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bbz 09 / 2016

Gern gearbeitet, gern gegangen

Susanne Pape über ihre Berufskarriere, über den Weggenossen Erich Frister und ihren Ruhestand

bbz: Susanne, fast zehn Jahre bist du inzwischen im Ruhestand. Also seit 2006.
Pape: Ich habe voll durchgearbeitet, bin also mit 65 in den Ruhestand gegangen. Ich habe gerne gearbeitet, bin aber auch gerne Pensionärin. Und das ohne Vorbereitung! Ich habe mir eigentlich keine Gedanken gemacht, was ich mache, wenn ich nicht mehr arbeite. Aber es hat sich alles gut ergeben.

Jetzt gehen wir erst einmal eine ganze Zeitspanne zurück: Wie bist du zur GEW gekommen?
Ich bin 1962 als Studentin in die GEW eingetreten, die damals allerdings noch nicht so hieß, sondern BVL, Berliner Verband der Lehrer und Erzieher. Erst 1968 wurde sie umbenannt. Ich habe den Mitgliedsausweis von damals mitgebracht, da wurden noch Marken eingeklebt, wenn man den Beitrag bezahlt hatte. Die stammen allerdings aus der Zeit als ich schon im Schuldienst war, denn vorher als Studentin musste ich keinen Beitrag zahlen. Ich war damals an der Pädagogischen Hochschule (PH Berlin), wo es eine recht aktive GEW-Studentengruppe gab.

Du kommst aber nicht aus Berlin.
Nein, nein! Ich bin in Höxter in Nordrhein-Westfalen geboren und in Niedersachsen aufgewachsen, bin aber gleich nach dem Abitur nach Berlin gegangen und hier hängengeblieben.

Du bist dann nach dem Studium als Lehrerin nach Neukölln gegangen. Warum gerade dahin?
Ich wollte nicht in einem der bürgerlichen Bezirke arbeiten, sondern in einem ArbeiterInnenbezirk. Und ich kannte den Bildungsstadtrat Neuköllns. Das war damals Erich Frister* (siehe unten), der uns als Studierendengruppe schon beraten und sehr unterstützt hat. Ohne seine Unterstützung hätten wir zum Beispiel unsere Zeitung an der Hochschule nicht herausbringen können. Die hieß damals »Studpäd«. Der Name sollte signalisieren, dass die LehrerInnenausbildung eigentlich an die Universität gehört und nicht an eine gesonderte Pädagogische Hochschule. Und als ich 1965 mit dem Studium fertig war, hat mich Erich dann in seinen Bezirk geholt. Meine erste Schule war eine Grundschule in Britz. AbsolventInnen der PH wurden damals ja sofort als LehrerInnen zur Anstellung fest eingestellt. Man bekam das volle LehrerInnengehalt, unterrichtete aber nur so um die 20 Stunden und hatte dazu noch Ausbildungsseminare, so etwas wie heute das Allgemeine Seminar. Das machte damals Eberhard Klein, der war Schulleiter der Fritz-Karsen-Schule. Nach zwei bis fünf Jahren war man fertig und musste dann die volle Stundenzahl unterrichten.


Das war ziemlich anstrengend!
Ach ja, aber anderseits hatten wir das volle Gehalt! Nach den armen Studienjahren ging es uns plötzlich glänzend. Dagegen bekamen die ReferendarInnen damals so gut wie nichts, die mussten fast noch was von zuhause mitbringen. Ich war eigentlich ganz zufrieden damit.

Du bist später in die Schulaufsicht gewechselt. Zunächst warst du in Spandau Schulrätin, später Referatsleiterin in der Senatsschulverwaltung, heute Senatsbildungsverwaltung. Wie lange warst du denn Lehrkraft?
An dieser Grundschule in Britz war ich bis 1968. Im selben Jahr bin ich dann innerhalb Neuköllns an die Walter-Gropius- Gesamtschule gewechselt und habe dort die Grundstufe geleitet, da war ich mal gerade 26 Jahre alt. Hier hat mir ebenfalls Erich Frister Mut gemacht, weil ich doch etwas Zweifel hatte, ob ich das schaffe. Damals waren übrigens die Lehrkräfte noch im Bezirk angestellt, deswegen hatte er da auch freie Hand und konnte mich fördern. An der »Gropius« bin ich bis 1984 geblieben, erst als Grundstufenleiterin, danach dann als Mittelstufenleiterin.

Das waren dann zusammen rund 19 Jahre als Lehrkraft.
Genau. Und dann hatte ich mich 1984 in Spandau für eine Schulratsstelle beworben. Ein Grund war, dass ich mich verändern wollte. Dieser Gedanke kam bei mir auf, als eine ehemalige Schülerin ihr Kind bei mir anmeldete. Also wurde ich Schulrätin.

Dazwischen lag ja auch noch die Spaltung der GEW. An der du auch nicht ganz unbeteiligt warst.
Ja, das ist eine 68er-Geschichte. In der GEW hatten damals einige SEW-Leute Einfluss gewonnen. Dagegen gab es zwei Initiativen. Einerseits die interne Initiative, die innerhalb der GEW etwas ändern wollte. Zum andern die Initiative um den ehemaligen GEW-Vorsitzenden Dietrich Schaeffer, die einen eigenen Verein aufmachten, den VBE. Immerhin haben damals so an die 2.000 Mitglieder die GEW verlassen. Ich war in der internen Initiative, der auch Wilfried Seiring* und Karlheinz Lehmkuhl* angehörten, alles Neuköllner. Wir bekamen auch von Erich Frister Unterstützung, der damals Bundesvorsitzender der GEW war. Für uns kam nie in Frage, die GEW zu verlassen.

In der dann neugegründeten GEW im DGB waren dann aber doch gerade diese Leute eingetreten, deren Einfluss ihr zurückdrängen wolltet. In der Presse war das dann die Moskau-GEW, während die Ahornstraße als Peking-GEW bezeichnet wurde.
Na ja, deshalb wurde ja bei uns als Kompromisskandidat Helmut Stange* gewählt. Aber es war schon schwierig, diese Zeit. Aber wir haben ja wieder zusammengefunden.

Noch mal zurück zu Erich Frister, über den es ja sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Du kanntest ihn ja gut: Wie siehst du das?
Erich Frister war schon eine Persönlichkeit. Er hat uns damals sehr gefördert – und uns ermuntert, unseren Weg zu gehen. Zudem war er natürlich auch bildungspolitisch sehr aktiv. Nicht umsonst war Neuköllns Gesamtschule die erste von den vieren, die es damals in Berlin gab. Frister hat sich stark für die Gesamtschule eingesetzt. Eigentlich wollte er auch an der Gesamtschule unterrichten. Er hat es auch versucht, aber letztendlich hatte er keine Zeit neben seiner Tätigkeit als Stadtrat für Bildung auch noch zu unterrichten. Er hat schon viel gemacht. Was wir an ihm hatten, haben wir dann mitbekommen bei seinem Nachfolger Böhm*.

Stimmt, gegen den gab es erhebliche Proteste der GEW Neukölln. Die hatten ein »Schwarzbuch Böhm« herausgebracht.
Ja, Böhm war ein rechter Sozialdemokrat, anders als Frister, der immer zum linken Flügel zählte und in der SPD Neukölln keinen leichten Stand hatte. Er war denen zu links.

Uns jungen GEWlern damals war er zu rechts!
Ja, so war das damals. So war die Zeit! Er war ja 1966/67 Stadtrat geworden, passte aber nicht so richtig in das Schema, denn er war doch sehr unkonventionell – und eben zu links, zudem auch noch ein Einzelgänger, wenn ich es mir so recht überlege. Also in diese rechte Ecke passen wohl Böhm und Bath*, aber nicht Erich Frister. Zumal der auch ein ganz anderes Kaliber war. Es war eher so, dass seine Generation durch den Kalten Krieg stärker geprägt war als die 68er. Aber er hat viel bewegt, insbesondere als Bundesvorsitzender zusammen mit seiner Stellvertreterin Annelies Hoppe, die auch aus Berlin kam und richtig taff war! Damals gab es ja die großen besoldungspolitischen Umschwünge, die Bezahlung der Lehrkräfte wurde erheblich angehoben.

Als wir das Interview mit dir geplant hatten, gab es einige Kritiker, die dir deine Zeit in Spandau heute noch übelnehmen. Was war denn da los?
Das weiß ich auch nicht! Mir ist kein großer Konflikt erinnerlich. Höchstens, dass ich damals einige Umsetzungen vornehmen musste. Da gibt es ja immer böses Blut, weil die wenigsten Lehrkräfte einsehen, dass es an ihrer Schule Überhang gibt. Aber das kommt eben manchmal vor. Aber das ist jetzt nur eine Vermutung, konkret ist mir nichts bekannt. Wir waren damals ein gutes Team in Spandau. Das war auch nötig, denn es war auch die Zeit als herauskam, dass einige Gesamtschulen, für die ich vor allem zuständig war, mit Asbest belastet waren. Plötzlich fehlten eine Menge Klassenräume und wir mussten ständig improvisieren.

1998 bist du dann in das Landesschulamt gekommen und bis zu deiner Pensionierung 2006 in der Senatsbildungsverwaltung geblieben. Über diese Zeit hört man überall vor allem Lob. Aber wie bist du überhaupt von der bezirklichen Schulaufsicht als Leitende Schulrätin in die Senatsbildungsverwaltung gekommen?
Ich war zuerst im Landesschulamt (LSA) und habe dort den Steuerungsdienst aufgebaut. Wilfried Seiring hatte bei mir angefragt. Ihn kannte ich seit Studientagen als er schon Lehrer war und mich als Vorsitzende des AjLE (Ausschuss junger Lehrer und Erzieher) vorgeschlagen hat. Zudem war er auch in Neukölln Schulleiter, an einer Nachbarschule der »Gropius«. Aber als ich dann im LSA anfing, war er nur noch kurze Zeit da. Ich habe es also vor allem mit Wolfgang Schimmang, auch ein Neuköllner, zu tun gehabt. Später habe ich dann in der Senatsschulverwaltung den Bereich von Gerlind Mayer übernommen. Das waren vor allem die Bereiche Qualität und Personalentwicklung. Inzwischen ist das ja schon wieder umstrukturiert worden.

Wenn du jetzt hörst, was alles so im Bildungsbereich los ist: Bist du froh, dass du inzwischen pensioniert bist?
Wie gesagt, ich habe immer gerne gearbeitet und habe mich eigentlich auf allen Positionen wohlgefühlt. Sowohl in der Schule als auch in Spandau und in der Senatsbildungsverwaltung. Es war immer eine Herausforderung und ich habe nie bedauert, dass ich dies und jenes gemacht habe. Ich habe auch nie gedacht, dass es besser gewesen wäre, wenn ich dort geblieben wäre, wo ich gerade hergekommen bin. Andererseits habe ich aber auch keinen einzigen Tag der Arbeit nachgetrauert. Ich habe mich schnell abgenabelt und mir andere Bereiche für Aktivitäten gesucht. Ich habe mich deswegen nicht im Bereich Schule engagiert, sondern im Bereich Kindertagesstätten. Und dann bin ich noch aktiv für den Runden Tisch für Toleranz und gegen Rassismus in Spandau, einer überparteilichen Initiative von Politik, Gewerkschaften und Wirtschaftsleuten. Und außerdem bin ich noch in Spandau stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD.

Wir sehen schon, du langweilst dich nicht. Liebe Susanne, wir bedanken uns für dieses Gespräch!

 

 

* BERLINER SCHUL- UND GEWERKSCHAFTSGESCHICHTE

  • Erich Frister war Lehrer und Schulleiter in Neukölln und von 1965 bis 1970 für die SPD Stadtrat für  Bildung. Er war von 1959 bis 1965 Landesgeschäftsführer der GEW BERLIN und von 1968 bis 1981 GEW-Bundesvorsitzender.
  • Gerhard Böhm war als Nachfolger von Erich Frister von 1971 bis 1980 für die SPD Stadtrat für Bildung in Neukölln. Die bezirkliche GEW veröffentlichte 1980 die Broschüre »Schwarzbuch Böhm – dieser Stadtrat muss weg«, weswegen das Bezirksamt Strafantrag stellte und die HerausgeberInnen zu einer Geldstrafe von mehr als 30.000 DM verurteilte. Das Verfahren wurde schließlich gegen eine Geldbuße von 50 DM für das Berliner Frauenhaus eingestellt. Böhm ist bei den Wahlen 1981 nicht mehr angetreten.
  • Herbert Bath war von 1966 bis 1991 Landesschulrat in Berlin und bis Mitte der 1980er Jahre Mitglied der SPD. »Die vorgesetzten Politiker nervte er vor drei Jahren mit reaktionären Thesen zur Erziehung. Danach gilt dem Schulaufseher die Erziehung zu Kritikfähigkeit, Selbstbewusst-sein und Konfliktbereitschaft wenig. Wichtiger sind ihm Rechtschreibung, Grundrechenarten und Traditionspflege, die ›Liebe zur Heimat und zum Vaterland‹ und auch die ›Vermittlung grundlegender Charakterwerte wie Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit und Fleiß‹« schreibt der Spiegel in der Ausgabe 10/1983.
  • Wilfried Seiring war ab 1971 Oberschulrat, dann Leitender Oberschulrat und von 1995 bis 1998 erster Leiter des Landesschulamtes in Berlin. Er ging mit 63 Jahren in den Ruhestand und wurde 1999 Direktor des Ausbildungsinstituts für Humanistische Lebenskunde. Seiring war von 1970 bis 1975 im Geschäftsführenden Landesvorstand und als Leiter der Fachgruppe Schulaufsicht lange Zeit im Landesvorstand der GEW BERLIN.
  • Karl-Heinz Lehmkuhl war stellvertretender Vorsitzender der neugeründeten GEW im DGB und davor von 1956 bis 1971 in der Bezirksleitung Neukölln aktiv, von 1971 bis 1974 als deren Vorsitzender.
  • Helmut Stange war von 1970 bis 1976 Schatzmeister der GEW BERLIN und danach in der neugegründeten GEW im DGB deren Vorsitzender. In der wiedervereinigten GEW hatte er sich für keine Funktion aufstellen lassen, wurde aber stellvertretender Vorsitzender im Hauptpersonalrat und damit freigestelltes Personalratsmitglied.