Nr. 35/2024
Personalmangel in den Schulen immer schlimmer – Neues Personal braucht mehr Unterstützung und bessere Perspektiven
Die GEW BERLIN stellt zu Beginn des Schuljahres 2024/25 eine weitere Verschlechterung der Bedingungen in den Berliner Schulen fest. „Die Arbeitsbedingungen sind so schlecht wie nie, viele Kolleg*innen sind nur noch im „Überlebensmodus“, erklärte Martina Regulin, Vorsitzende der GEW BERLIN bei der Schuljahresauftakt-Pressekonferenz der Bildungsgewerkschaft. Ihr Fazit zum Schuljahresbeginn fiel verheerend aus: „Die Auswirkungen des Personalmangels werden immer sichtbarer. Die Klassen und Gruppen werden größer, immer mehr Unterricht und Förderstunden fallen aus. Die Rahmenbedingungen werden schlechter – und das bei steigenden pädagogischen Anforderungen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass im letzten Jahr 1.000 Lehrkräfte gekündigt haben und sehr viele Kinder in der Grundschule nicht die Mindeststandards im Lesen und Rechnen erreichen. In der Berliner Schule zu arbeiten ist leider unattraktiv.“
Die GEW-Landesvorsitzende warnte Bildungssenatorin Katharina Günter-Wünsch ausdrücklich davor, weitere Kürzungen im Bildungs- und Jugendbereich vorzunehmen. „Um die Fachkräfte langfristig im System zu halten, müssen sie ihre Arbeit gern machen und gesund bleiben. Das geht nur, wenn sich die Arbeitsbedingungen in den Schulen verbessern. Die Lerngruppen müssen verkleinert und die Schulen verlässlich multiprofessionell ausgestattet werden.“ Kürzungen im Bereich der Sonderpädagogischen Förderung und Sprachförderung erteilte Regulin eine klare Absage: „Kinder mit Behinderungen und Kinder mit Fluchterfahrung haben bereits jetzt schon massiv unter der Mangelsituation zu leiden. Viele von ihnen bekommen nicht die Förderung, die sie benötigen oder warten auf einen Schulplatz.“
Regulin erneuerte die Forderung, die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Lehramtsreferendar*innen und die Kürzung der Profilstunden an den Schulen zurückzunehmen. „Durch die getroffenen Maßnahmen wird das Fehl an ausgebildeten Lehrkräften nur kurzfristig geschmälert. Insgesamt wird es dazu führen, dass die Arbeit an der Schule noch unattraktiver wird und mehr Referendar*innen und Lehrkräfte ans Aussteigen denken werden.“
Die Einstellungszahlen zum neuen Schuljahr zeigen, dass kaum noch voll ausgebildete Lehrkräfte in die Schulen kommen. 650 Lehrkräfte-Vollzeitstellen bleiben unbesetzt. Ohne die Kürzungen der Profilstunden, die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung und die Umwidmung von Lehrkräfte-Stellen in andere Stellen läge die Lücke bei rund 1.500 Vollzeitstellen. Von den aktuell 4.762 neu eingestellten Lehrkräften sind 3.300 sogenannte „sonstige“ Lehrkräfte; das sind Seiteneinsteiger*innen bzw. Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung, darunter etwa 550 Studierende, Lehrkräfte an Willkommensklassen und Lehrkräfte mit internationalen Lehramtsabschlüssen. Das sind fast 70 Prozent aller neu eingestellten Lehrkräfte, die ganz überwiegend befristet eingestellt werden – viele von ihnen immer wieder. Nur 1.111 neu eingestellte Lehrkräfte haben eine vollständige Lehramtsausbildung (23 %), wobei darunter rund 350 pensionierte Lehrkräfte sind.
Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Göttingen stellte die GEW BERLIN eine Reihe von Maßnahmen vor, um den Quer- und Seiteneinstieg an Berliner Schulen besser zu gestalten und den Seiteneinsteiger*innen Weiterqualifizierung und eine dauerhafte Perspektive als Lehrkraft zu ermöglichen. Zwar ziehen die Quer- und Seiteneinsteiger*innen erfreulicherweise überwiegend eine positive persönliche Bilanz ihres Einstiegs. Darauf ließe sich schulpolitisch aufbauen. Aber nur ein Drittel von ihnen gab in einer Befragung der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen an, mit ihrem Status als Seiten- bzw. Quereinsteiger*in zufrieden zu sein. Beachtliche 75% der befragten Seiteneinsteiger*innen übernehmen eine Klassenleitung. Und das obwohl die Behörden ihre Ausgangsqualifikation nicht für das Lehramt anerkennen. Dr. Frank Mußmann, Leiter der Studie, erklärte: „Die Seiteneinsteiger*innen unterrichten als Lehrkräfte, ohne Chance auf eine systematische Fortbildung. Die meisten ziehen zwar trotzdem eine positive persönliche Bilanz, ihre Berufsperspektive empfinden sie jedoch als unsicher. Sie fühlen sich gegenüber anderen Lehrkräften zurückgesetzt, weil ihnen keine systematischen Entwicklungs- und Fortbildungsmöglichkeiten angeboten werden. Dies sollte – auch im Sinne einer verbesserten Unterrichtsqualität – dringend verbessert werden.“
Anne Albers, Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW BERLIN, benannte eine Reihe konkreter Maßnahmen, um die Begleitung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen zu verbessern. Sie forderte verbindliche Vorgaben der Senatsverwaltung, um zu verhindern, dass Quer- und Seiteneinsteiger*innen immer mehr zusätzliche Aufgaben in den Schulen übertragen würden. „Unser Ziel muss es doch sein, dass die Seiteneinsteiger*innen so aus- und weitergebildet werden, dass sie eine vollständige Lehramtsbefähigung erwerben können. Seiteneinsteigende brauchen gezielte Unterstützung, ausreichend Zeit und passgenaue Angebote, um sich zügig weiter qualifizieren zu können. An der Motivation der Seiteneinsteigenden zur Weiterqualifizierung mangelt es nicht, sondern an geeigneten Angeboten aus der Senatsbildungsverwaltung. Erschreckend ist, dass die Senatsbildungsverwaltung keinen Überblick über die Qualifikationsvoraussetzungen dieser Gruppe hat. Der erste Schritt wäre, dass die SenBJF eine Übersicht über die individuellen Qualifikationsvoraussetzungen aller Seiteneinsteiger*innen erstellt. Nur so kann eine individuell zugeschnittene Beratung über mögliche Qualifizierungswege und gezielte Unterstützung erfolgen.“
Umfangreiche Zahlen zur Ausgangslage in den Berliner Schulen und den konkreten Forderungen der GEW BERLIN haben wir in einem Hintergrundpapier zusammengestellt.