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Tendenzen

Argumentieren gegen Rechts

Das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus (AgR) ermutigt in seiner Stammtischkämpfer*innenausbildung gegen rechte Parolen aufzustehen und gibt den Teilnehmenden neben Argumenten auch Handlungsstrategien an die Hand.

Stammtischschild mit Kölschkranz
Foto: Adobe Stock

2017 zog die AfD mit 12,6 Prozent der Stimmen in den Bundestag ein. 2019 konnte sie beachtliche Stimmerfolge in einigen Landtagen erzielen, so beispielsweise 27,5 Prozent in Sachsen. Sie bietet sowohl eine Plattform für Menschen, die erstmals mit PEGIDA auf die Straße gingen und ihrem Rassismus Ausdruck verliehen, als auch für organisierte, extrem Rechte. Die AfD stützt ihre Politik auf (antimuslimisch-)rassistische, antisemitische, antifeministische und klassistische Ideologien.

Bereits vor der Gründung der AfD im Frühjahr 2013 existierte eine ausdifferenzierte rechte Szene in der BRD, deren fester Bestandteil Terror und Morde sind. Die AfD stützt ihre Politik auf das in der Gesellschaft vorhandene rechte Potenzial. Die sogenannte Mitte-Studie von Zick, Küpper und Berghan (2019) und die Leipziger Autoritarismus-Studie von Decker (2018) belegen seit den 2000er Jahren, dass extrem rechte und rassistische Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet sind. Die Studien erfassen Rassismus, die Abwertung langzeitarbeitsloser und wohnungsloser Menschen, die Abwertung von Trans*Menschen, die Abwertung von Sinti und Roma und weitere.

Rechte ächten und isolieren

Angesichts dieses Klimas und vor allem angesichts des Aufstiegs der AfD gründete sich 2016 das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus (AgR). Das antifaschistische Bündnis vereint eine große Bandbreite an Aktivist*innen und Organisationen von Parteien über Religionsgemeinschaften, Stiftungen bis zu antifaschistischen und sozialen Initiativen. Der Fokus von AgR liegt auf der Bekämpfung der AfD als Plattform für extrem rechte und rassistische Weltanschauungen. Das Bündnis hat das Ziel, rechte Positionen zu ächten und zu isolieren und zieht in diesem Sinne eine »rote Linie«. Zu diesem Zweck arbeitet es mit drei Kampagnenbausteinen. Die Stammtischkämpfer*innenausbildung ist der erste Baustein. Diese ist ein Argumentationstraining gegen Rechts, welches auf freiwilliger Basis angeboten wird und beim Bündnis angefragt werden kann. Die Teilnehmenden sollen neben der Ermutigung, gegen menschenverachtende Äußerungen aufzustehen, motiviert werden, sich zu vernetzen und lokal aktiv zu werden. Neben den Seminaren verbreitet AgR als zweiten Kampagnenbaustein, beispielsweise auf Demos gegen rechte Aufmärsche, Informationsmaterialien zur AfD, zu Gegenstrategien und zum Gegenargumentieren. Der dritte Kampagnenbaustein sind die bundesweit rund 70 Kiez- und Regionalgruppen, die die Aktivitäten der AfD kritisch beobachten und Aktionen gegen sie organisieren.

Stammtischparolen polarisieren

Stammtischparolen sind Vorurteile, die die Funktion haben, Komplexität in unserer differenzierten Welt zu reduzieren, Orientierung und Sicherheit zu geben und damit Handlungsfähigkeit herzustellen.

Der Politologe Klaus-Peter Hufer stellt zur Charakteristik von Stammtischparolen fest, dass diese polarisieren in »wir« (die Guten) und »die« (die Schlechten), gegen die aufgewiegelt wird. Diejenigen, die Stammtischparolen äußern, werten sich selbst auf, fühlen sich moralisch überlegen und geben vor, für die breite Mehrheit zu sprechen. Stammtischparolen wirken stabilisierend auf Gruppen und ihre Zugehörigkeitskriterien. Vorurteile stabilisieren nicht nur Macht und Herrschaft, sondern führen zu Diskriminierung bis hin zu Verfolgungen. Stammtischparolen sind fanatisch, also nicht oder nur schwer durch neues Wissen und plausible Argumente erschütterbar.

Gegenargumentieren an praktischen Beispielen üben

Hier liegen die Grenzen von Argumenten gegen Stammtischparolen. Die Stammtischkämpfer*innenausbildung hält am Argumentieren gegen Rechts fest, weil dadurch die Verbreitung von Stammtischparolen eingedämmt und demokratische Werte gestärkt werden. Auch wenn die Meinung des*r Verkünder*in sich nicht ändern mag, so erreicht die Gegenposition möglicherweise Umstehende, die unentschlossen sind oder mit den rechten Positionen zwar sympathisieren, aber noch offen sind für einen Austausch und für demokratische Werte. Die Gegenposition zeigt auf, dass die rechte Aussage nicht gesellschaftlicher Konsens ist und überlässt den rechten Positionen weder den öffentlichen noch den privaten Raum. Wichtig ist, dass das Widersprechen nicht dazu führen darf, den rechten Positionen mehr Raum zu geben und sie somit zu normalisieren. Das Erheben der Stimme gegen Rechts kann Umstehende ermutigen, ebenso aus dem Schweigen auszubrechen und für demokratische Werte einzutreten.

Die meist 6-stündigen Seminare wollen Menschen genau dazu ermutigen. Das Seminarkonzept ist sehr praktisch ausgerichtet. Es enthält Methoden, mit denen das Gegenargumentieren geübt wird. Die Teilnehmenden tauschen sich über Hindernisse und Handlungsstrategien aus. Auch klassische rechte Argumentationsstränge werden betrachtet und erwidert. Die Teilnehmenden können in den Seminaren eigene Situationen einbringen und besprechen und in der szenischen Übung realitätsgetreu nachspielen. Im Seminar wird reflektiert, dass es verschiedene Handlungsoptionen gibt: diskutieren, die Diskussion beenden, sich positionieren oder andere Optionen wie etwa Dritte hinzuziehen. Die eigene Handlung ist von verschiedenen Faktoren abhängig wie beispielsweise von der Gesprächsbereitschaft des Gegenübers, Maßnahmen zum Selbstschutz und zum Schutz anderer Menschen.

Sensibilisierung auch für eigene rassistische Annahmen

Im Rahmen meiner Masterarbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin befragte ich ehemalige Teilnehmende. Die Interviewten argumentierten zumeist schon vor der Teilnahme an der Stammtischkämpfer*innenausbildung gegen rechte Parolen und waren zumeist gesellschaftspolitisch engagiert. Die Stammtischkämpfer*innenausbildung bestärkte sie darin, gegen Rechts aufzustehen und sich zu engagieren. Die praktischen, alltagsbezogenen Übungen ermöglichten ihnen sowohl eine persönliche Stärkung als auch neue Handlungs- und Argumentationsstrategien. Die Stammtischkämpfer*innenausbildung sensibilisierte sowohl für eigene rassistische Annahmen als auch für Rassismus im öffentlichen Raum. Die szenische Übung regte zum Reflektieren des eigenen Handelns an, beispielsweise hinsichtlich der Wirkung auf die von Rassismus betroffene Person.

Die Interviews gaben auch Aufschluss darüber, dass einzelne Interviewte im Seminar Diskriminierung beispielsweise durch rassistische Aussagen erlebten. Dies zeigt zum einen die tiefe Verankerung rassistischer Vorstellungen in uns allen durch unsere Sozialisierung in dieser Gesellschaft mit dieser (Kolonial-)Geschichte. Zum anderen weist es darauf hin, dass die Stammtischkämpfer*innenausbildung kein sicherer Raum für alle ist. Das Seminar konnte durchaus empowernd sein, jedoch wurden auch erneute Diskriminierungserfahrungen gemacht, und auch beides zusammen war möglich.

Angesichts dieser Erkenntnisse ist es notwendig, sich im mehrheitlich weiß positionierten Bündnis AgR und der Teamer*innenschaft mit Diskriminierung und insbesondere Rassismus und in diesem Zuge mit Critical Whiteness auseinanderzusetzen. Erfreulich ist, dass sich eine Arbeitsgruppe dieser Thematik angenommen hat. Denn durch eine höhere Sensibilisierung und Empowermentorientierung auf Seiten der Teamer*innen kann ein diskriminierungsärmerer Raum in den Seminaren geschaffen werden.

Umfangreichere Informationen zur Forschungsarbeit können gerne per Mail an cabo(at)systemli(dot)org nachgefragt werden.

Quellenangaben

Decker, Oliver (2018): Flucht ins Autoritäre, in: ders./ Brähler, Elmar (Hg.): Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft, Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 15-63

Horkheimer, Max (1963): Über das Vorurteil, Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag

Hufer, Klaus-Peter (2006): Argumente am Stammtisch: erfolgreich gegen Parolen, Palaver, Populismus, Bundeszentrale für politische Bildung, Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag

Zick, Andreas/ Küpper, Beate/ Berghan, Wilhelm (2019): Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19, hg. von Schröter, Franziska, Bonn: J. H. W. Dietz, S. 53-116

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46