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Standpunkt

Rassismus in Deutschland

Es fehlt nicht an Schwarzen, die sprechen, sondern an Weißen, die zuhören.

Foto: Jean Michel Papazian

Schwester, wie geht‘s dir?«, fragt der Schwarze Koch im Restaurant, als ich meine Rechnung bei seinem Kollegen bezahlen möchte. Es ist der Tag, an dem die ganze Welt über den Tod von George Floyd spricht. Er nennt mich aber nicht deshalb »Schwester«, sondern weil wir das oft tun, uns »Bruder« und »Schwester« nennen. Warum wir das tun? Weil wir eine Geschichte teilen. Die Geschichte Schwarzer Menschen weltweit, die unser Leben bis ins Heute prägt.

Die Ermordung von George Floyd, die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen Menschen und der anhaltende Rassismus in den USA sorgen auch für Debatten hier in Deutschland. Eine oft gestellte Frage ist dabei: »Kann man den Kampf Schwarzer Menschen hier mit dem in den USA vergleichen?« Statistiken zur amerikanischen Polizeigewalt zu Folge sind 24 Prozent derer, die durch Polizeigewalt getötet wurden, Schwarze, obwohl sie in der Gesamtbevölkerung nur 13 Prozent ausmachen. Das ist eklatant – und tatsächlich nicht mit Deutschland zu vergleichen. 

Es geht bei den Protesten in den USA aber nicht nur um die Polizeigewalt. Die Gewalt ist die Spitze des Eisberges. Es geht um Rassismus in allen Bereichen des Lebens. Was sich daher schon vergleichen lässt, ist der Rassismus der gegen Schwarze stattfindet – dort so wie auch hier. Man muss sich schon klarmachen, wie vermessen die Aussage ist: »Seid doch froh, hier zu sein. In den USA werden Schwarze erschossen, hier nicht!«, die sich Schwarze Menschen in Deutschland immer wieder anhören müssen. Wir geben uns aber nicht damit zufrieden, nicht erschossen zu werden. Wir verlangen den gleichen Respekt und die gleiche Behandlung, wie weiße Menschen sie erhalten.

Rassismus erfahren Schwarze Menschen und People of Color tagtäglich. Auch in Deutschland. Sie berichten davon, sie schreiben Bücher darüber, sie machen Musik dazu, sie positionieren sich zivilgesellschaftlich sowie politisch. Um nur einige Beispiele zu nennen: Tupoka Ogette, Natasha Kelly, Alice Hasters, die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), Each One Teach One und viele mehr. Es fehlt nicht an Stimmen, es fehlt an Zuhörer*innen. Aktive Zuhörer*innen, deren erster Impuls es nicht ist, die eigene Position zu vergleichen und davon zu sprechen, dass sie als weiße Person ja schon mal »Rassismus« im Urlaub erlebt haben, obwohl sie nur von Vorurteilen sprechen können. Rassismus – diese Erfahrung geht über eine Urlaubserfahrung hinaus.

Auch in Deutschland haben wir keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Thema. Es wird so getan, als ginge Rassismus uns nichts an, frei nach dem Motto »Schlimmer sind die anderen«. Es gehört nicht zum Allgemeinwissen, dass auch Deutschland sich massiv an kolonialen Verbrechen beteiligt hat und Rassismen gegenüber Schwarzen Menschen genau aus dieser Zeit stammen und bis heute wirken. Kaum jemand hinterfragt, was es bedeutet, dass rassistische Wissenschaft den Grundstein für die Versklavung Schwarzer Menschen gelegt hat. Wir haben eine Menge aufzuarbeiten. Es ist auch in Deutschland notwendig, dass wir uns mit Rassismus auseinandersetzen. Vor allem politisch. Eben weil es nicht immer nur um die Spitze des Eisberges gehen darf, um das, was leicht zu sehen ist. Deshalb habe ich mich in Schleswig-Holstein für einen Aktionsplan gegen Rassismus eingesetzt. Von Polizei, über Justiz, Schule, öffentliche Verwaltung bis hin zur Zivilgesellschaft sind alle gefordert. So etwas wünsche ich mir in jedem Bundesland.    

Der Text ist in ähnlicher Form zuvor auf www.bento.de erschienen.
 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46