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Nr. 19/2023

Koalitionsvertrag mit wenig Antworten auf Herausforderungen in der Bildung

Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD bleibt im Bildungsbereich trotz einzelner positiver Aspekte deutlich hinter den Erwartungen der GEW BERLIN zurück. So wird sich die Bildungskrise nicht bewältigen lassen. Es fehlt sowohl an der dringend nötigen Ausbildungsoffensive zur Bekämpfung des Pädagog*innenmangels als auch an akuten Entlastungsmaßnahmen für die Schulen, Kitas, Hochschulen und die Soziale Arbeit in der Stadt. Ideen für eine Verbesserung der Personalsituation in Kitas, im Ganztag und in der sozialen Arbeit sucht man in dem Einigungspapier vergebens. Die GEW BERLIN vermisst außerdem Aussagen zu einer Nachbesserung beim Nachteilsausgleich für nicht verbeamtete Lehrkräfte und ein Bekenntnis zu dem Ziel kleinerer Klassen. Für beides hatte sich nicht zuletzt die Union im Wahlkampf ausgesprochen.

Die CDU sitzt mit dem Bildungs- und dem Finanzressort künftig an den entscheidenden Stellschrauben, um Bildung zur Priorität zu machen in dieser Stadt. Der Koalitionsvertrag ist leider eine erste Enttäuschung. Es fehlt an verbindlichen Vorgaben, zum Beispiel für die Ausbildung der dringend benötigten Lehrkräfte. Es deutet leider wenig darauf hin, dass es echte Verbesserungen für Berlins Bildungseinrichtungen geben wird“, zog Martina Regulin eine erste ernüchternde Bilanz.

Eine erste Einschätzung zu konkreten Themen im Koalitionsvertrag:

Kita-Chancenjahr

Eine Fokussierung auf Sprachförderung insbesondere bei Kindern und Familien, die vor der Einschulung von der Kita nicht erreicht werden, ist zu begrüßen. Sinnvoller als eine Verpflichtung im letzten Kitajahr sind aus Sicht der GEW BERLIN jedoch frühzeitige, zugewandte und aufsuchende Angebote. Familien müssen rechtzeitig und auf Basis von Verständnis und Vertrauen abgeholt werden, damit Kinder die entsprechenden Sprachförderangebote wahrnehmen können.

Kita-Sozialarbeit und Extra-Budget in „herausfordernder Lage“

Die GEW BERLIN sieht dieses Konzept als unterstützende und entlastende Maßnahmen des regulären Kitabetriebs zunächst positiv. Es muss auch hier das Prinzip echter Multiprofessionalität gelten. Offen bleibt, wer für diese zusätzlichen Angebote in Frage kommt. Ein reines Ausgliedern an freie Träger sieht die GEW BERLIN insbesondere vor dem Hintergrund der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung kritisch.

Entlastung des Kita Personals

Eine Verbesserung des Personalschlüssels im Kitabereich wird im Koalitionsvertrag nur bei ausreichenden Fachkräften in Aussicht gestellt. Das ist das falsche Signal an potenzielle Fachkräfte und wird nicht für eine Qualitätsentwicklung der Kindertagesstätten beitragen. Nur mit einer klaren Perspektive und einer Ausbildungsoffensive werden wir junge Menschen für den Beruf der Erzieher*in begeistern können.

Jugendhilfe

Zu begrüßen ist, dass eine weitere Kindernotdiensteinrichtung geben soll. Eine solche Einrichtung ist auch für den Jugendnotdienst unabdingbar, in diesem Bereich ist das jedoch nicht vorgesehen. Die seit Jahren geforderte transparente Personalbemessungsgrundlage für die Sozialarbeiter*innen in den RSD spielt leider weiterhin keine Rolle. So wird es auch zukünftig zu Fallzahlen weit über 100 Fälle pro Fachkraft kommen. Die Kolleg*innen arbeiten schon jetzt nur die „allerschlimmsten“ Fälle ab. An Prävention und Schutz ist so nicht zu denken.

Ganztag

Die dringend notwendige Verbesserung der Situation der ergänzenden Förderung und Betreuung spielt im Koalitionsvertrag keine Rolle. Eine Verbesserung des Personalschlüssels, verlässliche Räume für den Ganztag und verbindliche Vor- und Nachbereitungszeiten der Erzieher*innen sind nicht angedacht. Die Erzieher*innen haben wieder einmal eine Nullrunde zu erwarten. Dies geschieht zu Lasten ihrer Gesundheit und zu Lasten der pädagogischen Qualität. Positiv ist das Vorhaben, die Schulsozialarbeit weiter zu verstärken und dem Land zuzuordnen (soll geprüft werden).

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Ein positives Signal für die vielen Beschäftigten in freier Trägerschafft. Die Koalition macht sich laut Koalitionsvertrag auf den Weg, die Tariftreue freier Träger zu befördern und will prüfen, wie Tariflöhne auf dem Niveau des TV-L auch bei den freien Trägern gezahlt werden können. Hinzu kommt, dass Betriebsratsarbeit endlich auch in der Finanzierung von freien Trägern berücksichtigt werden soll.

Keine MSA-Prüfungen an Gymnasien

Die Abschaffung der MSA-Prüfungen an Gymnasien bedeutet eine Abkehr von der Gleichwertigkeit der beiden Schulformen. Um die Gleichwertigkeit zu gewährleisten bräuchte es mehr Anstrengungen bei dem Ausbau der (Verbund)oberstufen für die ISSn und Gemeinschaftsschulen. Andernfalls ist die Regelung wieder ein Einstieg in die Dreigliedrigkeit unseres Schulsystems. Die Abschaffung des Probejahrs am Gymnasium begrüßen wir.

Neuer Status für Religionsunterricht

Die Einführung eines neuen Wahlpflichtfachs „Weltanschauungen/Religionen“ sehen wir kritisch. Das Fach Ethik muss erhalten bleiben und eine Ausweitung der Stundentafel lehnen wir angesichts des Lehrkräftemangels ab.

Vergleichsarbeiten in allen Jahrgangsstufen

Vergleichsarbeiten haben bis jetzt kaum einen Beitrag dazu geleistet, dass das Bildungswesen inklusiver und sozial gerechter gestaltet wird. Allein die Einführung von Vergleichsarbeiten beinhaltet keine Maßnahmen, wie die Schulen konkret unterstützt werden, um gezielte Förderung anbieten zu können, zumal bereits jetzt zahlreiche Stunden in der sonderpädagogischen und Sprachförderung der Vertretung anheimfallen und nicht bei den Schüler*innen ankommen.

Hochschulverträge

CDU und SPD wollen die Hochschulverträge in ihrer Komplexität reduzieren. Das lässt befürchten, dass die schriftliche Vereinbarung wichtiger Regelungen wegfallen werden. Davon könnten insbesondere die Regelungen zu Guter Arbeit betroffen sein, die erst im letzten Hochschulvertrag eingeführt wurden und die wichtige Zielmarken für gute Beschäftigungsbedingungen setzen. Die Absicht bei der Mittelverteilung auf Zielindikatoren zu verzichten“ halten wir für katastrophal. Die Hochschulen brauchen klare Zielvorgaben seitens der Politik.

Gute Arbeit in der Wissenschaft

Das Aussetzen der Regelung des § 110 Abs. 6 BerlHG zur Schaffung von Dauerstellen für promovierte Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen bis April 2025 (bisher bis 30.9.2023) lehnt die GEW BERLIN entschieden ab. Das Verschieben der Umsetzung lässt ein Begräbnis der so wichtigen Regelung befürchten.

Lehrkräftebildung

2.500 Lehramtsabsolvent*innen langfristig sollen die Zielvorgabe in den Hochschulverträgen sein. Notwendig sind allerdings 3.000! Es fehlen Aussagen zur Verbesserung der Studienbedingungen in der Lehrkräftebildung und zum Sonderprogramm Beste Lehrkräftebildung. Auch die 17 Millionen Euro für die Lehrkräftebildung fehlen im Koalitionsvertrag. Stattdessen sind neue Experimente geplant mit Ein-Fach-Lehrkräften und einem Bachelor of Education sowie einer dualen Lehramtsausbildung mit den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften auch für das Grundschullehramt. Solche strukturellen Änderungen werden erneut Unruhe in die Hochschulen bringen und dort vor allem personelle Kapazitäten binden. Die Unis haben mit der Umsetzung des bereits beschlossenen Aufwuchses in der Lehrkräftebildung mehr als genug zu tun. Angesichts des akuten Lehrkräftemangels sind die Aussagen im Koalitionsvertrag zu vage. Wir brauchen eine Ausbildungsoffensive und zwar jetzt.

Quereinsteiger*innen

Es fehlt ein Bekenntnis zur Verbesserung der Situation der Quereinsteigenden. Die Aussage „Die Q-Masterstudiengänge werden fortgeführt“ ist dürftig. Die Studiengänge müssen ausgebaut werden. Die Absicht, ein Stipendienprogramm für Mangelfächer im regulären Lehramtsstudium einzuführen, ist positiv - aber: die Koalition sollte sich besser auf das Masterstudium und das Praxissemester für alle im Master of Education konzentrieren. Die angedachte 5-Jahresbindungsfrist ist zu lang.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46