Schwerpunkt "Tariflohn für alle!"
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Steigender Ökonomisierungsdruck, fehlende Finanzierungen, keine flächendeckende Tarifbindung – Die Bezahlung bei freien Trägern der Sozialen Arbeit ist höchst unterschiedlich und liegt mitunter weit unter den tariflichen Standards. Tarifarbeit im Fokus der GEW BERLIN.
Die Soziale Arbeit, Kinder- und Jugendhilfe war in den letzten Jahrzehnten großen Veränderungsprozessen unterzogen, die nicht nur zu einer massiven Vergrößerung der Anzahl von freien Trägern geführt hat, sondern auch zu geringerer Tarifbindung, einer Verringerung von Löhnen und Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Das bringt für die GEW BERLIN und ihre gewerkschaftliche Arbeit einige Herausforderungen mit, die ich gerne etwas näher erörtern möchte.
Während noch Anfang der Neunziger Jahre viele Angebote in öffentlicher Hand waren, sind im Zuge der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit und der Kommunen immer mehr Angebote durch freie Träger übernommen worden. Nicht nur die klassischen Träger der Wohlfahrtspflege wie Arbeiterwohlfahrt (AWO), Volkssolidarität, Caritas, Diakonie und Deutsches Rote Kreuz (DRK) fingen an, ihre Angebote zu erweitern und in die Lücken zu gehen, die der Staat öffnete. Eine Vielzahl von sogenannten Sozialunternehmen sind inzwischen hinzugekommen und kämpfen um Aufträge aus öffentlicher Hand in der Sozialen Arbeit. Während sich die meisten freien Träger der Gemeinnützigkeit verschrieben haben, bedeutet Gemeinnützigkeit nicht unbedingt, dass diese Unternehmen keine Gewinne machen können. Sie müssen sie nur wieder ins Unternehmen reinvestieren, aber nicht unbedingt in die Löhne ihrer Mitarbeiter*innen. Mittlerweile ist die Anzahl an freien Trägern allein in Berlin auf mehr als 1.900 (Stand 2020) mit mehr als 16.000 Beschäftigten allein bei den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe angewachsen, Tendenz steigend. Auch die Finanzierung vieler Bereiche in der Sozialen Arbeit hat sich gewandelt. Weg vom Kostendeckungsprinzip hin zur Leistungsfinanzierung in Form von beispielsweise Fachleistungsstunden und einem kleineren Zuwendungsbereich für zum Beispiel Jugendclubs und Familienzentren. Hier kann man auch klare Parallelen zwischen Sozialer Arbeit und dem Gesundheitssektor feststellen, indem im Zuge der Ökonomisierung das Kostendeckungsprinzip der Krankenhäuser zugunsten von Fallpauschalen abgeschafft wurde. Dies führt bei den freien Trägern, wie auch im Gesundheitssektor, zu einem höheren Kosten- und Spardruck. Und da bei Sozialunternehmen rund 70 Prozent der Kosten durch das Personal entstehen, ist das natürlich auch der Bereich mit dem meisten Einsparpotential.
Nicht nur der Markt ist durch die große Anzahl an Trägern weitaus unübersichtlicher geworden. Auch die Lohngefälle der Beschäftigten haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark ausdifferenziert. Häufig leider zum Nachteil der Beschäftigten. Mit der Ersetzung des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT), der in vielen Trägern noch analog angewandt wurde, kam es zu einer weiteren Verschlechterung der Bezahlung von Beschäftigten bei freien Trägern gegenüber dem öffentlichen Dienst.
Attraktivität von Tarifverträgen erhöhen
Mittlerweile zahlen nur noch wenige Träger nach Tarifvertrag der Länder für den Sozial- und Erziehungsdienst (TV-L SuE). Manche Träger lehnen sich mehr oder weniger an den TV-L an, oft aber nicht zu hundert Prozent und mit abgespeckten Konditionen. Auch das kürzlich novellierte Berliner Vergabe- und Auftragsgesetz (2022), dass eine Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen festlegt, lässt bisher freie Träger der Sozialen Arbeit bei der Regelung aus, obwohl auch sie eigentlich Leistungen im Auftrag der öffentlichen Mittelgeber ausführen. Diesem Prozess versuchen viele Beschäftigte mit Hilfe der GEW BERLIN etwas entgegen zu setzen. Die GEW BERLIN unterstützt die Kolleg*innen nicht nur individuell mit Rechtsschutz, sondern auch beratend bei der Gründung von Betriebsräten sowie beim Kampf um Tarifverträge. Was leider oft wegen mangelnder Ressourcen auf der Strecke bleibt, ist die Unterstützung und der Aufbau von Betriebsgruppen, die der betriebliche Arm der GEW BERLIN (§16 Satzung GEW BERLIN) sein sollen. Trotz Vereinzelung und immer höheren Arbeitsdruck konnten Beschäftigte immer wieder Erfolge feiern und unter anderem mit der Hilfe der GEW BERLIN mit einigen Trägern Tarifverträge verhandeln. Ein prominentes Beispiel ist die Lebenshilfe Berlin, wo vor vielen Jahren Beschäftigte mit Hilfe der GEW BERLIN einen Tarifvertrag erkämpften. Um die Attraktivität von Tarifverträgen zu erhöhen, hat das Land Berlin auch die Möglichkeiten für freie Träger verbessert, sich Tarifverträge refinanzieren zu lassen. Das hatte leider bisher nur wenig Erfolg, auch weil die Verwaltung kaum mit der Umsetzung hinterherkommt. Sieht man die massive Anzahl von freien Trägern alleine in Berlin, ist selbst zusammen mit der Tarifarbeit von ver.di, die Anzahl an freien Trägern mit Tarifverträgen noch viel zu gering. Aber selbst wo es noch nicht gelang, Tarifverträge zu verhandeln, konnten Betriebsräte mit Hilfe der GEW BERLIN bessere Löhne und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten erreichen.
Mit fairen Löhnen dem Konkurrenzkampf ein Ende setzen
Mittlerweile macht sich auch ein anderer Effekt bemerkbar. Der Fachkräftemangel wirkt sich in der Sozialen Arbeit ähnlich wie in anderen Branchen mit eher niedrigen Löhnen massiv aus und die Träger, ob öffentliche oder freie Träger, spüren in allen Bereiche Personalmangel. Das macht natürlich gute Löhne auch für die freien Träger attraktiver, um einen Wettbewerbsvorteil um Personal vor anderen Trägern zu haben. Der Fachkräftemangel ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum es seit kurzem Verhandlungen für einen Flächentarifvertrag in Berlin mit der Paritätischen Arbeitgebergemeinschaft (PTG) gibt. Die Anzahl der Träger ist zwar noch recht gering, aber es sind schon jetzt große Träger wie der Humanistischen Verband und das Union Hilfswerk dabei. Einige freie Träger scheinen also erkannt zu haben, dass ein einheitliches Tarif- und Lohnsystem mehr Vorteile hat, als der zermürbende Konkurrenzkampf um die Fachkräfte. Ob die Verhandlungen gelingen werden und ein Tarifvertrag so nah wie möglich oder gleichwertig zum TV-L SuE erreicht werden kann, hängt von vielen Faktoren ab. Die Interessenlagen und Strukturen der Träger sind höchst unterschiedlich, der Organisationsgrad der Beschäftigten in den Betrieben auch. Eine weitere Hürde ist die Zusammenarbeit mit ver.di, die sich nicht immer einfach gestaltet. Um diese Aufgaben und die Tarifbindung bei freien Trägern weiter zu stärken, muss sich die GEW BERLIN für die Zukunft noch stärker aufstellen und auch neue Wege wagen. Auch wenn die GEW immer wieder erfolgreich Beschäftigte beim Kampf für bessere Arbeitsbedingungen unterstützt, sind die Kolleg*innen im Alltag häufig auf sich allein gestellt. Für eine kontinuierliche betriebliche Gewerkschaftsarbeit braucht es daher mehr Ressourcen.