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Transfer Schule - Uni

Ab an die Uni

Franz Burgmer hat zehn Jahre in Schule und Universität gearbeitet. Er berichtet, welches Potenzial in der Abordnung von Lehrkräften steckt, aber auch welche Tücken damit verbunden sind.

Foto: Bertolt Prächt

Für die meisten Lehrkräfte stehen Universität und Schule sowie Theorie und Praxis für unterschiedliche Lebensabschnitte. Nach dem Studium und Referendariat begegnen Lehrkräfte der Theorie oft nur noch bei Weiterbildungen und der gelegentlichen Lektüre eines – meist fachdidaktischen – Fachbuches.

Auf der anderen Seite stehen die Universitäten, die sich häufig dem Vorwurf – gerade auch von Studierenden – stellen müssen, die Praxis nicht zu kennen und Theoriekonzepte fernab realistischer Umsetzungsmöglichkeiten zu vermitteln. Die Berührungspunkte zwischen beiden Welten sind gering: studentische Praktika, bei denen auch mal ein*e Dozent*in in der Schule auftaucht, das neue Praxissemester, gelegentliche Studien, einzelne Partnerschaften und Forschungsprojekte.

Die Abordnung von Lehrkräften aus dem Schuldienst in die Universitäten bietet hier die Möglichkeit, diese Lücke ein wenig zu schließen. Im besten Falle bringt sie theoretischen Anspruch und praktische Umsetzung zusammen, ermöglicht einen Austausch auf Augenhöhe zwischen den Welten.

Spannende Berufsjahre

Häufig kommt es zu einer Abordnung, solange noch ein Kontakt zur Universität besteht, also kurz nach Abschluss des Studiums und des Referendariats oder durch universitäre Fortbildungen und Forschungsprojekte.

Nach Abschluss eines Ergänzungsstudiums als Sonderpädagoge an der Humboldt-Universität bekam ich im Rahmen einer Abordnung die Möglichkeit, in der Lehrer*innen-Ausbildung als Dozent tätig zu werden. In den letzten 10 Jahren war ich mit unterschiedlichem Stundenkontingent als Dozent am Institut für Rehabilitationswissenschaften der HU tätig. Zu meinen Seminarthemen gehörten Classroom-Management, die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit einer gestörten psychosozialen Entwicklung, die Umsetzung von Förderdiagnostik, die Arbeit mit Förderplänen, das kontroverse Thema AD(H)S und die Vermittlung von Beratungskompetenz.

In der Rückschau gehört diese zusätzliche Lehraufgabe in meinem Berufsleben zu den spannendsten, aber auch anstrengendsten Zeiten. Die Diskussionen mit den Studierenden, ihr frischer Blick auf »alte« Problematiken haben auch meine Arbeit in der Schule positiv beeinflusst. So führte die Auseinandersetzung mit Einzelfällen und die gemeinsame Suche nach Lösungsmöglichkeiten durchaus zu einem veränderten schulischen Handeln meinerseits. Umso frustrierender war es dann für mich, wenn ich mich zu Semesterbeginn einer Gruppe von knapp 100 Studierenden im Masterstudium in einem für maximal 50 Personen geeigneten Raum gegenübersah. Hier waren naturgemäß die Diskussionsmöglichkeiten eingeschränkt, aber mit Hilfe einiger didaktischen Kniffe trotzdem möglich.

Einsatz in der Didaktik

Naturgemäß ist die Didaktik dabei meist der Einsatzbereich, in dem man sich als Lehrkraft wiederfindet: In keinem anderen Bereich kommt es mehr zur Nagelprobe hinsichtlich der Praxisrelevanz theoretischer Konzepte. Dieses didaktische »Glatteis« wird von den universitären Lehrkräften, die oft über wenig bis keine Praxiserfahrung verfügen, gerne »outgesourced«. Von Seiten der Studierenden ist immer wieder zu hören, dass sie die Seminare von in der Schule tätigen Lehrkräften wegen der hohen Praxisrelevanz besonders schätzen.

An der Universität werden Lehrkräfte für besondere Aufgaben eingesetzt. Ich hatte dabei entweder eine Viertelstelle oder auch eine hundertprozentige Stelle. Zum Aufgabenbereich gehört die Durchführung der Veranstaltungen, die Betreuung der Studierenden in einer Sprechstunde und teilweise die Durchführung von Abschlussprüfungen. Eher die Ausnahme ist die Begleitung und Begutachtung von Abschlussarbeiten.

Durch den fachlichen Austausch mit den Kolleg*innen an der Universität ist man informiert über neue Entwicklungen und kann dieses Wissen gleich an der Schule einbringen. Hier spielten in meinem Fall neue didaktische Konzepte wie »Response-to-Intervention« und die Möglichkeiten und Grenzen einer Förderdiagnostik eine große Rolle.

Andererseits fällt es den Universitäten teilweise schwer, mit den Entwicklungen an der Schule mitzuhalten. So mancher Winkelzug der Schulverwaltung erreicht erst mit erheblicher Verzögerung die Universitäten. Als Beispiel seien hier die häufigen, teils sehr kurzfristig umgesetzten Veränderungen im sonderpädagogischen Feststellungsverfahren der letzten Jahre und die Neuausrichtung der Aufgabenbereiche der Sonderpädagog*innen genannt.

Nicht zuletzt ist der persönliche Gewinn aus der Arbeit an der Schnittstelle von Theorie und Praxis erheblich. Die Beschäftigung mit der Theorie hilft, die eigene Unterrichtspraxis zu reflektieren und neue Impulse umzusetzen. So fand mein jahrelanges Unbehagen gegenüber einigen Anti-Mobbing-Programmen seine »wissenschaftliche« Bestätigung durch die Lektüre einer empirischen Studie, die die Auswirkungen dieser Programme kritisch betrachtete. Statt Mobbing zu reduzieren, kann ein unreflektiert durchgeführtes und nicht auf die Gruppe abgestimmtes Training durchaus den gegenteiligen Effekt haben und zu mehr Mobbing führen. Bei der Fülle an Trainings für alle möglichen Problemfälle, die gerade auch von Seiten der Schulverwaltung propagiert werden, wird da schnell klar, dass gut gemeint nicht zwangsläufig gut gemacht bedeutet.

Es bleibt ein Spagat

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass eine Abordnung auch ihre Tücken haben kann. Wer mit einer vollen Stelle an die Universität abgeordnet ist, ist schnell aus dem schulischen Alltag herausgelöst. Damit geht in meinen Augen ein großer Vorteil der Abordnung auf die Dauer verloren: Die Notwendigkeit, das auch praktisch im Unterricht umzusetzen, was theoretisch vor dem Seminar vertreten wird.

Bei einer teilweisen Abordnung ergeben sich einige konkrete Schwierigkeiten: Die Schule benötigt Ersatz für die Stunden, die ihr jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen, die Stundenplangestaltung erweist sich als schwieriger. Lieb gewonnene Einsatzbereiche müssen neu überdacht werden: Bei einem Einsatz als Klassenlehrer*in fehlen diese meist tageweise, was für die Klassenführung und -dynamik beträchtliche Folgen haben kann. Ein erhebliches Problem sind auch die Überschneidungen zwischen vorlesungsfreier Zeit und Semesterferien einerseits und den Schulferien andererseits. Hier sind abteilungsintern kreative Lösungen gefragt.

Zuletzt sei noch erwähnt, dass der formale Prozess der Abordnung durch Unmengen an Bürokratie erschwert wird. Hier arbeiten sich zwei große Behörden, Universität und Schulverwaltung, aneinander ab, und es braucht schon eine gehörige Portion Ausdauer, um hier nicht manchmal zu verzweifeln.

Leider zeigte sich die Schulverwaltung vor dem Hintergrund des Lehrkräftemangels zunehmend zurückhaltend bei der Genehmigung von Abordnungen. Dabei ist der Bedarf an abgeordneten Lehrkräften durch die Aufstockung der Studienplätze im Lehramt ständig gewachsen. Aufgrund meiner Erfahrungen und im Sinne einer qualifizierten Ausbildung der Lehramtsstudierenden plädiere ich klar für eine Ausweitung der Abordnungen. Beide Seiten profitieren eindeutig von diesem Modell der Abordnung – mit erheblichem Gewinn für die abgeordnete Lehrkraft selbst.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46