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bbz 10 / 2019

Bewährtes sichern – neue Spielräume eröffnen – Partizipation Verbessern

Statt gesetzlicher Festlegungen soll die Novellierung des Hochschulgesetzes Mindeststandards setzen.

Die »Erprobungsklausel« im Berliner Hochschulgesetz hängt eng mit der Berliner Finanzkrise in den 1990er Jahren zusammen. Nach der Wende hatte Gesamtberlin drei große Universitäten, die ab dem Jahr 1993 die Zahl ihrer Professuren deutlich und schmerzlich reduzieren mussten. Insgesamt verloren die Freie Universität und die Technische Universität nach dem Mauerfall etwa die Hälfte ihrer Professuren, die Humboldt-Universität ein Viertel. Mit den ersten Hochschulverträgen im Jahr 1997 sollten die Universitäten Planungssicherheit erhalten, obgleich die Vertragssummen weitere Einschnitte nötig machen würden. Als Kompensation wurde die »Erprobungsklausel« (§ 7a) in das Berliner Hochschulgesetz eingefügt, das ihnen erlaubte, von fast 80 Paragrafen abzuweichen, mit dem Ziel »einer Vereinfachung der Entscheidungsprozesse und einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, insbesondere der Erzielung eigener Einnahmen der Hochschule«.

In der Folge entwickelten die Hochschulen eigene Modelle der Hochschulsteuerung und der akademischen Selbstverwaltung, die jedoch in der Mehrzahl der Fälle eher auf eine Konzentration von Entscheidungsmacht in den Leitungsstrukturen als auf eine stärkere Mitbestimmung und Demokratisierung hinausliefen. Obwohl die hochschuleigenen Evaluationen der neuen Modelle in der Sicht von Hochschulleitungen positive Ergebnisse erbrachten, beklagten andere Vertreter*innen der Hochschulen eine zunehmende Entdemokratisierung. Nicht zufällig war deshalb im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag die Einrichtung »einer Arbeitsgruppe aus Verwaltung, Studierenden und weiteren Hochschulvertreter*innen« vereinbart worden, um Vorschläge zur Stärkung der Beteiligung in der akademischen Selbstverwaltung zu unterbreiten.

Wir stellen uns ein Hochschulgesetz und eine Governancestruktur der Hochschulen vor, die bewährte Erprobungsmodelle auf Dauer stellt und gleichzeitig genug Raum für innovative neue Modelle gibt. Bislang fehlende Festlegungen beispielsweise für fachbereichsübergreifende oder hochschulübergreifende Gremien sollen nun erarbeitet werden, der Weg für neue Studienmodelle wie eine Orientierungsphase zu Beginn oder ein Propädeutikum soll geebnet werden. Anstelle der bislang üblichen gesetzlichen Festlegungen für die Gremien sollen Mindeststandards eingeführt werden, die als Rahmen dienen, damit die Hochschulen in einer großzügigen Übergangszeit ihre bisherigen Strukturen überprüfen, bewährte Modelle auf Dauer stellen und Neues wagen. Die Mindeststandards sollen gesetzlich fixiert werden.

Wie bisher auch üblich sollen die überarbeiteten Struk-turen in einem Grundordnungsgremium beschlossen und von der Senatsverwaltung bestätigt werden. Ein bislang noch nicht abschließend geklärter Punkt sind die Paritäten in diesem Grundordnungsgremium, da für das favorisierte Modell der Viertelparität (oder sogar der Drittelparität) eine rechtliche Klärung in anderen Bundesländern, wo dieses eingeführt werden soll, abgewartet werden soll, um dann im Gesetzgebungsprozess entschieden zu werden. Die Grünen haben sich jedoch seit langer Zeit für die Einführung einer Viertelparität ausgesprochen und werden sich weiterhin dafür einsetzen.

Diskriminierungsfreie Hochschulen schaffen, marginalisierte Gruppen stärken

Zu den Mindeststandards gehören: Zuständigkeiten und Aufgaben der gewählten Gremien und Kommissionen dürfen nicht an Leitungen verschoben werden; jedes Gremium wählt sich einen Vorsitz und tagt in der Regel öffentlich, bei Personalangelegenheiten ist die Öffentlichkeit auszuschließen; es werden Qualifizierungsmaßnahmen für die jeweils mitwirkenden Mitgliedergruppen angeboten; die Gremienarbeit wird durch Hochschulreferate beziehungsweise in der Verwaltung zuständige Mitarbeiter*innen für alle mitwirkenden Hochschulangehörigen unterstützt und begleitet, sie sorgen für die hochschulöffentliche Transparenz und organisatorische Vorbereitung der Sitzungen; Haushaltspläne sowie die Einführung oder die Beendigung von Studiengängen sollen in direkt gewählten Gremien beschlossen werden. Für die Gesetzesnovellierung ist außerdem darüber zu diskutieren, wie die Mittelvergabe über die Fachbereiche und Institute die bestehenden personellen Abhängigkeiten aufbrechen kann.

Eine demokratische Wissenschaft muss so heterogen sein wie die Gesellschaft, in der und für die sie lehrt und forscht. Mehr noch hat die Hochschule nicht nur die Aufgabe, den geltenden Gesellschaftsentwurf zu repräsentieren, sondern ihn stets und ständig kritisch zu hinterfragen und die Möglichkeiten auf mehr Gleichstellung in der Gesellschaft zu fördern. Wie in der Veranstaltung der LandesAstenKonferenz (LAK) in der Hochschule für Wirtschaft und Recht am 7. Mai 2019 deutlich wurde, gibt es eine Reihe von subtilen und manifesten Diskriminierungen verschiedener Gruppen in der Hochschule. Wir wollen daher die Rolle von marginalisierten Gruppen an der Hochschule stärken und der Diskriminierung von strukturell benachteiligten Gruppen entgegenwirken. Hierfür kommen unterschiedliche Möglichkeiten in Betracht, die es zu diskutieren gilt. So könnten Kommissionen, Beiräte oder Beauftragte gewählt werden, die durch eine Infrastruktur (Büro) in ihrer Arbeit unterstützt werden und denen ein aktives Entscheidungsrecht in der Struktur-, Lehr- und Personalplanung an den Hochschulen eingeräumt wird. Die Schaffung von Ombudspersonen oder einem Beschwerderecht könnten weitere Maßnahmen sein. Wir weisen auch explizit darauf hin, dass Diskriminierungsfreiheit auch die soziale Herkunft der Studierenden einschließt.

Nachhaltige Entwicklungen der Hochschulen vorantreiben

Wir wollen, dass die Hochschulen mit ihrer Schlüssel-position in der Stadtgesellschaft die Bedeutung von Nachhaltigkeit und von Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (siehe UNESCO und UN-Agenda 2030) verstärken. An einigen Hochschulen gibt es bereits aktive studentische Initiativen. Allerdings stützen sich diese häufig auf das Engagement Einzelner und sind nicht dauerhaft finanziert. Wir sehen hier also weiteres Handlungspotenzial. Im Berliner Hochschulgesetz kann und muss dieses Ziel an den unterschiedlichsten Stellen wie bei der Beschreibung der Ziele der Hochschulen, in den Paragrafen zu Studium und Lehre, zu Prüfungen, zur Studienreform, zur Qualitätssicherung und Akkreditierung, zu den Aufgaben der Forschung festgeschrieben werden. Es darf dabei nicht nur bei Absichtsbekundungen bleiben, sondern muss eine Fundierung in den verschiedenen Abschnitten des Hochschulgesetzes bekommen.

Es wird also eine spannende Aufgabe sein, den Gesetzgebungsprozess für ein neues Hochschulgesetz aktiv zu begleiten und zu kommentieren, um die Fülle der Anregungen aus den Anhörungsveranstaltungen, die vom November 2018 bis zum 20. Mai 2019 mit großer Beteiligung aller Hochschulgruppen, von Hochschulleitungen bis zu Studierenden, Mittelbauvertreter*innen, von Gremienmitgliedern und Verwaltungsangehörigen, von Personalratsmitgliedern und Frauenbeauftragten, vom Hochschullehrer-Bund stattfanden, frucht-bar zu machen. Dieser Prozess ist von vielen als einmaliges demokratisches Verfahren gewürdigt worden. Die Glaubwürdigkeit der diesen Prozess treibenden Fraktions- und Parteisprecher*innen für Wissenschaft der rot-rot-grünen Koalition steht also auf dem Spiel, nicht mehr und nicht weniger.

Diese Vorgeschichte zusammen mit den Anhörungen im Abgeordnetenhaus diente der Koalitionsarbeitsgruppe zur Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes als Folie für die Überlegungen zur Neugestaltung eines Governance-Systems der Hochschulen. Einerseits hatten einige Hochschulen neue Modelle erprobt, die sich bewährt hatten, andererseits hatten Entscheidungen aber auch zur Entmachtung der Gremien der akademischen Selbstverwaltung geführt. Klar war aber, dass über 20 Jahre nach der Einführung der Erprobungsklausel diese Zeitspanne als ausreichend zu bewerten ist, um die Konsequenzen zu ziehen und das Berliner Hochschulgesetz zu aktualisieren und gleichzeitig auch wegweisend für die Zukunft zu machen. Im Prinzip ist das Berliner Hochschulgesetz seit seiner Neufassung unter Rot-Grün in der Wendezeit zwar immer wieder nachgebessert worden, nicht aber unter dem Aspekt der Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit grundlegend erneuert worden. Nun ist die Zeit dafür reif.