bbz 05 / 2019
Zeiten des Mangels
Das Lehramtsstudium wurde in den letzten Jahren umfassend verändert. Erst die Reform der Lehrkräftebildung, dann der massive Ausbau der Studienplätze. Wie sieht es heute in den Fakultäten aus?
Der bundesweite Lehrkräftemangel trifft Berlin besonders hart. In den Schulen werden massenhaft Quereinsteigende eingestellt, zum Start des zweiten Schulhalbjahres im Februar 2019 waren es 44 Prozent. Um dem Mangel an Lehrkräften entgegenzuwirken, wurden in den letzten Jahren viele neue Lehramtsstudienplätze geschaffen. Der Zuwachs fällt in eine Zeit, in der das Lehramtsstudium Umstrukturierung erfahren hat, die auf Empfehlungen einer Kommission um Professor Jürgen Baumert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung basiert. Viele gute Änderungsansätze werden angesichts dieses Aufwuchses allerdings aktuell kaum sichtbar und wirksam. Die Universitäten selbst ächzen unter der hohen Belastung, aber auch an den Berliner Schulen sind noch immer nicht genug Lehrkräfte für die Betreuung von Studierenden im neu eingeführten Praxissemester (Mentoring) qualifiziert worden. Die Organisation der Praxissemesterplätze läuft noch nicht reibungslos.
Grund genug, die wesentlichen Änderungen der grundständigen Lehrkräftebildung in Berlin an dieser Stelle vorzustellen. Vor sieben Jahren änderte sich die Struktur des Lehramtsstudiums in Berlin grundlegend. Im Auftrag der damaligen Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft erarbeitete die Baumert-Kommission bis 2012 Vorschläge zur Reform der Lehrkräftebildung in Berlin. Wesentliche Forderungen waren »so viel Polyvalenz (breit gefächerte Einsatzmöglichkeit) wie möglich bei zu sichernder Professionalität; Lehrämter orientiert an der Schulstruktur; Verstärkte Fachlichkeit im Lehramt an Grundschulen […]; Inklusion – Auftrag für alle Lehrkräfte; Praxissemester – Stärkung der Professionalität; »Schools of Education« an allen Universitäten«.
Diese Änderungen wurden mit dem Lehrkräftebildungsgesetz (veröffentlicht im Februar 2014) für Berlin umgesetzt. So wird seitdem in Berlin für drei Lehrämter ausgebildet: Für das Lehramt an Grundschulen, das Lehramt Integrierte Sekundarschule und Gymnasium sowie das Lehramt für die beruflichen Schulen.
Alle angehenden Lehrer*innen absolvieren seit dem Wintersemester 2015/ 2016 zunächst einen insgesamt 180 Leistungspunkte umfassenden Bachelorstudiengang (1 LP entspricht einem Aufwand von 30 Zeitstunden), der in der Regel drei Jahre dauert. Es folgt ein aufbauendes Masterstudium von 120 Leistungspunkten, das in der Regel zwei Jahre dauert. Der Vorbereitungsdienst wurde für alle Lehrämter auf 18 Monate vereinheitlicht. Darüber hinaus wurde in alle Masterstudiengänge ein Praxissemester integriert. Ein eigenständiges Lehramt Sonderpädagogik gibt es nicht mehr. Dafür kann man in allen drei Lehrämtern zwei sonderpädagogische Fachrichtungen als zweites Fach wählen. Sonderpädagogik ersetzt dann eines der Pflichtfächer Deutsch oder Mathematik. Überdies ist inklusive Bildung verbindlicher Bestandteil des Studiums.
An allen lehrkräftebildenden Universitäten wurden Lehrkräftebildungszentren eingerichtet: an der Humboldt-Universität die Professional School of Education, an der Freien Universität die Dahlem School of Education, an der Technischen Universität die School of Education und an der Universität der Künste das Zentrum für künstlerische Lehrkräftebildung beziehungsweise die Ständige Gemeinsame Kommission.
Zentrale Merkmale der neuen Studienstruktur im Grundschullehramt sind: Erstens: Die alte Aufteilung zweier Studienfächer mit einem Erstfach Grundschulpädagogik (90 LP), einem Zweitfach der Sekundarstufe (60 LP) und Erziehungswissenschaft (30 LP) wird aufgelöst zugunsten einer neuen Struktur mit drei gleichberechtigten grundschulbezogenen Fächern, die ergänzt werden durch Studienanteile in den Bildungswissenschaften, Sprachbildung und Inklusion. Zweitens: Als Pflichtfächer neu festgelegt sind Deutsch und Mathematik, hinzu kommt ein weiteres Fach der Grundschule (Sport, Englisch, Französisch, Musik, Kunst, Sachunterricht mit Schwerpunkt Naturwissenschaften, Sachunterricht mit Schwerpunkt Gesellschaftswissenschaften, Religionslehre/Humanistische Lebenskunde). Drittens: Der grundschullehramtsbezogenen 60 LP-Master wurde zu einem 120 LP-Masterstudiengang. Sowie viertens: die Einführung des Praxissemesters
Inhaltlich sind die neuen fachbezogenen Qualifizierungsanteile für die inklusive Schule, die Stärkung der fachwissenschaftlichen Qualifizierung und der für alle Studienbestandteile obligatorische Grundschulbezug als zentrale Weiterentwicklung zu benennen.
Strukturell haben Sondertatbestände und Hochschulverträge die massiven Aufwüchse durchaus auch personell unterfüttert, Professuren und Stellen im Mittelbau sind, auch oft unbefristet, geschaffen worden. Wie so oft wächst jedoch das wissenschaftsunterstützende Personal nicht in der dem erforderlichen Maße, bleiben Raumfragen Aufgabe der Unis. Das Praxissemester ist für alle Beteiligten enorm herausfordernd, und zwar hauptsächlich organisatorisch.
Insgesamt ist daher festzustellen, dass sich der »Massenbetrieb« Lehrkräftebildung aktuell nur mit erheblichen Qualitätseinbußen realisieren lässt.