Nr. 9/2024
GEW kritisiert neues Verfahren zum Übergang an weiterführende Schulen
Die GEW BERLIN warnt vor einem restriktiveren Zugang zu den Gymnasien und fordert stattdessen eine strukturelle Weiterentwicklung der weiterführenden Schulen, die eine Öffnung für die Inklusion und die Heterogenität der Schüler*innen an allen Schulformen vorsieht. „Die Kopplung des Bildungserfolges an die familiäre Situation der Kinder wird durch das neue Übergangsverfahren verstärkt. Bildungsgerechtigkeit und flächendeckende Inklusion sollten als Ziele an vorderster Stelle stehen. Hieran sollte der Senat mit aller Kraft arbeiten“, erklärte Tom Erdmann, Vorsitzender der GEW BERLIN, angesichts der vom Berliner Senat geplanten schulgesetzlichen Änderungen. „Statt auszusieben, sollte grundsätzlich an allen Schulen eine individuelle Förderung und Begleitung aller Schüler*innen sichergestellt werden“, so Erdmann weiter.
Nuri Kiefer, Vorsitzender der Vereinigung der Schulleitungen in der GEW BERLIN, warnte: „Durch die Neuregelung werden vor allem die Gymnasien entlastet. Die Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen müssen dann deutlich mehr Schüler*innen aufnehmen, obwohl viele schon aus allen Nähten platzen. Auch die Personalsituation ist hier in weiten Teilen angespannter.“ Die Förderprognose, welche für den Übergang von der Grundschule an die weiterführende Schule maßgeblich ist, soll sich künftig nur noch aus den Noten in Mathe, Deutsch und Englisch ergeben. Die musischen, natur- und sozialwissenschaftlichen Fächer und Sport finden keine Berücksichtigung. „Das veränderte Verfahren wird in den Grundschulen den ohnehin schon hohen Druck bei den Deutsch-, Fremdsprachen- und Mathelehrkräfte weiter erhöhen“, prognostiziert Kiefer. Er sieht darin auch eine fehlende Wertschätzung der in der sechsjährigen Grundstufe unterrichteten Fächer.
„Hier offenbart sich ein rückwärtsgewandtes Bildungsverständnis. Die Verengung lässt viele Kompetenzen von Kindern außer Acht und steht im Widerspruch zu einem ganzheitlichen Ansatz. Wir fordern hier dringend ein Umdenken. Kinder sollten in ihrer Entwicklung komplex betrachtet werden. Für eine krisenfeste und zukunftsgerichtete Bildung sollten wir noch viel mehr Kompetenzen in den Blick nehmen als bisher“, sagte Karin Petzold, Leiterin des Vorstandsbereichs Schule in der GEW BERLIN. „Vor allem für Kinder, die Deutsch nicht als Erstsprache sprechen, kann sich die vorgesehene Sprachbetonung nachteilig auswirken“, befürchtet Petzold. 9 der 16 Bundesländer beziehen neben den Noten mehrere Faktoren bei ihren Empfehlungen ein. An diesem Vorgehen sollte auch Berlin sich orientieren.
Die vorgesehene Abschaffung des Probejahrs an Gymnasien ist aus Sicht der GEW BERLIN längst überfällig. „Kaum ein anderes Bundesland hat solche Regelungen, die für die Kinder, ihre Familien und auch das Schulpersonal eine Belastung darstellen. Die Probezeitregelungen in Jahrgang fünf oder bei einem Schulwechsel sollten ebenso abgeschafft werden“, forderte Lydia Puschnerus, Co-Leiterin des Vorstandsbereichs Schule. Dass Schüler*innen ohne Gymnasialempfehlung nun im Rahmen eines Probeunterrichts ihre Eignung fürs Gymnasium unter Beweis stellen sollen, sieht die GEW als problematisch an. „Es stellt sich die Frage, inwiefern ein Probeunterricht in einem für Kinder fremden Kontext einen Aufschluss über Kompetenzen geben kann. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass zwei Drittel der Kinder ohne Gymnasialempfehlung das Probejahr bestehen. Wenn die „Bewährung“ nun auf einen oder zwei Tage reduziert wird, ist das für eine große Gruppe von Kindern, ein Nachteil“, äußert Puschnerus. Zudem sei völlig unklar, auf welcher Basis Entscheidungen zum (Nicht-)Bestehen des Probeunterrichts getroffen werden und mit welchen Ressourcen die Gymnasien dies bewältigen sollten.