Nr 15/2024
Bildungssenatorin legt Axt an Lehramts-Ausbildung und Schulqualität
Die GEW BERLIN lehnt die angekündigte Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Lehramtsreferendar*innen und die Kürzung der Profilstunden strikt ab. Beides bedeutet eine deutliche Verschlechterung der Ausbildungsbedingungen. „Der Senatorin steht offenbar das Wasser bis zum Hals. Um ihre bisher erfolglosen Bemühungen zur Gewinnung neuer Lehrkräfte zu kaschieren, legt sie jetzt die Axt an die Qualität der Ausbildung der angehenden Lehrer*innen und erhöht deren Unterrichtsverpflichtung“, kritisierte Martina Regulin, Vorsitzende der GEW BERLIN.
Die rund 1.500 Lehramtsreferendar*innen sollen ab nächstem Schuljahr von Anfang an die maximal vorgesehene Zahl von zehn Unterrichtsstunden selbstständig unterrichten. „Damit bleibt keine Zeit mehr für Hospitationen und angeleiteten Unterricht. Gerade im ersten Ausbildungshalbjahr brauchen die Referendar*innen aber Zeit, sich einzuarbeiten, Unterricht zu beobachten und zu reflektieren. Der Vorbereitungsdienst hat das Ziel, die im Studium erworbenen Kompetenzen in der Praxis schrittweise zu erweitern und zu vertiefen. Das wird mit der Maßnahme unmöglich“, so Regulin. „Weil der Senat bei der Sicherung des Lehrkräftebedarfs versagt hat, verlangt die Senatorin jetzt „Solidarität“ von den Schwächsten in der Ausbildung. Eine hochwertige Lehrkräftebildung wird der Unterrichtsversorgung geopfert“, bemängelte Regulin.
Die GEW BERLIN wertet das Schreiben der Senatorin an die Schulleitungen auch als Aufruf zum Rechtsbruch. Denn die aktuelle Ausbildungsordnung für das Referendariat sieht vor, dass sich die Aufteilung der drei Arten des Ausbildungsunterrichts (selbstständiger Unterricht, Unterricht unter Anleitung und Hospitation) nach dem Ausbildungsstand richtet. Damit soll sichergestellt werden, dass die Referendar*innen Zeit für Hospitation und Teamteaching haben. „Eine höhere Unterrichtsverpflichtung ohne Betreuung und Unterstützung verschärft den Druck auf die Lehramtsreferendar*innen und wird zu höheren Abbruch- und Durchfallquoten führen. Ein Armutszeugnis für Berlins Lehrkräftebildung“, so Regulin.
Durch die von Bildungssenatorin Günther-Wünsch angekündigten Veränderungen bei der Lehrkräfteversorgung kommt es zu einer Reduzierung der Wahl- und Unterstützungsmöglichkeiten für Schüler*innen. „Die schulische Bildung wird immer schmalspuriger. Es fallen Bereiche weg, die Schüler*innen konkret helfen oder die ihnen aufgrund ihrer Neigungen besonders liegen“, kritisiert Tom Erdmann, Vorsitzender der GEW BERLIN. Die Stunden für den sogenannten Profilbedarf II konnten bisher für die Bereitstellung von Förderangeboten, den Ausbau des Wahlpflichtbereichs in der Mittelstufe, die Schaffung von Oberstufenkursen sowie die innerschulische Qualitätsentwicklung genutzt werden. „Schon jetzt reichen die Ressourcen für den wichtigen Bereich der innerschulischen Qualitätsentwicklung hinten und vorn nicht aus. Da wird nun noch weniger möglich sein. Alles in allem ist es ein deutlicher Einschnitt in die Schulqualität“, so Erdmann.
Anne Albers, Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik stellte fest: „Die Stundenkürzung wird zu deutlich größeren Lerngruppen führen. Das ist sowohl für Lernende als auch Lehrende eine enorme Belastung. Wir brauchen hier dringend eine Kehrtwende. Anstatt die Arbeitsbedingungen weiter zu verschlechtern, brauchen wir eine nach vorn gerichtete Politik und endlich eine Perspektive auf kleinere Klassen. Ein Tarifvertrag Gesundheitsschutz, für den gestern wieder mehrere tausend Lehrkräfte gestreikt haben, würde Abhilfe schaffen. Die neuesten Maßnahmen der Senatsbildungsverwaltung zeigen, wie dringend ein Tarifvertrag hier ist, um weiteren Verschlechterungen einen Riegel vorzuschieben“, so Albers.
Auch der Zeitpunkt ist aus GEW-Sicht bemerkenswert. „Die Ankündigung erfolgte direkt am Streiktag und weniger als zwei Monate vor Schuljahresende. Zum jetzigen Zeitpunkt haben die meisten Schulen ihre Planungen für das kommende Schuljahr schon vorgenommen. Ein kurzfristiger Wegfall von Stunden bedeutet für viele Schulen einen erheblichen organisatorischen Aufwand“, kritisierte Erdmann.