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Nr. 37/2023

Arbeitszeitbelastung von Lehrkräften in Berlin im Fokus – Universität Göttingen und GEW BERLIN starten wegweisende Arbeitszeitstudie

Die Belastung von Lehrkräften wächst angesichts steigender Anforderungen und zunehmenden Personalmangels. Im vergangenen Schuljahr haben rund 1.000 Berliner Lehrkräfte gekündigt. Die Zahl hat sich binnen fünf Jahren verdoppelt. Der Arbeitsalltag an Berliner Schulen ist gekennzeichnet von Zeitdruck und Überlastung – Gehör in der Politik finden Lehrkräfte damit jedoch zu wenig, seit Jahren verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen. Wie hoch die Arbeitsbelastung von Lehrkräften wirklich ist und wie viele Stunden Lehrkräfte real arbeiten, ist unklar, weil ihre tarif- und beamtenrechtlich festgelegte Wochenarbeitszeit vom Arbeitgeber ohne empirische Grundlage in Unterrichtsstunden übersetzt wird. Um endlich messbare Ergebnisse zu haben, startet am 28. August 2023 die Berliner Arbeitszeitstudie der Kooperationsstelle der Universität Göttingen mit Unterstützung der GEW BERLIN. Tausende Lehrkräfte und hunderte Schulen nehmen daran teil und erfassen ein ganzes Schuljahr detailliert ihre Arbeitszeit.

Der Personalmangel und die ständig wachsenden Anforderungen an den Beruf belasten Lehrkräfte ganz erheblich. Immer mehr Lehrkräfte sind überlastet, was sich in der steigenden Zahl der Kündigungen und immer mehr Langzeiterkrankungen widerspiegelt. Die Mehrheit der Lehrkräfte leistet unbezahlte Mehrarbeit, was im unmittelbaren Zusammenhang mit dem hohen Arbeitsdruck steht. Das belegen mehrere Studien, die die GEW aktiv unterstützt hat“, verdeutlichte Maike Finnern, Vorsitzende der GEW, zum Start der Arbeitszeitstudie. „Bereits 2016 hatte die niedersächsische Arbeitszeitstudie der GEW gezeigt, dass Lehrkräfte an Gymnasien mehr als zwei Stunden unbezahlte Mehrarbeit pro Woche leisteten, an Grundschulen war es mehr als eine Stunde. Das könnte in Berlin ähnlich sein.“  Finnern hob hervor, dass die Berliner Arbeitszeitstudie auf Grund der laufenden Debatte um die rechtlich gebotene Arbeitszeiterfassung, die auch für Lehrkräfte gilt, erhebliche Bedeutung für das gesamte Bundesgebiet habe. 

„Die von der Max-Traeger-Stiftung der GEW geförderte Berliner Arbeitszeitstudie ist aufgrund der Verbindung von Arbeitszeitmessung und Arbeitsbelastungsbefragung besonders aussagekräftig und lässt sogar Zusammenhangsanalysen zu. Besonders anspruchsvoll ist die Zeiterfassung über ein komplettes pädagogisches Jahr. Wir freuen uns über die vielen Lehrkräfte, die sich über ein Jahr einbringen wollen“, betont Dr. Frank Mußmann, Leiter der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Georg-August-Universität Göttingen. Auch die Anzahl der Teilnehmenden und die Breite der Themen sei umfassender als bisher. Neue Aspekte der Untersuchung sind die Berücksichtigung nahezu aller Schulformen, die besondere Situation bestimmter Gruppen wie Quer- oder Seiteneinsteigende und insbesondere auch von Mitgliedern der Schulleitungen. „Mithilfe des ambitionierten Studiendesigns sollen der Gestaltungsbedarf bei den Arbeitsbedingungen Berliner Lehrkräfte wissenschaftlich genauer bestimmt und schlussendlich konkrete arbeitspolitische Handlungsempfehlungen abgeleitet werden“, so Mußmann.  

„Bisher leidet die Debatte zur Arbeitszeit und Arbeitsbelastung von Lehrkräften stark unter Vorstellungen von einer Schulwirklichkeit, die längst nicht mehr zeitgemäß sind“, sagte Martina Regulin, Landesvorsitzende der GEW BERLIN. „Die einjährige Untersuchung hat das Potential, präzise Erkenntnisse über die genauen Belastungen und notwendige Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften hervorzubringen – ein wichtiges Argument, um Menschen für den Lehrberuf zu gewinnen. In gut einem Jahr werden wir hoffentlich wissen, welchen Anteil außerunterrichtliche Tätigkeiten an der Arbeitszeit von Lehrkräften haben“, so Regulin.

Die Arbeitszeitstudie kommt zu einer bedeutenden Zeit, da mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom September 2022 alle Arbeitgeber dazu verpflichtet wurden, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Dies gilt auch für Lehrkräfte. Die GEW BERLIN fordert daher die Erfassung der realen Arbeitszeit von Berliner Lehrkräften. „Eigentlich müsste der Arbeitgeber längst die reale Arbeitszeit aller Beschäftigten erfassen. Die Umsetzung steht jedoch bundesweit noch aus. Eine strittige Frage ist, wie umfangreich all die verschiedenen Tätigkeiten sind, die mittlerweile zum Lehrberuf gehören“, erklärte Anne Albers, Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW BERLIN. „Wir werden nicht warten, bis der Senat sich endlich auf den Weg gemacht hat, sondern unterstützen schon jetzt die Arbeitszeitstudie der Universität Göttingen. Wir wollen, dass das reale Ausmaß der Arbeitszeit wissenschaftlich untersucht wird, damit wir mit mehr Kraft in die politische Auseinandersetzung gehen und für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sorgen können“, erklärt Albers.

Sie rief alle Berliner Lehrkräfte abschließend dazu auf, sich noch an der Arbeitszeiterfassung zu beteiligen. „Ein Einstieg ist kurzfristig noch möglich. Je mehr Kolleg*innen teilnehmen, umso differenzierter und aussagekräftiger sind die Daten. Umso mehr politisches Gewicht wird die Studie am Ende haben. Erfahrungsgemäß wissen Kolleg*innen nicht genau, wie viel sie tatsächlich arbeiten und wofür sie ihre Zeit im Detail verwenden. Die Studie bietet allen einen Überblick über ihre individuelle Zeitverwendung und ermöglicht Kollegien zudem fundierte Initiativen zu arbeitsentlastenden Beschlüssen in den Gesamtkonferenzen“, so Albers.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46