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Berufliche Bildung

Verunsicherung mit System

In der letzten Ausgabe haben wir über die Möglichkeiten der Ausbildungsduldung für Geflüchtete berichtet. Doch verlässlichen Schutz bietet sie nicht. Viele Regelungen sind schlicht absurd.

Foto: GEW BERLIN

Die Arbeitswelt ist zentral für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Arbeitsplatz ist schon immer ein Ort der Integration: Zusammen arbeiten, zusammen eine Aufgabe bewältigen, zusammen Pause machen – all das verbindet. Die Gewerkschaften sehen sich in der Pflicht, Sicherheit und Perspektiven für alle zu schaffen. Viele Gewerkschafter-*innen und Betriebsräte engagieren sich daher für die betriebliche Integration von Geflüchteten.

Angesichts ihres jungen Alters kommt für viele Flüchtlinge eine Ausbildung in Frage. Doch die betriebliche Integration scheitert allzu oft an rechtlichen und bürokratischen Hürden – selbst dann, wenn sich der Betrieb und der oder die mögliche Auszubildende einig sind. Auch die im Jahr 2016 neu geregelte Ausbildungsduldung hat daran wenig geändert.

Es gibt Aufklärungs- und Überzeugungsbedarf auf allen Seiten

Doch der Weg zur Ausbildung ist nicht leicht. Zum einen ist vielen Flüchtlingen die Bedeutung einer Ausbildung für die Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht klar, zum anderen müssen in manchen Betrieben Vorbehalte gegen die Beschäftigung von Flüchtlingen abgebaut werden. Es gibt also Aufklärungs- und Überzeugungsbedarf. Aber das ist nicht alles. Handelt es sich bei den Auszubildenden um Personen, die keinen sicheren Aufenthaltstitel haben, scheitert das Ganze häufig an den rechtlichen Vorgaben und deren Auslegung.

Dabei sollte das mit dem Integrationsgesetz 2016 anders werden. Damals ist unter anderem die Ausbildungsduldung neu geregelt worden. Ziel war es, für Auszubildende und Betriebe mehr Rechtssicherheit zu schaffen und das Verfahren zu vereinfachen. Bis dato wurde im Ausbildungsfall lediglich eine Duldung für ein Jahr erteilt, die bei Fortdauer der Ausbildung verlängert wurde.

Seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes können Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, bei Aufnahme einer Ausbildung nun eine Duldung für die gesamte Ausbildungsdauer erhalten. Bei erfolgreichem Abschluss wird unter bestimmten Bedingungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die zunächst für zwei Jahre zur Ausübung einer der erworbenen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung berechtigt.

Die jetzige Regelung ist zwar eine Verbesserung, von Rechtssicherheit kann jedoch keine Rede sein. Eine Duldung ist kein sicherer Aufenthaltstitel: Der Staat setzt die Ausreisepflicht lediglich aus bestimmten Gründen – in diesem Fall die Ausbildung – nicht durch. Eine grundsätzliche Unsicherheit bleibt bestehen. Manchen Betrieben ist es schon eine zu hohe Hürde, nicht sicher zu wissen, ob sie von der »Investition« in den oder die Auszubildende*n später auch etwas haben.

Die Ausbildungsduldung ist zudem eine Ermessensleistung. Das heißt, sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von der zuständigen Ausländerbehörde erteilt werden. Zwar hat das Bundesinnenministerium Anwendungshinweise herausgegeben, die meisten Bundesländer haben aber eigene Hinweise verfasst. Im Ergebnis führt dies je nach Bundesland zu einer unterschiedlichen Handhabung. Oftmals ist die Auslegung sehr restriktiv.

Eine Ausbildungsduldung wird grundsätzlich nur für qualifizierte Berufsausbildungen erteilt. Außerdem dürfen keine konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen. Mancherorts gilt es allerdings schon als konkret genug, wenn in irgendeiner Weise vorbereitende ausländerbehördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet wurden. Andernorts ist der Tatbestand einer bevorstehenden Aufenthaltsbeendigung erst gegeben, wenn dem Landeskriminalamt ein Abschiebegesuch übermittelt wurde.

Abschiebung trotz Ausbildungsvertrag

Auch sonst ist die Anwendungspraxis zur Erteilung der Ausbildungsduldung breit gefächert: Manchmal reicht es, dass ein Ausbildungsvertrag vorliegt und bei der zuständigen Stelle, etwa der Handwerkskammer, eingetragen ist. In anderen Regionen muss die Ausbildung in wenigen Wochen tatsächlich beginnen. Vor dem Hintergrund, dass viele Betriebe ihre Ausbildungsverträge Monate vor Ausbildungsbeginn abschließen, ist diese enge Auslegung praxisfern. Für die Betroffenen kann das schwerwiegende Folgen haben, wie das Beispiel eines jungen Afghanen zeigt.

Der afghanische Flüchtling war seit 2016 bei einem mittelständischen, bayerischen Industriebetrieb beschäftigt. Er absolvierte eine Einstiegsqualifizierung und schon währenddessen wurde im Mai der Vertrag für die anschließende Ausbildung ab Herbst 2017 unterschrieben. Doch kurz darauf wurde der Asylantrag des jungen Mannes abgelehnt. Betriebsrat und Arbeitgeber haben mit dem Auszubildenden vergeblich darum gekämpft, dass dieser zumindest eine Ausbildungsduldung erhält. Die Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung lägen nicht vor, teilte die Ausländerbehörde mit. Der Zeitraum zwischen Abschluss des Ausbildungsvertrags und Ausbildungsbeginn sei zu lang. Inzwischen wurde der junge Mann abgeschoben.

Absurde Situationen, gesetzlich gewollt

Nach fast zwei Jahren Integrationsgesetz bestätigen sich die Befürchtungen der Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen in puncto Ausbildungsduldung. Die Lage bleibt unsicher und es kommt zu absurden Situationen: Betrieb und Auszubildende*r sind sich einig und wollen gemeinsam den Ausbildungsweg beschreiten. Oft haben sie sich schon bei einem Praktikum kennengelernt und sind gut vorbereitet. Viel spricht für eine erfolgreiche Integration, doch dann scheitert das Ganze an der Ausländerbehörde. Gerade diese Fälle sprechen sich rum und tragen dazu bei, dass ein Teil der Betriebe davor zurückschreckt, Personen ohne sicheren Aufenthaltstitel als Auszubildende einzustellen.

Viele Verbände haben in der Debatte zum Integrationsgesetz gefordert, statt einer Duldung einen sicheren Aufenthaltstitel für die gesamte Ausbildungszeit zu erteilen und diesen nach erfolgreicher Ausbildung zu verlängern. Das wäre zielführender, war aber politisch insbesondere aufgrund der Ablehnung seitens vieler Innenpolitiker*innen nicht durchsetzbar.

Am Beispiel der Ausbildungsduldung zeigt sich das Spannungsverhältnis zwischen der Logik des Arbeitsmarktes und der Innenpolitik. Während in der Arbeitsmarktpolitik die Frage nach Perspektiven und der Abbau von Hürden hinsichtlich der Arbeitsmarktintegration im Zentrum stehen, ist das innenpolitische Denken davon geprägt, keine Anreize für Flüchtlinge schaffen zu wollen, nach Deutschland zu kommen. Dieses konfliktbehaftete Spannungsverhältnis manifestiert sich in der Rechtslage und in der Umsetzungspraxis zur Ausbildungsduldung. Leidtragende sind die betroffenen Betriebe und die Auszubildenden.

So irrig man die innenpolitische Denkweise finden mag, es ist nicht zu erwarten, dass sich unter Innenminister Seehofer daran grundsätzlich etwas ändert. Ein Gewinn wäre es schon, wenn kleine Verbesserungen vorgenommen würden. So müsste bundesweit einheitlich geregelt werden, dass der Anspruch auf Erteilung einer Duldung bereits dann besteht, wenn der Ausbildungsvertrag bis zu neun Monate vor Ausbildungsbeginn abgeschlossen und von der zuständigen Stelle geprüft wurde. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen sollten von da an ausgeschlossen sein und für die Zeit bis zum Ausbildungsbeginn muss eine Duldung erteilt werden. Das würde die Situation im Sinne der Betroffenen verbessern.    

Dieser Artikel erschien erstmals im Heft zum Tag des Flüchtlings 2018 von Pro Asyl. Wir danken für die Genehmigung zum Zweitabdruck.

 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46