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Glosse

Kleinere Klassen? – Blödsinn!

Hat nicht Jesus auch mit zwei Broten und etwas Wein ganze Volksmassen gesättigt? Also kann ja wohl eine Lehrerin der 4. Klasse statt 15 Kindern auch 35 Kinder erziehen und bilden. Also, meine Lieben, hört auf zu jammern.

Foto: Adobe Stock

Endlich sind wieder kluge Menschen auf dem Vormarsch. Leider noch nicht überall. In der internationalen Spitzenpolitik scheint deren Zahl eher rückläufig. Die klugen Menschen, die ich meine, agieren mehr im Kleinen und oft im Verborgenen. Sie sitzen in Schulämtern und in regionalen Bildungsministerien. Spitzenkräfte, die dem praktischen Schuldienst leider verloren gegangen sind.

 

So eine kluge Frau kam letztens in Gestalt einer Schulrätin in unsere Anstalt, weil das Kollegium sich wieder mal bitterlich beklagen wollte: marode Räume und Toiletten, zu hohe Unterrichtsverpflichtung, undichte Fenster, viel zu große Klassen, nicht genug Sitzmöbel und elektronische Endgeräte für die Schülerschaft – und vor allem: zu viele verhaltensoriginelle Kinder mit Multiproblemkonstellation. Die Schulrätin schmetterte das Lamentieren und Wehklagen elegant ab. Wir seien doch gut aufgestellt. Andere Schulen im Bezirk hätten viel mehr Grund zur Klage. Sie lobte unsere Arbeit und gab zu bedenken, dass die Klassengröße kaum einen Bezug zum Lernerfolg hätte. Das habe vor Jahren ein neuseeländischer Schafzüchter herausgefunden. Ob in seiner Herde 40 oder 80 Schafe grasten, mache gar keinen Unterschied. Viel relevanter als die Zahl der Schafe sei die Berufsbegeisterung des Hirten.

 

Verzückt übertrug man seine Ergebnisse auf das europäische Schulsystem: Die Klassengröße sei für den Lernerfolg irrelevant. Unser Kollegium schwieg betreten. Die Schulrätin wandte sich nach ihren aufklärenden Worten zum Gehen. Da brach es aus einem älteren Kollegen heraus: »Wie können Sie so etwas sagen. Das ist einer Schulrätin einfach unwürdig!« (Man beachte den schönen Genitiv!) Der alte weiße Mann hatte allerdings Narrenfreiheit. In wenigen Wochen würde er auf Rente gehen, deswegen verzichtete die Schulrätin auf disziplinierende Maßnahmen.

 

Seine Worte richteten allerdings in einigen Pädagogenhirnen großen Schaden an. Immer wieder fordern Lehrkräfte kleinere Klassen. Sie leugnen schlichtweg wissenschaftliche Erkenntnisse und vertrauen lieber ihrer subjektiven Befindlichkeit. Dabei ignorieren sie zum Beispiel den norddeutschen Schulleiter, der nach dem Krieg in seiner Dorfschule 70 Jugendliche unterrichtete. Ein überaus kostengünstiges Modell für sein Bundesland! Er konnte sogar den Klassenraum verlassen, um nebenan in seiner Dienstwohnung die Kartoffeln vom Feuer zu nehmen. Die 70 Jugendlichen arbeiteten auch in seiner Abwesenheit fleißig weiter!

 

Als junge Lehrerin war ich eine Weile an einer Waldorf-Schule beschäftigt. In der 8. Klasse saßen 42 Kinder, nach Steiners Temperamentenlehre sortiert: Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melancholiker. Links versifft, wie ich damals war, dachte ich natürlich, die Privatschule wolle möglichst viel Schulgeld scheffeln. Aber nein, die Dragoner-Klassenlehrerin erklärte mir, ein richtiger Klassenkörper könne nur mit so vielen Kindern entstehen! Das hatte auch das Schulamt in Kaiserslautern begriffen, wo ich mein Referendariat abdiente. Auch hier saßen 42 Kinder in meiner 8. Klasse. Na gut, die Aufsatzkorrektur dauerte ein wenig länger als bei 18 Schülerinnen und Schüler.

 

Dass die Klassengröße kaum eine relevante Rolle spiele, zitieren derzeit immer häufiger kluge Menschen, denen gern vorgeworfen wird, sie seien fern jeder schulischen Realität. Aber oft ist ein Blick aus professioneller Distanz viel objektiver und hilfreicher als die beschränkte Tellerrandperspektive kleiner Schulmeisterlein. Deren Gerechte und Gestreite um die Klassengröße hat ja fast schon Fetisch--Charakter.

 

Hat nicht Jesus auch mit zwei Broten und etwas Wein ganze Volksmassen gesättigt? Also kann ja wohl eine Lehrerin der 4. Klasse statt 15 Kindern auch 35 Kinder erziehen und bilden. Bei der modernen Individualisierung des Unterrichts druckt sie halt fünf Arbeitsblätter mehr aus. Wo ist das Problem? Sie muss sich eben ein wenig engagieren. Hat mir mal ein Kindsvater aus der freien Wirtschaft erklärt, der seine Marketingstrategien und Personalführungstipps gern auf den Schulalltag übertragen hätte. Bis dahin war ich noch nie auf die Idee gekommen, dass Engagement zu meinem Beruf gehört.

 

Also, meine Lieben, hört auf zu jammern. Euer pädagogischer Erfolg liegt allein an euch! Wenn ihr motiviert genug seid, ist es egal, ob ihr sechs oder zwölf erkenntnisresistente Kinder in der Klasse habt. Die Schülerinnen und Schüler fördern sich ja auch untereinander und nehmen euch damit viel Arbeit ab! Und: Je größer die Klasse, desto spar.

 

Die klugen Menschen in den Schulämtern, die diesen Sparfaktor klar erkannt haben, steigen weiter auf der Karriereleiter, bis zur Spitze der EU-Verwaltung, der Zentralbank oder werden mit einem schönen Ministerposten belohnt, etwa in der Verteidigung oder digitalen Zukunft.        

 

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