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Tendenzen

ABC – Alkohol, Benzos und Cannabis

Unser Autor erläutert, warum die Legalisierung des Canabis-Konsums für junge Erwachsene der richtige Weg ist und entkräftet Befürchtungen.

Foto: Adobe Stock

Die Entkriminalisierung von Cannabis steht kurz bevor, ein entsprechendes Gesetz tritt voraussichtlich im April in Kraft. Dann können Personen ab 18 Jahren in Deutschland straffrei Marihuana konsumieren, bis zu drei entsprechende Pflanzen zuhause züchten und maximal 25 Gramm der Droge besitzen.

Im Gegensatz zur vollständigen Legalisierung wie in Kanada bleibt kommerzieller Handel hierzulande verboten. Stattdessen dürfen Konsumierende in sogenannten »Cannabis Social Clubs« die Droge gemeinsam anbauen, ernten und an die Vereinsmitglieder abgeben. Da Verkauf weiterhin verboten bleibt, wird die Menge des abzugebenden Cannabis an einen gestaffelten Mitgliedsbeitrag geknüpft. Die Entkriminalisierung wird von allen im Bundestag vertretenen Parteien getragen, mit Ausnahme von CDU/CSU und AfD.

Über die gesundheitlichen Gefahren des Cannabis-Konsum, insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene, gibt es keinen Zweifel. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen befürchtet, dass eine Legalisierung »gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erhöhtem Konsum und den damit verbundenen Gesundheitsschäden« beitrage. Erfahrungen aus den USA und Kanada zeigen jedoch ein differenzierteres Bild.

 

Erfahrungen aus Kanada und den USA

 

In Kanada wurde Cannabis im Jahr 2018 legalisiert. In einer Evaluation der Legalisierung konnte in der Altersgruppe ab 25 Jahren ein Anstieg des Konsums festgestellt werden, in der Gruppe der 19- bis 24-Jährigen ging der Konsum dagegen zurück.

In den USA ist Cannabis zwar durch Bundesrecht verboten, trotzdem haben 25 der 50 Bundesstaaten die Droge ab dem Alter von 21 Jahren legalisiert, weitere dürften folgen. Für die USA hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Analyse festgestellt, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen Legalisierung und einem Anstieg des Konsums gibt. Zwar stieg der Konsum in US-Bundesstaaten mit liberaler Drogenpolitik, allerdings nahm er auch in jenen Staaten zu, die an einer Prohibition festhalten.

 

Cannabis ist keine Einstiegsdroge

 

Bislang ist Cannabis in Deutschland verboten, eine Ausnahme gilt für medizinische Zwecke. Im Zuge der Reform soll Cannabis nun aus dem Betäubungsmittelgesetz gestrichen werden. Expert*innen bezweifeln, dass bisherige Regelungen erfolgreich waren. Laut Deutscher Hauptstelle für Suchtfragen könne »nicht festgestellt worden, dass ein strafrechtliches Verbot wirksam den Konsum und einhergehende gesundheitliche und soziale Folgen reduziert«.

Hartnäckig hält sich der Begriff der »Einstiegsdroge«. Dieser hält keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand. Zwar haben viele Konsumierende sogenannter »harter Drogen« (beispielsweise Heroin) zuvor auch Cannabis geraucht. Allerdings konsumierten sie meist auch Alkohol und Nikotin – niemand würde diese Substanzen als Einstiegsdroge bezeichnen. Studien wie der Epidemiologische Suchtsurvey finden keinen Hinweis, dass jene, die Cannabis konsumieren, langfristig auch andere Drogen nehmen.

Die Reform bedeutet eine weitere Herausforderung für Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen und andere Pädagog*innen, insbesondere an weiterführenden Schulen. Der Konsum in Nähe von Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche bleibt verboten. Aber es wird zu Diskussionen kommen, wenn etwa erwachsene Schüler*innen im Anschluss an einen langen Schultag, auf der Klassenfahrt oder bei Abschlussfesten einen Joint rauchen wollen – zumal beispielsweise bei Absolvent*innenfeiern vielerorts mit Alkohol angestoßen wird. Berauscht am schulischen Alltag teilzunehmen ist bereits jetzt keine Option – ganz unabhängig vom legalen Status einer Droge.

 

Unter Berliner Schüler*innen dominiert der Alkohol- und Nikotinkonsum

 

Doch in welcher Form und in welchem Umfang wird Cannabis von Berliner Schüler*innen überhaupt konsumiert? Um das herauszufinden, hat der Senat für Gesundheit eine Studie in Auftrag gegeben. Gut 2.400 Berliner*innen im Alter zwischen 16 und 27 Jahren wurden zu ihrem Konsumverhalten befragt. Ergebnis: Weiterhin dominieren legale Substanzen. Über 68 Prozent der Befragten gaben an, in den letzten zwölf Monaten Alkohol konsumiert zu haben, bei Nikotin waren es fast 57 Prozent, gefolgt von Cannabis mit 29 Prozent. Zwölf Monate sind jedoch ein langer Zeitraum. Die Werte geben keine Auskunft über die Konsumhäufigkeit. Leider wurde nur für Cannabis ein regelmäßiger Gebrauch abgefragt. Über 6 Prozent aller 16- bis 27-Jährigen rauchen Cannabis an mehr als 20 Tagen im Monat. Bei dieser Frequenz kann von einem problematischen Konsum gesprochen werden. Daten zu anderen Substanzen fehlen.

Kommen wir nochmal zum Ziel der Entkriminalisierung zurück. Hauptargument der Bundesregierung ist fehlender Jugend- und Verbraucher*innenschutz. Bundesminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) stellt fest, dass der Konsum von Cannabis eine gesellschaftliche Realität sei und eine jahrzehntelange Verbotspolitik vor allem Probleme »zu Lasten unserer Kinder und Jugendlichen, der Gesundheit von Konsumierenden und der Strafverfolgungsbehörden« verursacht habe. Er ergänzt: »Niemand soll mehr bei Dealern kaufen müssen, ohne zu wissen, was man sich da einhandelt.«

 

Legaler Konsum schützt die Verbraucher*innen

 

Der Minister weist auf ein großes Problem des bestehenden illegalen Cannabis-Marktes hin. Meist wissen weder Verkäufer*innen, noch Käufer*innen wie hoch der THC-Gehalt der Ware ist. Das ist etwa so, als würde man in einer Bar ein alkoholisches Getränk bestellen und bekommt mal ein Radler, mal einen Wein, mal einen Schnaps – ohne je zu wissen, was man gerade trinkt. Marktübliches Cannabis ist zudem oft durch synthetische Cannabinoide und andere Giftstoffe angereichert. Ein weiteres Problem des illegalen Marktes: Ein Dealer fragt nicht nach dem Alter. Der aktuelle Modus ist das Gegenteil von Jugend- und Verbraucher*innenschutz. Hier besteht mit der Reform eine Chance. Zehntausende junge Erwachsene können erstmals bewusst Entscheidungen für oder gegen ein Produkt treffen. Jene mit problematischem Konsum könnten gezielt auf geringer dosierte Sorten wechseln. Dafür ist Konsumkompetenz nötig, eine Substanzkunde über Wirkung und Gefahren verschiedener Drogen, unabhängig vom legalen Status. Im Rahmenlehrplan Biologie ist dies bereits implementiert. Anknüpfungspunkte gibt es überall dort, wo es um Verbraucher­*innen- und Konsum­entscheidungen geht.

Die Senatsstudie weist (vielleicht ungewollt) auf ein anderes gravierendes Problem hin: Den missbräuchlichen Medikamentenkonsum in besagter Altersgruppe. Fast 14 Prozent der Befragten gaben an, in den letzten zwölf Monaten »nicht-verschriebene Medikamente« genommen zu haben. Das heißt, sie haben Tabletten nicht aufgrund einer ärztlich angewiesenen Medikation genommen, sondern wegen der berauschenden Wirkung. In der Studie wird zwischen zwei Gruppen unterschieden. Zum einen aufputschende Medikamente (»Upper«), wie zum Beispiel das synthetische Opioid Tilidin. Das Präparat ist ein starkes und verschreibungspflichtiges Schmerzmittel, das zur gleichen Wirkstoffgruppe wie Opium und Heroin zählt. Zum anderen sind es sogenannte »Downer«, wie die unter Jugendlichen verbreiteten »Benzos«. Dieser psychoaktive Arzneistoff gehört zur Gruppe der Benzodiazepine.

 

Gefahr von Medikamenten wird unterschätzt

 

Es gibt Schüler*innen, die derlei Substanzen gezielt zur Leistungssteigerung nutzen. Andere nehmen sie, um Prüfungsangst zu lindern oder andere belastende Situationen durchzustehen. Wieder andere konsumieren Medikamente wie Alkohol oder Cannabis, um unterschiedliche Rauschzustände zu erleben. Neben akuten Gesundheitsgefahren besteht die große Problematik beim Medikamentenmissbrauch darin, dass Konsumierende, deren Angehörige und auch wir Lehrer*innen derlei Mittel in der Regel gar nicht als Droge wahrnehmen, sondern als Medizin. Möglichkeiten einer Abhängigkeit werden unterschätzt.

In Berlin haben sich Expert*innen aus Suchtprävention, Beratungsstellen und Krankenkassen zur »Initiative gegen Medikamentenmissbrauch« zusammengeschlossen. Die Initiative fordert unter anderem, dass das Thema »verantwortungsvoller Umgang mit Medikamenten« in den Rahmenlehrplänen der Berliner Schulen ergänzt wird.         

 

Zum Weiterlesen:

Cannabiskonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Berlin:
Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage, Hamburg 2023.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46