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Nr. 2/2024

„Digitaler Stress“ belastet Berliner Lehrkräfte

Schlechte Rahmenbedingungen und fehlende Zeit bremsen die hohe Bereitschaft Berliner Lehrkräfte zu digitalem Unterricht. Dies belegt eine neue Studie der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen, die heute bei der GEW BERLIN vorgestellt wurde. Die große Diskrepanz zwischen den Bemühungen der Lehrkräfte und den zur Verfügung stehenden Ressourcen sorgt unter Lehrkräften für großen „digitalen Stress“, der ihre Gesundheit gefährdet.

Die Wissenschaftler der Universität Göttingen stellten die ersten Ergebnisse einer Arbeitsbelastungsstudie unter 2.385 Berliner Lehrkräften vor, die aufzeigen, wie es um den digitalen Unterricht in Berlin bestellt ist. Die Befragung zeigt, dass die Nutzung digitaler Medien in Berliner Schulen zur Regel geworden ist. Zwei von drei Lehrkräften nutzen digitale Medien jeden Tag in ihrem Unterricht. Insgesamt 93 Prozent nutzen sie mindestens jede Woche. Drei Viertel der Befragten sagen, sie würden gerne noch mehr digitale Elemente in ihren Unterricht einbauen.

Doch die Rahmenbedingungen erschweren den Einsatz digitaler Medien und Methoden enorm. 79 Prozent der Befragten benennen die „fehlende Vorbereitungszeit für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht“ als Haupthinderungsgrund. Das führt dazu, dass die Digitalisierung vor allem als Belastung empfunden wird. So benennen 71 Prozent der Befragten die „Auswirkungen der Digitalisierung“ als einen Hauptfaktor für ihre Arbeitsbelastung.

Dr. Frank Mußmann, Leiter der Studie, zeigte sich bei der Vorstellung der Ergebnisse überrascht über den Kontrast zwischen der hohen Bereitschaft der Lehrkräfte zu mediengestütztem Unterricht auf der einen Seite und den großen Schwierigkeiten der Schulverwaltung, angemessene Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. „Der gewichtigste Hinderungsgrund beim digitalen Unterrichten sind die organisationalen Hindernisse: technische Ausfälle, mangelnde Unterstützung und zu wenig zeitliche Spielräume bei der Umsetzung“, so Mußmann. Er nannte ein Beispiel: „Nur ein Drittel der Lehrkräfte nutzt das von der Senatsverwaltung herausgegebene persönliche digitale Endgerät regelmäßig mindestens wöchentlich, unter anderem weil es sich nicht mit der digitalen Tafel in der Schule verbinden lässt. Wieso ist so ein Problem nach zwei Jahren noch immer nicht gelöst?“

Maßnahmen zur Verringerung des digitalen Stresses wie Weiterbildungen oder die Verbesserung von Support und Infrastruktur des digital unterstützten Lehrens und Lernens hätten nach Einschätzung Mußmanns direkten Effekt auf die Gesundheit der Lehrkräfte: „Da hoher digitaler Stress ein Gesundheitsrisiko darstellt, ist es im Sinne des Arbeits- und Gesundheitsschutzes notwendig, die Umsetzung des digital unterstützten Lehrens und Lernens an den Berliner Schulen zu verbessern.“ 

„Die Ergebnisse sollten Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch endgültig wachrütteln, denn bisher wird die Schuldigitalisierung von den politisch Verantwortlichen verschlafen“, kritisierte Anne Albers, Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW BERLIN. „Die Befragung zeigt eindeutig, dass die Lehrkräfte hoch motiviert sind und digital arbeiten wollen. Die Senatsbildungsverwaltung zieht ihnen dabei buchstäblich den Stecker. Fehlender Support, dysfunktionale Geräte sowie zu geringe Apps und fehlendes WLAN verhindern oft die Umsetzung. Teure Geräte zu beschaffen allein reicht nicht, wenn die digitale Infrastruktur nicht entwickelt wird und die Lehrkräfte keine Zeit für die Arbeitsumstellung bekommen“, betonte Albers.

Albers rief die Senatorin auf: „Setzen Sie sich mit der GEW BERLIN an einen Tisch und sprechen Sie mit uns darüber, wie der notwendige Schulentwicklungsprozess hin zu einer digitalisierten Schule aussehen kann. Die Lehrkräfte müssen die benötigte Zeit und organisatorische Unterstützung erhalten, damit die Berliner Schulen rauskommen aus der Kreidezeit. Wir fordern Studientage zur Entwicklung digitaler Arbeit in Schule, digitale Arbeitsplätze in der Schule sowie mit digitaler Technik ausgestattete Unterrichtsräume, die Einstellung von IT-Support-Personal und die Einhaltung von Daten- und Arbeitsschutz. Der Senat muss liefern, bevor die Lehrkräfte vollends demotiviert sind“, so Albers.

„Wir Lehrkräfte wollen guten Unterricht machen“, sagte abschließend Maximilian Tessenow, Lehrer an der Clay-Schule in Neukölln, bei der Vorstellung der Studienergebnisse. „Wir Lehrkräfte haben längst erkannt, dass der Einsatz digitaler Mittel unseren Unterricht bereichert. Die Umstellung auf das neue Endgerät kostet viele Kolleg*innen Zeit, die sie nicht haben. Viele fühlen sich ausgebremst, weil sie mit ihrer eigenen Technik eingespielt sind und die aber nicht mehr verwenden dürfen. An meiner Schule kann ich erleben, wie in einem Neubau funktionierende Technik, WLAN und digitale Tafeln unsere Arbeit erleichtert. Das ist aber leider die seltene Ausnahme. Ich höre von vielen Kolleg*innen aus anderen Schulen, dass sie sich auf ihre Technik nicht verlassen können und darum doppelt planen müssen, digital und analog. Das verursacht Stress und verbrennt zusätzliche Zeit. Ein technischer Support vor Ort und Studientage zur Schulentwicklung mit dem ganzen Kollegium sind dringend notwendig, damit die Digitalisierung endlich in Schwung kommt“, so Tessenow.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46