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Glosse

Zitronen auspressen

Eine Stunde mehr für alle Lehrer – was ist das schon? Das sind ja nicht mal volle Stunden, sondern nur 45 Minuten!

Foto: pixabay

Eigentlich wollten Sie die ausgelutschte Zitrone schon im Kompost entsorgen, aber dann kam Ihr Mann, ein ehemaliger Ringer, und quetschte aus der alten Zitrone noch drei Esslöffel Saft. Nun sollte man Lehrer und Lehrerinnen nicht unbedingt mit Zitronen vergleichen, aber das Bild ist schön. Und irgendwie passend. Aus all den übrig gebliebenen Vollzeit- und Teilzeitkräften, die mal eine reguläre Lehrerausbildung absolviert haben, kann man immer noch was rausholen. Man verlängert und verbreitert einfach ihre Lebensarbeitszeit und stopft mehr Kinder in die Klassen. Eine Stunde mehr für alle Lehrer – was ist das schon? Das sind ja nicht mal volle Stunden, sondern nur 45 Minuten! Wenn all die Methusalems und Methusalinnen über 65 zurück im Schuldienst sind, schließt das immense Personallücken und trägt zum Generationenverständnis bei. Weiterhin werden diese Luxusteilzeitkräfte, die nebenbei schwarz im Garten arbeiten, Hunde dressieren oder Spanisch lernen, zurück in den Dienst gezwungen. Das bringt noch mal massenhaft dringend benötigtes und hoch motiviertes Fachpersonal!

Die Kultusministerkonferenz hat kühne Ideen! Ich habe aber noch Vorschläge, die weit darüber hinausgehen. Durch die erhöhte Arbeitszeit hätten die Lehrkräfte weniger Zeit und Lust für Weiterbildungen und Entspannungskurse. Man könnte die Lehrerfortbildungsinstitute schließen und damit jede Menge erfahrener Pädagogen freisetzen. Viele der Yoga- und Resilienzlehrer, Atem-Stimme-Zwerchfell-Experten und Supervisionisten sind ja ausgebildete Lehrer. Ab mit ihnen in die Schulen! 

Im Kollegium wird gern über die »Schulflüchtlinge« gelästert: Lehrer, die sich in Behörden gerettet haben und lieber mit Aktenschränken kommunizieren als mit Kindern. Mir kann niemand erzählen, dass all die Schulräte und Schulinspektoren so ausgelastet sind, dass sie nicht nebenbei ein paar Unterrichtsstunden geben könnten. Auch allen Bildungsministern würde es guttun, vier Stunden in der Woche Schuldienst zu leisten. Ihre Akten könnten derweil ein paar pensionierte Buchhalter sortieren.

Und nun zu den akademischen Taxi-Fahrern, prekär arbeitenden Künstlern und Berufsmüttern, die alle mal auf Lehramt studiert haben und aus unerfindlichen Gründen ihren schönen Beruf nie angetreten haben, den Lehrern aber gern reinreden. Wie wäre es mit Praxis statt Theorie? Ab in die Schulen!

Ständig steht in der Zeitung, dass die Universitäten es versäumt haben, genug Lehrpersonal auszubilden. Zur Strafe sollten die entsprechenden Dozenten halbtags in die Schulen geschickt werden. Dabei könnten sie auch gleich überprüfen, ob die Theorie, die sie ihren Studenten vermitteln, der Realität überhaupt standhält.

Bisher ist der Quereinstieg in den Schuldienst wohl freiwillig. Das muss ja nicht sein. Personal-Scouts könnten in Ämtern und Behörden nach Müßiggang und Überbesetzung fahnden. Ich persönlich biete mich an, in Zeitungsredaktionen nach den Experten zu suchen, die so gern über Schule schwadronieren und ihre Antipathie gegenüber Lehrern überhaupt nicht verhehlen. Auch ihnen würde praktischer Schuldienst guttun. Arbeitslose Journalisten, die derweil ihren Platz einnehmen, gibt es genug!

Große pädagogische Talente lauern auch in der Bundeswehr. Die Unteroffiziere werden keinerlei Disziplinprobleme haben. Schon im alten Preußen hat man angeblich gute Erfahrungen mit Soldaten im Schuldienst gemacht!

Die Kultusministerkonferenz hatte weiterhin die brillante Idee, dass Oberstufenschüler ganz selbstständig lernen. So könnte man weitere Lehrkräfte abziehen und in der Mittelstufe einsetzen. Wie wäre es denn, wenn die Klassen eins und zwei daheim unterrichtet würden? Das bisschen Rechnen und Schreiben werden die Eltern ja wohl noch beherrschen. Und etliche Familien wünschen sich doch ganz dringend Home-Schooling. Warum sich diesem Wunsch verweigern?

Mein Mann meint, man solle die Schulpflicht einfach ganz abschaffen. Aber so weit würde ich dann doch nicht gehen. (Zu Hilfe! Ich muss in den Keller! Der Personal-Scout vom Schulamt steht vor der Tür!)

Dieser Text ist nicht nach den Richtlinien der Redaktion gegendert.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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