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Queer Denken

Schleppende Inklusion

Das Geschlecht von Kindern muss nicht mehr angegeben werden und seit diesem Jahr gibt es den Geschlechtseintrag »divers«. Richtlinien fehlen.

Foto: GEW BERLIN

Es gibt nun endlich vier mögliche Geschlechtseinträge: weiblich, männlich, divers oder kein Eintrag. Bei der Geburt eines Kindes wird das Geschlecht aufgrund medizinischer Kriterien ärztlich festgestellt. Der neue Geschlechtseintrag »divers« ist eine Möglichkeit für Menschen zwischen oder jenseits der Geschlechter »männlich« und »weiblich« ihr Geschlecht rechtlich zu bezeichnen. Für Kinder, deren Geschlecht nicht zugeordnet werden kann, besteht neben den drei Bezeichnungen auch die Möglichkeit, den Eintrag frei zu lassen. Für Kinder und Erwachsene mit einer ärztlichen Bescheinigung über »Varianten der Geschlechtsentwicklung« ist es möglich, den bisherigen Geschlechtseintrag beim Standesamt streichen oder ändern zu lassen. 

In vielen Bereichen von Schule und Hochschule wird weiter sprachlich und strukturell von Jungen und Mädchen beziehungsweise Frauen und Männern ausgegangen. Sie werden zuweilen nach Geschlecht getrennt unterrichtet und unterschiedlich behandelt, beispielsweise in der Bewertung im Fach Sport, obwohl die relevanten Gesetze seit den Jahren 2013 und 2018 bestehen, sprich: Es gibt bislang keine Richtlinien für Kinder, Jugendliche und Studierende ohne Geschlechtseintrag sowie mit dem Geschlechtseintrag »divers«. Aber auch für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die sich als trans* outen und endlich ihr eigenes Geschlecht leben wollen, gibt es keine Richtlinien. Sie sind der Willkür ihres Umfeldes ausgesetzt und haben selbst wenige Handlungsspielräume. Schuldistanz, Studienunterbrechungen und selbstverletzendes Verhalten sind oft die Folge, wenn zu Hause und/oder in der Schule oder Hochschule keine Akzeptanz und zu wenig Unterstützung angeboten werden. Für Schüler*innen und Studierende, die hier nicht ins Bild passen, ist der Weg voller Hürden. 

Schulen als Behörden brauchen Richtlinien und Vereinbarungen, um rechtskonform zu handeln. Die Gleichbehandlung und Gleichstellung von Menschen aller Geschlechter ist eine gesetzliche Verpflichtung. Verbindliche Richtlinien schaffen Handlungsklarheit. Ohne verbindliche Richtlinien sind Bildungsinstitutionen, Leitungspersonal, Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, Eltern und Lernende aber auch Personalräte und Beratungs- und Unterstützungssysteme allein gelassen. Hier muss die Senatsverwaltung handeln. 

Der Landesvorstand der GEW BERLIN hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sowie die Senatskanzlei Wissenschaft und Forschung kürzlich dazu aufgefordert, Richtlinien zur Inklusion von trans*, inter* und nicht-binären Menschen beziehungsweise Menschen mit dem Geschlechtseintrag »divers« oder ohne Geschlechtseintrag in Schulen und Hochschulen zu entwickeln. Die Richtlinien sollten in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Organisationen und Verbänden von trans*, inter* und nicht-binären Menschen entwickelt werden. Hierzu zählen Maßnahmen mit baulichen Konsequenzen, beispielsweise Toiletten und Umkleidekabinen betreffend. Sie sind entsprechend in die Musterraumprogramme zu integrieren. Weiterhin muss die inhaltliche und sprachliche Inklusion der oben genannten Personengruppen und die Diskriminierungsfreiheit in Bezug auf Geschlecht und Geschlechtsidentität ermöglicht werden. Insbesondere Rahmenlehrpläne, Schulverordnungen, Statistiken, Prüfungs-, Studien- und Studienzulassungsordnungen, Schulmaterialien, Formulare sowie Qualitäts- und Handlungsrahmen müssen angepasst werden. Zuletzt sollen zielgruppenspezifische Informationen die Richtlinien ergänzen und bei der Umsetzung im jeweiligen Arbeitskontext helfen.

trans* Trans* sind Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht dem Geschlecht entspricht, das bei Geburt in ihre Geburtsurkunde eingetragen wurde. Das heißt beispielsweise: Ein Mensch, der bei Geburt weiblich eingeordnet wurde und später als Mann lebt, ist ein trans* Mann.

inter* Inter* sind Menschen, die mit Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale auf die Welt kommen. Das heißt, sie entsprechen nicht eindeutig den medizinischen Normen bezüglich Anatomie, Hormonen oder Chromosomen, die für das weibliche und das männliche Geschlecht festgelegt wurden. Die Eltern entscheiden, welcher Geschlechtseintrag vorgenommen wird.

genderqueer/nicht-binär Genderqueer ist eine Geschlechtsidentität. Genderqueere Menschen identifizieren sich weder als männlich, noch als weiblich, sondern dazwischen oder ganz anders.

divers Der Geschlechtseintrag »divers« wird von inter*, trans* und nicht-binären Menschen verwendet.
 

 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46