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Transfer Schule - Uni

Von der Schule in die Forschung

Auch die Wissenschaft ist ein Feld, in dem abgeordnete Lehrkräfte tätig sind. Zwei Sonderpädagoginnen berichten von ihrem innovativen Forschungsprojekt.

Foto: Bertolt Prächt

Im Jahre 2016 wurden wir zur Mitarbeit im Forschungsprojekt »Fachdidaktische Qualifizierung Inklusion angehender Lehrkräfte an der Humboldt-Universität zu Berlin« abgeordnet. Engere Kontakte zur Universität hatten wir beide bereits im Vorfeld des Projektes, unter anderem durch regelmäßige Lehraufträge. Mit der Durchführung des Forschungsprojekts bot sich für uns die Möglichkeit, über den Zeitraum von drei Jahren unser Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten zu vertiefen und bei einem unserer Ansicht nach äußerst praxisrelevanten Projekt mitzuarbeiten: der Entwicklung und Erprobung von Lehrformaten, die Studierende auf den inklusiven Fachunterricht vorbereiten.

Multiprofessionelle Kooperation

Während die Probleme an Schulen oft ein schnelles professionelles Agieren erfordern, erscheinen Forschungsabläufe an der Universität auf den ersten Blick vom direkten Handlungsdruck befreit. Jedoch führt die Output-Orientierung insbesondere bei drittmittelgeförderten Projekten auch zu einer intensiven Arbeitsdynamik, die eine enge Kooperation der einzelnen Projektmitarbeiter*innen voraussetzt.

Die Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team haben wir als Bereicherung und Herausforderung erlebt. Als Lehrkräfte mit unbefristeten Stellen im Schuldienst trafen wir auf junge Wissenschaftler*innen, die sich im Wissenschaftsbetrieb erst noch etablierten und aufgrund befristeter Verträge oft ganz anderen, auch wirtschaftlichen Abhängigkeiten ausgesetzt waren.

Verschiedene Kommunikationspraktiken und unterschiedliche Zielsetzungen im Schul- und Universitätssystem mussten immer wieder reflektiert werden, damit eine gute Zusammenarbeit gelingen konnte. Während wir zum Beispiel oft schnell Lösungen für die Konzeption der Lehrveranstaltungen andachten, lernten wir in den gemeinsamen Arbeitsgesprächen sehr unterschiedliche Perspektiven auf das Thema »Inklusiver Fachunterricht« kennen, die längere Abstimmungsprozesse erforderten. In den fachdidaktischen Diskursen, zum Beispiel in der Geschichts- oder der Lateindidaktik, wird inklusiver Fachunterricht fast zwangsläufig anders definiert und betrachtet als aus Sicht der Sonderpädagogik.

Eine gute Möglichkeit, diese unterschiedlichen Perspektiven zusammenzuführen, bot uns die Arbeit in fachübergreifenden Lehr-Tandems. In den sogenannten »Kooperationsseminaren« erhielten Master-Studierende dabei die Möglichkeit, ihre fachdidaktische, sonder- und inklusionspädagogische sowie sprachbildende Expertise zu erweitern. Die Seminare, gleichermaßen geöffnet für Studierende der einzelnen Unterrichtsfächer und der Sonderpädagogik, wurden durch Lehrende der jeweiligen Fachgebiete konzipiert und durchgeführt. Durch den intensiven fächerverbindenden Austausch und das gemeinsame Lehren in einer gleichberechtigten Lehrkonstellation wurde die Bereitschaft und die Fähigkeit, disziplinübergreifend zu denken sowohl bei den Dozent*innen wie auch den Studierenden im besonderen Maße gefördert.

Eingeschliffene Denkweisen reflektieren

Die Mitarbeit im Forschungsprojekt bot uns die Chance, Themen einzubringen, die wir aufgrund unserer Praxiserfahrungen als besonders relevant für die Lehrkräftebildung einstuften. Eines dieser Themen war die Neubewertung der diagnostischen Kompetenz von Lehrkräften. Mit den Veränderungen grundsätzlicher Leitlinien in der Pädagogik geraten auch zunehmend tradierte Vorstellungen der (sonder-)pädagogischen Diagnostik auf den Prüfstand.

Um selbstgesteuertes individualisiertes Lernen in heterogenen Gruppen, soziale Integration und die Partizipation aller am gemeinsamen Lerngegenstand bestmöglich zu unterstützen, sensibel auf exkludierende Bedingungen zu reagieren und Lernbarrieren möglichst gering zu halten, benötigen Lehrkräfte differenzierte diagnostische Kompetenzen. Damit verbunden ist, Einstellungen, Wissen und Fertigkeiten mit Beginn der Ausbildung und später im Berufsalltag fortlaufend weiterzuentwickeln. Durch unsere langjährige Praxiserfahrung an Berliner Schulen konnten wir zu dem Thema Diagnostik einen profunden Überblick geben und bei der inhaltlichen Konzeption von Lehrveranstaltungen mitarbeiten.

Es wurden in dem Forschungsprojekt unter anderem zu diagnostischen Fragen und zur pädagogischen Reflexion Themenbausteine für universitäre Lehrveranstaltungen entwickelt und evaluiert. Hierbei wird im Bereich der Lehr-Lernforschung ein innovatives Konzept beziehungsweise Design in mehreren Entwicklungsschleifen evaluiert und überarbeitet, um konkrete Probleme in der Praxis zu lösen. Diese zyklische Vorgehensweise ermöglicht es, die Konzeption immer wieder mit den bestehenden Bedingungen abzugleichen beziehungsweise an diese neu anzupassen.

Damit abgeordnete Lehrkräfte »ihre« Themen sinnvoll im Rahmen von Forschungsprojekten bearbeiten können, ist es notwendig, dass sie sich weitere Kenntnisse über Forschungsmethoden und die Darstellung von Forschungsergebnissen aneignen. Aus der Schulpraxis kommend, war das umfassende wissenschaftliche Schreiben für uns Neuland. Der Prozess des Schreibens bot jedoch ausreichend Möglichkeiten, um Gedanken und Erfahrungen zu strukturieren sowie eigenes pädagogisches Handeln und eingeschliffene Denkweisen kritisch zu reflektieren.

Mit ihren genauen Kenntnissen der Schullandschaft und guten Kontakten zu einzelnen Schulen können abgeordnete Lehrkräfte als Türöffner*innen für praxisorientierte Forschungsprojekte fungieren. Sie können einen Beitrag dazu leisten, dass aktuelle Forschungsergebnisse ihren Weg schneller in die Schule finden und umgekehrt Innovationen der Unterrichtspraxis in Forschungsprojekten berücksichtigt werden.

So konnten im vorgestellten Projekt zum Beispiel zu einzelnen Forschungsthemen, wie der Frage nach dem Potenzial dramapädagogischer Methoden im inklusiven Fremdsprachenunterricht, Ansprechpartner*innen in Schulen sowie Klassen zur Erprobung der Methode vermittelt werden. Außerdem fanden Workshops mit Berliner Lehrkräften statt, in denen das erarbeitete didaktische Modell für einen inklusiven Fachunterricht zur Diskussion gestellt wurde.

Berufliche Perspektiven vorleben

Damit Abordnungen als positiv und bereichernd erlebt werden können, sind aus unserer Sicht mehrere Faktoren ausschlaggebend: Zunächst sind ein persönliches Forschungsinteresse und die Bereitschaft, sich auch in neue wissenschaftliche Felder einzuarbeiten, notwendig. Von großem Vorteil ist auch eine unterstützende Schulleitung, die zum Beispiel ganz pragmatisch beim Stundenplanbau einzelne Wochentage für die Arbeit an der Universität blockt. Äußerst wünschenswert wäre eine Vereinfachung des bürokratischen Prozesses der Abordnung und deren problemlose Verlängerung.

Wissenschaftliches Arbeiten ist nicht nur in der ersten Phase der Lehrkäftebildung relevant, sondern kann auch Teil des späteren Berufslebens von Lehrer*innen sein. Durch die Arbeit abgeordneter Lehrkräfte an der Universität in Lehre und Forschung bekommen Studierende diese interessante berufliche Perspektive vorgelebt und lernen so in umfassender Weise Pädagogik als anwendungsbezogene Wissenschaft kennen.

Informationen zum Forschungsprojekt FDQI-HU unter: https://pse.hu-berlin.de/de/forschung-und-lehre/projekte/fdqi-hu

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46