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Pressegespräch

Pressepapier zum Gespräch zur Personalsituation im Ganztag

Donnerstag, 26. Januar 2023

 

Eine Erzieherin auf 40 Kinder – Wahlversprechen nicht eingelöst

Alle Kinder haben ein Recht auf ganztägige Bildung, Erziehung und Betreuung. Sie haben ein Recht auf eine gute Schule. Und sie haben ein Recht auf Lernen – gemeinsam mit engagierten und qualifizierten Pädagog*innen unterschiedlichster Professionen.

Seit der Grundschulreform 2006 ist jede Berliner Grundschule eine Ganztagsschule, in offener oder gebundener Form. Gute Qualität ist der Schlüssel für eine gelingende Ganztagsschule. Das wird umso wichtiger, je mehr Kinder diese besuchen und je mehr Zeit sie dort verbringen. Es ist höchste Zeit, die Rahmenbedingungen im Ganztag zu verbessern.

Alle Koalitions-Parteien haben sich mit der Verbesserung des Personalschlüssels im Ganztag um das Abgeordnetenhaus beworben. Seit 2006 ist jedoch lediglich ein quantitativer Ausbau der Ganztagsschulen erfolgt. Eine echte Qualitätsverbesserung ist ausgeblieben und auch jetzt stellen wir kein ernsthaftes Bestreben dazu fest!

Aus Sicht der GEW bedarf es hierzu insbesondere:
 

Verbesserung Personalschlüssel

Das Kernanliegen der GEW BERLIN ist es, einen besseren Personalschlüssel im pädagogischen Alltag zu schaffen. Ein verbesserter Personalschlüssel trägt zur Steigerung der pädagogischen Qualität bei.

Da im gesetzlichen Personalschlüssel auch die Zeiten für Urlaub, Fortbildung, Krankheit und mittelbare pädagogische Arbeit enthalten sind und durch die kleinteiligen Betreuungsmodule die Anwesenheit der Kinder nicht parallel zur Arbeitszeit der Erzieher*innen läuft, sind trotz eines offiziellen Personalschlüssels von 1:22 reale Betreuungsrelationen von 1:40 und mehr keine Seltenheit.

Deshalb fordern wir den gesetzlich festgeschriebenen Personalschlüssel von aktuell 1:22 auf 1:15 zu senken. Unter Berücksichtigung der akuten Mangelsituation an ausgebildeten Erzieher*innen in Berlin schlagen wir vor, diese Absenkung in mehreren Schritten umzusetzen. Ein Einstieg muss aber umgehend erfolgen! Nach der Wiederholungswahl muss der neu gewählte Senat hier handeln.

Zusätzlich fordern wir eine personelle Ausstattung für Ausfallzeiten, wie zum Beispiel: Langzeiterkrankte, Urlaub, Krankheit, Schwangerschaften, Sabbatjahre.

 

PKB-Mittel als alternativer Lösungsansatz

 

Als alternativen Lösungsansatz könnte übergangsweise auch eine Personalkostenbudgetierung und entsprechende Verträge für die ergänzende Förderung und Betreuung, für Schulsozialarbeit, für Verwaltungsleitung und Sekretariat helfen. So könnten Schulleitungen kurzfristig personelle Unterstützungen einstellen und ggf. längerfristig neue Kolleg:innen für den Ganztag gewinnen. Derzeit gibt es für die genannten Bereiche keine PKB Mittel.

Leitung

Die koordinierenden Erzieher*innen tragen eine hohe Verantwortung bei der pädagogischen Entwicklung der Ganztagsangebote, bei der Alltags-, Essen- und Arbeitsorganisation und in der Teamführung. Deshalb dürfen die Leitungskräfte des Ganztagsbetriebs nicht länger auf die Rolle „koordinierende Erzieher*in“ reduziert werden.
 

Die heutige Regelung, die an einer Ganztagsschule maximal eine volle Leitungsstelle vorsieht, stammt aus der Zeit der in der Größe überschaubaren Horte. Im heutigen Ganztagsbetrieb sind 400 betreute Kinder und Teams von 30 Mitarbeiter*innen an einer Schule keine Seltenheit mehr. Für diese Entwicklung benötigen wir auch einen Anstieg an freigestellten Erzieher*innen mit Leitungsfunktion in unseren Ganztagsschulen.

 

Wir fordern einen kindgebundenen Schlüssel von 1:150 mit einer Deckelung von maximal zwei vollen Stellen für die Leitungstätigkeit an einer Schule.

 

Ebenso wenig spiegelt sich diese Verantwortung im Schulgesetz wider. Die koordinierende Leitung ist zwar ein Teil der erweiterten Schulleitung. Eine echte Funktionsstelle mit entsprechenden Kompetenzen wird den koordinierenden Erzieher*innen jedoch immer noch nicht zugebilligt.

 

Geschätzter Mehraufwand für die Personalverbesserung und Leitungsausstattung

 

In den Berliner Ganztagsschulen (im offenen und im gebundenen Ganztag) sind derzeit etwa 6.000 Erzieher*innen in der ergänzenden Förderung und Betreuung eingesetzt. Diese Zahl setzt sich aus ca. 1.200 Kolleg*innen in freier und ca. 4.800 Kolleg*innen in öffentlicher Trägerschaft zusammen.

 

Die derzeitigen Personalausstattungen werden auf der Grundlage eines im Schulgesetz (§ 19 SchulG) festgeschriebenen Schlüssels von 1:22 berechnet. Der von der GEW BERLIN geforderte Personalschlüssel von 1:15 bedeutet eine Steigerung auf 147 Prozent der jetzigen Personalausstattung.

 

Insgesamt ergibt sich nach Berechnungen der GEW BERLIN somit ein Mehrbedarf von ca. 1.900 Erzieher*innen (Vollzeiteinheiten VZE) für die Berliner Ganztagsschulen. Hierin sind sowohl die offenen als auch die die gebundenen Ganztagsschulen berücksichtigt. Daraus ergeben sich laufende Haushaltskosten in Höhe von rund 120 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr.

 

Pro Schule gibt es derzeit eine Koordinierungs-/Leitungsstelle für die ergänzende Förderung und Betreuung. Bei 460 Schulen sind dies 460 VZE (die Sondersituation sehr kleiner Schulen bleibt hier unberücksichtigt). Bei einem Leitungsschlüssel von 1:150 würden bei 131.000 Kindern zukünftig 870 VZE benötigt. Durch die Deckelung auf zwei volle Stellen ergibt sich bei größeren Schulen ein geringerer Schlüssel. Insgesamt gehen wir deshalb von max. 800 nach unserem Modell benötigten VZE aus. Es entstünde ein Mehrbedarf von 340 VZE, was in etwa 25 Millionen Euro zusätzliche Personalkosten bedeutet.

 

Verlässliche Ausstattung für mittelbare pädagogische Arbeit

 

Zur Gestaltung guter pädagogischer Arbeit brauchen Erzieher*innen Zeit für die mittelbare Vor- und Nachbereitung, Zeit für Absprachen und Teamsitzungen sowie für Eltern- und Netzwerkarbeit. Eine deutliche Ausweitung der bestehenden stellenbezogenen Ausstattung für die mittelbare pädagogische Arbeit (mpA) ist in der derzeitigen Arbeitssituation zumeist ein frommer Wunsch. Deshalb ist ein verbesserter Personalschlüssel wiederum eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die dringend notwendige verlässliche Ausstattung mit Verfügungszeiten nicht dem Druck der engen Dienstpläne zum Opfer fällt.

 

Parallel zur Verbesserung des Personalschlüssels muss die Ausstattung der Erzieher*innenstellen mit Verfügungszeiten verlässlich realisiert werden. Zur Aufgabenerfüllung wenden Erzieher*innen ca. 23 Prozent[1] ihrer Arbeitszeit für mittelbare pädagogische Tätigkeiten auf. Für eine Vollzeitstelle bedeutet dies ca. 9 Stunden pro Woche.

Ausreichend Platz – Ganztägige Bildung braucht anregende Räume

 

Ganztagsschulen sind Lern- und Lebensräume. Dafür brauchen sie ein »Mehr« an Räumen für den ganzen Tag, sowohl im Innen-, als auch im Außenbereich. Kinder brauchen Räume unterschiedlichster Zweckbestimmung, Orte, die ihrem kindlichen Bewegungs- und Ruhebedürfnis entgegenkommen, die für sie flexibel nutzbar sind und die sie selbst gestalten können. Ganztagsgrundschulen benötigen neben Unterrichtsräumen Begegnungsbereiche, Spielflächen, Ruhezonen, Lernlandschaften, den gestiegenen Kapazitäten angepasste Mensen sowie Küchen und ansprechende Hygieneräume. Sie brauchen Winkel und Ecken, in denen Projekte über mehrere Tage entstehen können, die den Kindern selbstbestimmte Rückzugsmöglichkeiten bieten und die der unterrichtlichen Nutzung entzogen bleiben. Inklusive Ganztagsschulen müssen barrierefrei umgestaltet werden und im inklusiven Schulsystem das Recht auf gleichwertige Bildung für alle gewährleisten.

 

Diese pädagogischen Grundvoraussetzungen bleiben bestehen, auch wenn steigende Schüler*innenzahlen die Ganztagsschulen zunehmend in räumliche Bedrängnis bringen. Deshalb ist JETZT kreative und schnelle Hilfe gefragt.

 

Woher bekommen wir die notwendigen Fachkräfte?

 

Der GEW BERLIN ist bewusst, dass die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen nicht sofort zur Verfügung stehen. Wesentlich wäre hier neben einer klaren Zielvorgabe, die sogleich als Signal in die Bildungslandschaft hineinwirkt, dass ein transparenter Stufenplan erarbeitet wird. Nur so können sukzessive sowohl die finanziellen als auch personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Hierzu gehört es auch, die Ausbildungskapazitäten weiter auszubauen. Derzeit müssen wir jedoch feststellen, dass Ausbildungszahlen an den Fachschulen für Sozialpädagogik stagnieren.

 

Es müssten also zusätzlich auch Anstrengungen unternommen werden, damit auch die Ausbildung zur Erzieher:in attraktiver wird. Denkbar wären zum Beispiel Praktikumsvergütungen für die Pflichtpraktika, sowie ein leichterer Zugang zum BAföG. Hier gibt es immer wieder Probleme mit der entsprechenden Förderung.

 

Nur wenn die Schule und der Erzieher*innenberuf insbesondere als attraktiver Arbeitsort und Beruf, mit verlässlichen Strukturen für hochwertige Bildungsarbeit in der Öffentlichkeit wahrgenommen und anerkannt wird, gewinnen wir die notwendigen Fachkräfte und können unseren Kindern eine gute ganztägliche Bildung ermöglichen. Hierfür bedarf es ein Signal der Wertschätzung und zudem politischen Entscheidungen, damit die Berliner Ganztagsschule endlich auch den formulierten Zielen gerecht werden kann.

 


[1] Rudow, B. 2015. Belastung von Erzieherinnen in der Arbeit an der Schule (Berliner Modellprojekt) – BEAS Berlin. Berlin, Hrsg.: GEW BERLIN

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46