bis Ende der gleichen Woche von den Mitarbeitenden unterschrieben werden müssten. Dieser neue Arbeitsvertrag sollte angeblich keinerlei Nachteile enthalten, lediglich das Wort BAT fiele weg. Ortszuschlag und Grundgehalt wurden zu einer Summe zusammengefasst und um 2,3 Prozent erhöht. Er enthielt allerdings nur noch 20 Tage Urlaub, eine pauschale Entbindung behandelnder Ärzt*innen von der Schweigepflicht, ein Aussageverbot vor dem Arbeitsgericht und keine tariflichen Gehaltserhöhungen oder den Verweis auf eine Vergütungsordnung. Die Kolleg*innen der einzelnen Projekte formulierten daraufhin gemeinsam ihre Verunsicherung und Unzufriedenheit mit dem neuen Vertragsangebot, woraufhin die Geschäftsführung einzelne Punkte nach und nach veränderte.

Im folgenden Januar fand eine Mitarbeiter*innenversammlung statt, zu der auch Sabine Herzig, Referentin für Tarifpolitik bei der GEW BERLIN, eingeladen wurde. Unser Arbeitgeber versicherte auf dieser Versammlung mehrfach, er könne TV-L im Moment nicht zahlen, denn dann sei der Verein pleite. Sobald die Finanzlage es zulasse, könnte eine Einführung des TV-L ermöglicht werden. Der Verein hatte aber zu dieser Zeit bereits eine Immobilie erworben und plante weitere Investitionen.

Nach dieser Zeit wurden neue Mitarbeitende sehr unterschiedlich neu eingestellt, es gab große Gehaltsunterschiede, kein erkennbares System und viel Unmut darüber. In der Folge gründeten einige Kolleg-*innen mit Unterstützung und Beratung der GEW BERLIN einen Wahlausschuss und führten eine Betriebsratswahl durch. Im Mai 2012 trat der Betriebsrat zusammen und setzte sich mit unserem Arbeitsgeber zwecks Entwicklung eines Entgeltsystems in Verbindung.

Nach zwei Jahren und zwei Monaten erfolglosen Verhandelns und diversen aufgeheizten Betriebsversammlungen unter Teilnahme der GEW BERLIN beschloss der Betriebsrat, die Einsetzung einer gerichtlichen Einigungsstelle zu beantragen, die im Dezember mit sieben Mitgliedern eingesetzt wurde. Vorsitzender war Martin Fenski vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Den Arbeitgeber vertraten zwei Mitglieder des Vorstands und dessen Anwalt. Den Betriebsrat vertraten ein Betriebsratsmitglied, ein Fachanwalt für Arbeitsrecht und ein Wirtschaftsprüfer. An zwei Sitzungstagen gelang es, ein an den TV-L angelehntes Entgeltsystem mit dynamischen Gehaltserhöhungen zu verhandeln und in der Folge alle Beschäftigten in das neue Entgeltsystem zu überführen und auch bei der Einstufung und Eingruppierung mitzubestimmen. Die Mitarbeitenden erhielten Gehaltssteigerungen zwischen 25 und 60 Prozent, die Vereinbarung galt drei Jahre.

Nach der Einigungsstelle entspannte sich das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden, Betriebsrat und Arbeitgeber deutlich. Auch die anschließende Entgeltverhandlung für den Zeitraum 2019 bis 2021 verlief in einer guten Atmosphäre. Abschließend würde ich sagen, dass es im Interesse aller Beteiligten und auch der Klienten war, diesen Konflikt auszutragen und ein transparentes Entlohnungssystem zu etablieren.